Leukämie, Operation, Attentat: Die Spekulationen über Wladimir Putins Befinden reißen nicht ab. Tatsächlich gibt es wenig Belastbares zum Zustand des 69-Jährigen. Dennoch stellt sich angesichts des russischen Angriffskrieges in der Ukraine mit besonderer Dringlichkeit die Frage: „Was wäre, wenn …?

Der Musterschüler: Dmitri Medwedew

Dmitri Medwedew, 56. Professorensohn aus Putins Heimatstadt Sankt Petersburg trat lange als Putin-Erbe.
Dmitri Medwedew, 56. Professorensohn aus Putins Heimatstadt Sankt Petersburg trat lange als Putin-Erbe. | Bild: JUSSI NUKARI

Dmitri Medwedew galt lange als geborener Putin-Erbe. Schließlich war der 56-Jährige schon einmal Präsident. Im Mai 2008 zog der Einser-Jurist für vier Jahre in den Kreml ein. Damals sah die Verfassung nur zwei Amtszeiten in Folge vor, und Putin wollte den rechtsstaatlichen Schein wahren. Für das Platzhalter-Modell gab es keinen Besseren als Medwedew, den Professorensohn aus Putins Heimatstadt Sankt Petersburg.

Doch als Putin den „Deal“ später publik machte, brachen Massenproteste los, die das Regime niederknüppeln ließ. Medwedews Popularität litt. 2017 versetzte Kremlkritiker Alexei Nawalny dem Putin-Musterschüler mit Enthüllungen über dessen Luxusleben einen Tiefschlag. Heute ist Medwedew Vize-Chef des Sicherheitsrats. Zuletzt fiel er mit Atomkriegsdrohungen auf – offenbar ein Versuch, sich bei den Hardlinern beliebt zu machen.

Fazit: Ohne seinen Mentor Putin würden Medwedews Chancen auf eine zweite Präsidentschaft schwinden. Hält sich Putin aber bis zur Wahl 2024 an der Macht, könnte er seinen politischen Ziehsohn womöglich noch einmal als Nachfolger durchsetzen.

Der Schattenmann: Igor Setschin

Igor Setschin, 61. Wegen seiner finsteren Mimik trägt er den Spitznamen „Darth Vader“.
Igor Setschin, 61. Wegen seiner finsteren Mimik trägt er den Spitznamen „Darth Vader“. | Bild: ALEXANDER NEMENOV/AFP/dpa

Auch Igor Setschin ist ein enger Putin-Vertrauter aus dessen Petersburger Zeit. Anders als der weltgewandte Medwedew sucht das Arbeiterkind Setschin aber selten das Licht der Öffentlichkeit. Das dürfte auch mit der KGB-Vergangenheit des 61-Jährigen zu tun haben. Wegen seiner finsteren Mimik trägt Setschin den Spitznamen „Darth Vader“. Die glachnamige Figur diente in den „Star Wars“-Filmen der dunklen Seite der Macht. Im richtigen Leben diente Setschin lange in Putins Präsidialapparat.

2003 spielte er eine Schlüsselrolle bei der Zerschlagung des Ölkonzerns Yukos und der Inhaftierung des kremlkritischen Oligarchen Michail Chodorkowski. Der späte Lohn: Setschin ist heute superreicher Chef des Ölgiganten Rosneft. Ohne die Rosneft-Milliarden wäre der Angriff auf die Ukraine unmöglich gewesen.

Fazit: Setschin ist ein klassischer Strippenzieher, ein Mann aus den Katakomben der Macht. Als Präsident ist er schwer vorstellbar – als Präsidentenmacher sehr wohl.

Der KGB-Falke: Nikolai Patruschew

Nikolai Patruschew, 70: antiwestlicher Falke, der Putin an Härte und Skrupellosigkeit übertreffen dürfte.
Nikolai Patruschew, 70: antiwestlicher Falke, der Putin an Härte und Skrupellosigkeit übertreffen dürfte. | Bild: Russian Security Council

Seit Putin Präsident ist, begleiten ihn düstere Geschichten über seine Inthronisierung. Eine Version lautet: Der Geheimdienst FSB bombte ihn an die Macht. 1999, als Putin gerade vom FSB-Chef zum Premier aufgestiegen war, erschütterte eine Anschlagsserie Moskau. Das gab Putin die Chance, sich zu profilieren. Er befahl den Angriff auf die „Terrorhochburg“ Tschetschenien. Früh gab es erste Hinweise, dass der FSB die Attentate inszeniert haben könnte. Mutmaßlicher Drahtzieher: Nikolai Patruschew, der Nachfolger Putins an der FSB-Spitze.

