Der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) empfiehlt seinem Nachfolger, trotz langer Arbeitswochen nicht das Privatleben und die Familie zu vernachlässigen. „Wer verlangt denn heute noch von seiner Frau, dass sie ihm zu Hause den Rücken freihält, damit man 60-Stunden-Wochen durchstehen kann. Das ist doch aus der Zeit gefallen, das kann man heute einfach nicht mehr bringen“, sagt Kretschmann in der heute erscheinenden Biografie „Winfried Kretschmann – Im Herzen grün“.

Im kommenden März wählt Baden-Württemberg einen neuen Landtag. Dann endet – nach einer Rekorddauer von mehr als 14 Jahren – Kretschmanns Amtszeit. Um seine Nachfolge ringen Manuel Hagel (CDU) und Cem Özdemir (Grüne).

Lehren aus der Corona-Zeit

Zumindest eine Sache hat Kretschmann (77) laut der Biografie aus der Corona-Zeit in seinen Tagesablauf übernommen: Der leidenschaftliche Kartenspieler klicke nun regelmäßig kurz vor dem Einschlafen auf sein iPad und spiele Binokel. „Während der Corona-Zeit habe ich für mich das digitale Kartenspiel entdeckt und entspanne mich damit jetzt fast jeden Tag. Eine halbe Stunde vor dem Einschlafen, da bekomme ich den Kopf frei“, so Kretschmann. Und was wird der nach mehr als 14 Jahren aus dem Amt scheidende Ministerpräsident mit seinem Ruhestand anfangen?

„Lange war es Kretschmanns Traum, im Ruhestand noch einmal zu studieren, Theologie und Philosophie. Den Plan hat er aufgegeben“, heißt es in dem Buch. Er wolle sich nicht mehr durch irgendwelche Texte quälen, die er eigentlich nicht lesen wolle. „Kirchenführer zu werden, das könnte er sich nun vorstellen. In Oberschwaben gibt es eine Menge Kirchen und Klöster, die sich zu besichtigen lohnen“, schreibt Dagmar Seitzer. Zuletzt betonte der Katholik Kretschmann bei einem Besuch im Kloster Lorch nahe Schwäbisch Gmünd sein starkes Interesse für sakrale Kunst.

Freundschaft mit dem früheren Bischof

Dem Katholiken Kretschmann widmet die Autorin wichtige Passagen. Seine Leidenschaft für Kirchenführungen, seine Mitarbeit im Zentralkomitee der deutschen Katholiken und seine Freundschaft mit dem früheren Bischof der Diözese Rottenburg-Stuttgart, Gebhard Fürst, prägten sein Denken und Handeln. Das Unverständnis vieler bei den Grünen, auf die Kretschmanns tiefe Verbundenheit mit dem christlichen Glauben manchmal frömmelnd wirkt, spart die Autorin nicht aus.

Kretschmann regiert seit 12. Mai 2011 als Ministerpräsident. Zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland wurde mit ihm ein Grüner Ministerpräsident eines Bundeslandes. Kretschmann wurde zweimal wiedergewählt. Dass er ein knallharter Pragmatiker ist, dem ein Freund-Feind-Denken immer fremd blieb, bekamen die Sozialdemokraten nach der Landtagswahl 2016 zu spüren. Anstatt eine Ampelkoalition zu schmieden, schwenkte der Landesvater zur CDU um – ein bemerkenswertes Aufeinanderzugehen, waren sich doch Schwarze und Grüne von jeher spinnefeind gewesen. (KNA)