Oberbürgermeister Boris Palmer will wegen der finanziellen Lage in Tübingen die Steuersätze für Grund- und Gewerbesteuer rückwirkend zum 1. Januar erhöhen – das bedeutet, dass Eigentümer und Unternehmen mehr Steuern zahlen müssen. Eine Lücke zur Genehmigung des Haushaltes durch das Regierungspräsidium Tübingen in Höhe von 7,6 Millionen Euro könne nur noch durch Steuererhöhungen erreichen, sagte Palmer.
Für Grundstücksbesitzer soll demnach der Hebesatz für die Grundsteuer B von 270 auf 360 Prozent steigen. Das spült laut Berechnungen der Stadt 6,3 Millionen Euro in die Kasse. Doch allein dies genügt laut Stadt nicht, um die Lücke zu schließen. Deshalb sei auch bei der Gewerbesteuer eine weitere Erhöhung nötig. Der Hebesatz hier soll von 390 auf 400 Prozent steigen und damit 1,3 Millionen Mehreinnahmen nach sich ziehen. Über die Steuererhöhungen soll der Gemeinderat am Donnerstagabend entscheiden.
Kommunen können nur noch bis zum 30. Juni rückwirkend ihren Hebesatz für 2025 ändern. Danach kann dieser nur noch nach unten angepasst werden. Die Grundsteuer ist eine der wichtigsten Einnahmequellen der notorisch klammen Gemeinden.
Grundsteuerreform und die Folgen
Seit 2025 gilt bundesweit eine neue Grundsteuer-Berechnung. Das hatte das Bundesverfassungsgericht gefordert, denn zuletzt hatten die Finanzämter den Wert einer Immobilie auf der Grundlage völlig veralteter Daten kalkuliert. In Baden-Württemberg gilt jetzt das sogenannte Bodenwertmodell - dabei zählt die Fläche - und nicht das, was darauf steht.
Kommunen können die Höhe der Grundsteuer nur über den sogenannten Hebesatz beeinflussen. Sie entscheiden darüber eigenständig. Der Grundsteuerwert für die Grundsteuer B in Baden‐Württemberg ergibt sich aus der Multiplikation von Grundstücksfläche in Quadratmetern und dem Bodenrichtwert. Dieser ist der durchschnittliche Wert des Bodens pro Quadratmeter. Er wird vom örtlichen Gutachterausschuss ermittelt und in der Datenbank Boris BW veröffentlicht.
Der Hebesatz muss dabei aber aufkommensneutral gewählt werden: Denn die jeweilige Kommune soll durch die Grundsteuerreform in etwa so viel Geld einnehmen wie vor der Reform. Das bedeutet jedoch nicht, dass jeder Grundstückbesitzende die gleiche Grundsteuer zahlt wie im Jahr 2024. Durch die neuen Bewertungsmethoden können Einzelne mehr oder weniger zahlen, solange die Gesamteinnahmen der Kommune nicht steigen.
Palmer hält Erhöhung für vertretbar
Im Zuge der Grundsteuerreform hatte der Tübinger Gemeinderat mit dem Ziel der Aufkommensneutralität und auf Grundlage eines erwarteten Steueraufkommens von 20,9 Millionen Euro Mitte November einen Hebesatz von zunächst 270 Prozent für die Grundsteuer B beschlossen. Und stellte später fest, dass der Hebesatz zu niedrig war und Tübingen dadurch unbeabsichtigt Geld flöten ging.
«Die Grundsteuer wurde wegen unzureichender Daten der Finanzbehörden nicht wie beabsichtigt aufkommensneutral gestaltet, sondern durch den Beschluss des Hebesatzes von 270 Prozent unabsichtlich um 10 Prozent oder 2 Millionen Euro gesenkt», heißt es von der Stadt Tübingen. Die Festsetzung habe sich am damals gültigen Transparenzregister mit einem Korridor zwischen 257 bis 284 Prozent orientiert. Die Stadt wählte den Mittelwert. Inzwischen wird für Tübingen im Transparenzregister eine Hebesatzbandbreite von 269 bis 297 Prozent angegeben. Und Tübingen will auf 360 Prozent gehen.
Die Anhebung entspricht nach Berechnungen der Stadt einer realen Steuererhöhung von 4,3 Millionen Euro. «Bei etwa vier Millionen Quadratmeter Wohnfläche in Tübingen entspricht dies einer Erhöhung von weniger als 10 Cent pro Quadratmeter im Monat. Dies ist trotz der erheblichen Proteste derjenigen, die wegen der Reform der Bemessungsgrundlage nun mehr Steuern zu zahlen haben, eine vertretbare Mehrbelastung», heißt es zur Begründung von Palmer in einer Berichtsvorlage für den Gemeinderat.
Ohne Steuererhöhungen befürchtet die Stadt, keine neuen Kreditermächtigungen zu erhalten und dass sogar laufende Bauvorhaben gestoppt werden müssen.
Hin und Her der Hebesätze im Transparenzregister
Laut einem Sprecher des Finanzministeriums spielen bei der Erhöhung der Hebesatz-Werte mehrere Faktoren eine Rolle. «Die laufende Fall- und Einspruchsbearbeitung in den Finanzämtern, Änderungen von Bodenrichtwerten durch die Gutachterausschüsse und Auswertung von Gutachten können sich auf die Bandbreite auswirken.»
Nicht nur für Tübingen musste das Ministerium den Hebesatz-Korridor anpassen: Für rund sechs Prozent der 1.101 Kommunen in Baden-Württemberg, also 63 Städte und Gemeinden, gab es seit der Veröffentlichung des Transparenzregisters im Oktober 2024 Änderungen.
Bislang seien dem Ministerium aber keine weiteren Kommunen bekannt, die ihren Hebesatz wie Tübingen rückwirkend erhöhen wollen. Der Sprecher stellte klar, dass die Angaben im Transparenzregister unverbindlich seien und den Bürgerinnen und Bürgern sowie der kommunalen Verwaltung lediglich als Anhaltspunkt dienen sollen.
Bund der Steuerzahler kritisiert die Erhöhung
Die voraussichtliche Erhöhung von Grund- und Gewerbesteuer in Tübingen hat aus Sicht des Landesvorsitzenden des Bundes der Steuerzahler Baden-Württemberg, Eike Möller, gleich mehrere negative Folgen. «Zum einen werden die finanziellen Spielräume der Bürger dadurch enger, zum anderen leiden auch die Unternehmen», sagte sie. «Im Zuge der Grundsteuerreform wurde den Bürgern angekündigt, dass die Reform aufkommensneutral umgesetzt wird. In Tübingen scheinen sich die Bürger auf diese Ankündigung nicht mehr verlassen zu können.»