Die beiden fast gleichaltrigen Männer kannten sich aus ihrer KGB-Zeit. Patruschew übernahm 2008 die Leitung des mächtigen Sicherheitsrats. Der 70-Jährige gilt als antiwestlicher Falke. Manche Beobachter halten ihn für den Einzigen im Regime, der Putin an Härte und Skrupellosigkeit übertrifft.

Fazit: Patruschew muss nicht nach der Macht greifen. Er hält sie bereits in Händen. Gegen den Chef der Sicherheitsorgane läuft nichts in Moskau. Es darf aber bezweifelt werden, dass Patruschew Präsident werden will. Er ist kein Politiker, sondern der Mann, der das letzte Wort haben will.

Der „Fürst“ von Moskau: Sergej Sobanin

Sergei Sobjanin, 63: Als Moskauer Bürgermeister ist man nah dran an der Macht.
Sergei Sobjanin, 63: Als Moskauer Bürgermeister ist man nah dran an der Macht. | Bild: Ivan Sekretarev

Volles silbergraues Haar, groß und schlank, elegant gekleidet. Der Moskauer Bürgermeister Sergei Sobjanin wirkt wie ein Mann von Welt. Dabei stammt der 63-Jährige aus den menschenleeren Weiten Sibiriens, wo er sich zu Sowjetzeiten vom Schlosser zum Ingenieur hocharbeitete und in der KPdSU Karriere machte. Putin förderte den Parteisoldaten, ernannte ihn zum Vizepremier und ebnete ihm den Weg ins mächtige Moskauer Bürgermeisteramt.

Wer die Hauptstadt regiert, hat in Russland traditionell enormen Einfluss. Allerdings verspielte Sobjanin viele Sympathien im Volk, als er 2017 den Abriss großer Plattenbausiedlungen durchsetzte, wodurch 1,6 Millionen Menschen ihre Wohnungen verloren. Außerdem hat der Moskauer „Regionalfürst“ mit den sibirischen Wurzeln nicht die ganz große persönliche Nähe zu Putin.

Fazit: Der smarte Sobjanin wäre im Westen am leichtesten zu vermitteln. Er hat dann ein Chance, wenn im Kreml nach einer gesichtswahrenden Lösung für den Krieg gesucht würde.

Das Wunderkind: Sergei Kirijenko

Sergei Kirijenko, 59: als Vize der Kremladministration im engsten Umfeld Putins angekommen.
Sergei Kirijenko, 59: als Vize der Kremladministration im engsten Umfeld Putins angekommen. | Bild: Abedin Taherkenareh

Sergei Kirijenko war gefühlt immer der Jüngste. Boris Jelzin machte den Finanzfachmann 1998 mit nur 35 Jahren zum Chef einer Reformregierung. Zuvor war der Sohn eines jüdischen Russen und einer Ukrainerin schon Komsomolsekretär gewesen, hatte Wehrdienst geleistet, zwei mustergültige Examen abgelegt, eine Bank gegründet und das Energieministerium geleitet. Putin hielt später an Kirijenko fest, obwohl der als Westler galt und für die radikale Liberalisierung der Wirtschaft in den 90er Jahren stand.

Nach einem Gastspiel als Gouverneur an der Wolga leitete Kirijenko elf Jahre lang die einflussreiche Atomenergiebehörde Rosatom. Heute, mit dann doch schon 59 Jahren, ist er Vize der Kremladministration und im engsten Umfeld Putins angekommen.

Fazit: „Kann alles, wird nichts“, sagen Kremlkenner über Kirijenko. Jedenfalls werde er nicht Präsident. Warum nicht? Weil der Vater Jude war und die Mutter Ukrainerin.

Was wäre, wenn … Putin morgen weg wäre? Dann liefe es wohl wie bei der Papstwahl in Rom. Die Alphatiere – alles Männer – würden hinter verschlossenen Türen wie beim Konklave um die Putin-Nachfolge ringen. Klar ist: Gegen Setschin als Vertreter der Energiegiganten und Patruschew als Chef des Militär- und Sicherheitsapparats ginge nichts. Beide zieht es selbst nicht in die erste Reihe. Sie würden wohl unter sich ausmachen, wer auf Putin folgt. Entscheidend dürfte die Lage in der Ukraine sein: Wer kann den Krieg gewinnen oder ihn so beenden, dass es nach Sieg aussieht? Medwedew, Sobjanin und Kirijenko stehen sicher auf dem Zettel der „Zarenmacher“ – und womöglich ein oder zwei Überraschungskandidaten.