Der Fall kann kaum harmloser sein: Eine Frau liest in einem katholischen Kindergarten in Weil am Rhein (Kreis Lörrach) einer Schar von Kindern vor. Sie macht das aus gutem Willen und umsonst. Und dann wird die Rentnerin von ihrer betreuerischen Aufgabe entbunden.

Pfarrer Gerd Möller will nicht, dass die Vorleserin weiterhin ihr Märchenbuch auspackt und den Kindern harmlose Geschichten vorliest. Denn die Ehrenamtliche – sie war früher selbst Erzieherin – kandidiert auf der Liste der AfD für die Kommunalwahl.

Leitbild der Kirche: Alles Gottes geliebte Kinder

Der Pfarrer begründet das so: „Zuallererst steht hinter allem, was wir hier in der Geschäftsführung der Kindergärten unserer Kirchengemeinde beraten haben, das Menschenbild Gottes, dass alle die gleiche Zusage aus der Schöpfung haben: Du bist sehr gut und Gottes geliebtes Kind.“

Dies sei auch im Leitbild der Kindergärten, die für alle Mitarbeitenden und Eltern und Kinder gelten, die Grundlage, schreibt Gerd Möller auf Anfrage. Indem die betroffene Ehrenamtliche nun für eine Partei kandidiert, die neben anderen dieses Menschenbild nicht teile, stelle sie diese Grundlage infrage.

Zumal das Umfeld eines Kindergartens nicht harmlos ist. Der Pfarrer meint dazu: „In unseren Kindergärten leben derzeit viele Kinder mit Migrationserfahrungen, insgesamt Kinder aus 28 Nationen. Es geht uns um das Menschenbild der AfD, das nicht allen Menschen das Wohnrecht hier in unserem Land zuspricht.“

Stephan Burger, Erzbischof von Freiburg
Stephan Burger, Erzbischof von Freiburg | Bild: Philipp von Ditfurth, dpa

Gerd Möller gehört zu den ersten, die bei diesem brisanten Thema handeln. Sein Bischof Stephan Burger hat dafür mit seinen Kollegen dafür bereits die Pflöcke eingehauen und Stellung bezogen – zunächst auf dem Papier und prinzipiell. Manchen Beobachter haben die katholischen Bischöfe mit der Klarheit überrascht, die sie dabei an den Tag legten, hielten sie sich bei politischen Fragen in der Vergangenheit sonst eher zurück.

Sie stellten Folgendes fest: Die christliche Botschaft und die Pläne der AfD sind nicht vereinbar. Die Partei stehe für einen völkischen Nationalismus; sie grenze aus und nähere sich immer mehr rassistischen Positionen an. Also sei sie „für Christen und Christinnen nicht wählbar.“

Sie spielen sich als moderne Kreuzritter auf

Einige Tage vor dem Beschluss der Bischöfe war bekannt geworden, dass auch AfD-Funktionäre an dem vielzitierten Potsdamer Treffen teilgenommen haben. Bei diesem Treffen wurden Pläne besprochen, die eine „Remigration“ in den Mittelpunkt stellten.

Gemeint war die Ausweisung und Vertreibung ganzer ethnischer Gruppen, die nach Ansicht der AfD nicht nach Deutschland gehören.

Die Vertreibungspläne von Potsdam dürften die klare Abgrenzung zur AfD beschleunigt haben. Das machte ein Vortrag des Sozialethikers Franz Segbers (Konstanz) dieser Tage deutlich. Wenn die AfD eine Partei ist, die in allen gesellschaftlichen Milieus gewählt wird, dann sind auch Kirchgänger unter den Wählenden. Das wird auch weiterhin so sein.

Nur: Wer ein kirchliches Amt ausübt und von einer Kirche angestellt ist, wird zukünftig nicht für die AfD agieren können. „Nicht die Wähler der AfD werden ausgegrenzt, aber deren Partei“, sagt Segbers.

Franz Segbers, Solzialethiker aus Konstanz
Franz Segbers, Solzialethiker aus Konstanz | Bild: Fricker, Ulrich

Noch etwas kommt hinzu: Teile der rechtsnationalen Partei spielen sich immer wieder als die wahren Verteidiger des Abendlandes auf. „Sie sehen sich als moderne Kreuzritter“, sagt Segbers, als ultra-christliche Vorhut, die die alten Werte schützen, während viele moderate Bischöfe dazu nicht in der Lage seien.

