Was ist denn das für ein blauer Farbtupfer in dem großen Ahorn auf der anderen Straßenseite? Beim zweiten Blick erkennt man es: Ein Baumpfleger, professionell angeseilt, arbeitet in der Baumkrone.
Seit Anfang Oktober sind die Baumexperten wieder unterwegs. Sie arbeiten in Privatgärten, öffentlichen Anlagen oder an Straßen. Baumpfleger schneiden Bäume, sichern Kronen, entfernen Totholz oder fällen Bäume. Überall dort, wo Hebebühnen keinen Platz haben oder tief im Inneren der Bäume gearbeitet werden muss, kommt die Seilklettertechnik zum Einsatz.
Detlef Koch aus Überlingen ist gelernter Landschaftsgärtner und Fach-
agrarwirt für Baumpflege und Baumsanierung. Etwa je zur Hälfte arbeitet er für Privatpersonen und öffentliche Auftraggeber.
Ziel: Bäume erhalten
Er kontrolliert regelmäßig Baumbestände, legt fest, welche Maßnahmen zur Verkehrssicherung oder zum Baumerhalt wann erfolgen müssen, und kümmert sich um die Ästhetik oder Gestaltung von Bäumen. Seit vielen Jahren bildet Koch für die Nürnberger Schule Baumpfleger aus. Am Rande eines Kurses erzählt er, wie er zu seinem Beruf kam und welche Voraussetzungen nötig sind, um als Baumpfleger arbeiten zu können.

Die Initialzündung war ein Treffen auf der Mainau. Der neunmalige Weltmeister im Baumklettern, Bernd Strasser, neckte ihn, Landschaftsgärtner könnten keine Bäume schneiden. „Ich habe geschaut, wie die arbeiten, und beschlossen, das will ich auch können“, erzählt Koch. Ab dem Jahr 1990 besuchte er Kurse.
Proben für den Ernstfall
Ist Baumpflege gefährlich? Detlef Koch betont: „Wir Baumpfleger arbeiten auf Bäumen, an denen uns die Feuerwehr bei einem Notfall nicht helfen kann. Darum ist in Unterweisungen die Rettungsübung ein wesentlicher Bestandteil.“
Der Baum, der in Seilklettertechnik bestiegen wird, muss gesund, stand- und bruchsicher sein, nicht nur einen Kletterer tragen, sondern im Fall der Rettung auch zwei an einer Astgabel oder einem Ast, und er muss zuverlässige Ankerpunkte aufweisen.

Vier Männer und eine Frau nehmen am Kurs in Unteruhldingen teil. Sie mussten eine arbeitsmedizinische Eignung und einen Erste-Hilfe-Kurs nachweisen und volljährig sein. Eine gewisse sportliche Leistungsfähigkeit sei kein Nachteil, fügt Koch augenzwinkernd hinzu. Die können sie bereits am zweiten Tag beweisen. Da wird auf einer riesigen Rotbuche auf einem Privatgrundstück geübt.
Am Anfang steht eine Wurfschnur
Auch wenn es spektakulär aussieht, ist die Seilklettertechnik ein sehr sicheres Arbeitsverfahren. Die Vorbereitung dauert je nach Zielsicherheit kürzer oder auch mal länger, denn: Zunächst wird für jeden Teilnehmer eine Wurfschnur über eine starke Astgabel in der Baumkrone geworfen.

Bei einem späteren Trainingstermin zeigt Baumpflegerin Bettina Schimmelpfennig aus Konstanz, wie das funktioniert: Ein Wurfsäckchen beschwert die Schnur am Ende und fällt wieder auf den Boden. Dann verknotet sie das Aufstiegsseil mit dem Anfang der Schnur, zieht am Wurfsäckchen und damit das Aufstiegsseil über die Astgabel. Sie hängt sich kurz dran und prüft die Belastbarkeit des Astes.
Fünf Kilogramm technisches Gerät
Jetzt geht es ans Anziehen und auch das hat es in sich. Feste Schuhe, Handschuhe mit Grip und ein Schutzhelm sind obligatorisch. Der Klettergurt mit den vielen Karabinern, Abseilachter (einem Abseil- und Sicherungsgerät) und Verbindungsstücken wiegt locker über fünf Kilogramm.

Im Arbeitseinsatz könnte man noch eine Motorsäge oder anderes Werkzeug am Gurt tragen. Die versierte Baumpflegerin steigt durch die breiten Beinschlaufen und schließt den Gurt mit dem verstärkten Rückenteil. Dann folgen Brustgurt, Fuß- und Knieklemmen. Mitlaufende Klemmsicherungsgeräte helfen beim Treppenaufstieg.
Stürze sind gefürchtet
Baumpfleger sehen in voller Montur fast aus wie Bergkletterer. Detlef Koch beschreibt den Unterschied: „Dort sind es dynamische Seile, sie federn beim Fallen den Stoß ab. Unsere Seile sind statisch oder halbstatisch, wir sind überwiegend doppelt gesichert. Es darf kein Sturz oder Pendelsturz passieren, da ist das Verletzungsrisiko sehr hoch.“

Die mögliche Gefahr ist jedem Baumkletterer bewusst. Alle sind konzentriert bei der Sache, wirken aber nicht sehr angespannt. Sie arbeiten gerne in der Höhe und empfinden es als Privileg, dass sie solche Bäume wie den Übungs- oder Trainingsbaum erklettern dürfen.
Nicht jeder hohle Baum muss weg
Zu seiner Arbeit erklärt Koch, es gebe heute viele Möglichkeiten, Bäume zu untersuchen. Er weist auf ein großes Missverständnis hin: „Ein Baum, der innen hohl ist, ist nicht per se gefährdet. 15 Zentimeter Restwandstärke reichen aus, um viel Gewicht zu tragen.“ Bohrungen oder bildgebende Verfahren lassen Rückschlüsse zu. Danach wisse er, wie dicht das Holz an der Stelle sei.

Bei Pilzbefall unten am Stamm helfe ein Zugversuch. Auch durch Kippsensoren ließe sich ermitteln, ob ein Baum bruch- und standsicher ist oder eben nicht. „Es gibt auch eine ganze Menge Möglichkeiten, alte Bäume noch verkehrssicher zu halten und sie von einer in die nächste Generation zu vererben. Schließlich können viele Bäume über 100 Jahre alt werden.“
Respekt vor den Bäumen
Koch fasziniert, wie sich jeder Baum individuell an seinen Standort anpasst: „Wenn man versteht, was jeder Baum leistet, kriegt man Respekt.“ Gesunde Bäume fällt er daher sehr ungern. Bevor alte Bäume gefällt werden, werden sie auf vorhandene Lebensräume untersucht.
Der Erhalt von Habitatsstrukturen (Lebensräume von Tieren oder Pflanzen) oder das Schaffen neuer Nistplätze oder Fledermausquartiere sind wichtig, was Artenschutz und Biodiversität angeht.
Der Klimawandel ist sichtbar
Was ist mit dem Klimawandel? Koch sieht die Veränderungen seiner Schützlinge mit Sorge. Trocken- und Stresssymptomatik machten Bäume anfälliger für Krankheiten. Buchen bildeten beispielsweise viel Trockenholz aus, sagt er. Im Sommer zeige sich auch vermehrt Grünastbruch. Er sagt: „Die Bäume brauchen viel mehr Aufmerksamkeit, die Verkehrssicherheit gewinnt an Bedeutung.“