Sie forderten ein „wehrhaftes Christentum“, das sich aller für fremd erklärten Elemente entledigt. Religion ist bei der AfD nur als Mittel des Kampfes gedacht. Dagegen erinnern die Bischöfe an den Kern der Botschaft: die ungeteilte Barmherzigkeit.

Beide Kirchen denken in langen Zeiträumen. Wenn von völkischem Denken die Rede ist, wandern die Gedanken automatisch um 90 Jahre zurück. Damals, im Januar 1933, begrüßten evangelische und katholische Geistliche die Ernennung von Adolf Hitler zum Reichskanzler. Sie versprachen sich davon auch eine religiöse Erneuerung.

Nach der Machtergreifung stellten sich einige katholische Bischöfe wie Conrad Groeber in Freiburg oder evangelische Geistliche auf die Seite der regierenden NSDAP. Das beschädigte ihr Ansehen nachhaltig.

„Die Kirchen haben dazugelernt, sie sind hellwach“, sagt Segbers, der selbst der altkatholischen Kirche angehört und sich für die Linkspartei engagierte. Ein zweites Mal würden die Kirchenführer nicht taktieren und wegsehen, wie das 1933 geschehen war.

Kirchenaustritt wegen der AfD?

Freilich wirft der Unvereinbarkeitsbeschluss auch Fragen auch. Dort heißt es sinngemäß: Eine Partei, die das christliche Menschenbild leugne, seien nicht wählbar für Christen und Christinnen. Was aber tun, wenn ein Katholik oder eine Protestantin dennoch ihr Kreuz bei der AfD setzen, weil sich die Wählenden dort besser aufgehoben fühlen?

Weil dort ihre Position zu Genderfragen oder Lebensschutz besser vertreten sieht? Leicht kann der Punkt kommen, an dem diese Wählergruppe ihre Heimat nicht mehr in der Kirche sieht. Sie würde die Gemeinschaft dann verlassen und austreten.

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Wie sich die klare Kante der Bischöfe in der Praxis bewährt, wird sich noch zeigen. Der Pfarrer im badischen Weil am Rhein hat den Anfang gemacht. Und in anderen Konfessionen? Auch Christine Holtzhausen, Pfarrerin an der evangelischen Petrus- und Paulusgemeinde in Konstanz, plädiert für eine entschiedene Haltung.

Doch will sie abwägen. Sie würde sich jeden einzelnen Fall genau anschauen und dann zusammen mit den Gremien eine Entscheidung fällen. Ein starres Regelwerk ließe sich erst einmal nicht aufstellen, sagt die Pfarrerin im Gespräch.

Die evangelischen Landeskirchen haben sich ebenfalls klar positioniert. „Die AfD ist für Christinnen und Christen nicht wählbar“, sagt beispielsweise Ernst-Wilhelm Gohl als Verantwortlicher der württembergischen Landeskirche (die Badische Landeskirche wurde für eine Stellungnahme angefragt, bisher ohne Antwort).

Wie schwer wiegt die „reine Mitgliedschaft“?

Das Erzbistum Freiburg schreibt auf Nachfrage: „Wer rassistische oder extremistische Positionen vertritt, kann nicht Verantwortung in einem kirchlichen Gremium übernehmen und so Gesicht der Kirche sein.“ Allerdings, so schränkt ein Sprecher ein, könne die reine Mitgliedschaft kein Hinderungsgrund sein. Zumal die AfD nicht verboten sei. Diese Klausel scheint wichtig – und öffnet Interpretationen einen weiten Raum.

Gerhard Ludwig Müller, früherer Bischof von Regensburg und Kardinal
Gerhard Ludwig Müller, früherer Bischof von Regensburg und Kardinal | Bild: Weigel, dpa

Die Distanzierung beider Kirchen wurde überwiegend begrüßt. Doch nicht alle teilen diese Haltung. Auch nicht Gebhard Müller, der ehemalige Kurienkardinal.

Er sagt dazu: „Als Kirche müssen wir vorsichtig sein, uns nicht mit moralischer Autorität unmittelbar in den Kampf der Parteien einzumischen. Die Deutsche Bischofskonferenz darf nicht als Wahlhelfer der ‚Ampel‘ auftreten und soll gegenüber der weltlichen Macht eine prophetische Distanz bewahren.“

Dazu muss man ergänzen: Der Kardinal war bereits in der Coronazeit als Vertreter von merkwürdigen Theorien aufgefallen. 2017 war seine Amtszeit von Papst Franziskus nicht verlängert haben, auch wegen erwiesener Illoyalität.