Ein Themenabend der im März dieses Jahres gegründeten SPD-Frauen Bodenseekreis: Die Vorsitzende Barbara Oppelz hat nach Überlingen eingeladen, über ein Thema zu sprechen, das viel zu oft tabuisiert und totgeschwiegen wird: Prostitution in der Region – mit Blick auf Friedrichshafen, Ravensburg, aber auch über die Bodenseegrenzen hinaus.

Erst dieser Tage berichtete die Polizei über den Fall einer Frau, die wegen illegaler Prostitution in Überlingen und Owingen angezeigt wurde. Hier steht zunächst sie als mutmaßliche Täterin im Zentrum der Ermittlungen. Dabei gibt es Forderungen, wie in anderen Ländern zu verfahren, beispielsweise in Schweden. Dort werden nämlich nicht die Frauen, sondern die Freier und Zuhälter bestraft.

Hintergrund aus sozialer Arbeit

Um besser in das Thema einzutauchen, berichten Veronika Wäscher-Göggerle, Frauen- und Familienbeauftragte des Bodenseekreises, und Dörte Christensen von Arkade e. V. von ihren Begegnungen in der sozialen Arbeit mit Prostituierten und erläutern, welche Rolle die Legalität von Prostitution in Deutschland für die aktuelle Lage spielt.

„Deutschland ist das Bordell Europas“, sagt Vorsitzende Barbara Oppelz und meint damit, dass Prostitution im Gegensatz zu vielen anderen Ländern Europas hier seit 2002 legal ist. Dass Freier teilweise auch aus umliegenden Ländern kommen, verstärke den Effekt, dass Frauen als Ware betrachtet würden, die man kaufen könne.

Nach wie vor in der Illegalität

Während der Vorträge von Christensen und Wäscher-Göggerle sieht man fassungslose Gesichtsausdrücke und Kopfschütteln bei den Anwesenden. Man merkt schnell, wie emotional aufgeladen das Thema ist. Zur Sprache kommt auch, dass trotz der Legalisierung in Friedrichshafen nur 146 Frauen offiziell angemeldet sind, während sich tatsächlich viel mehr Frauen prostituieren, die sich also in der Illegalität bewegen und ohne jeden Schutz arbeiten.

„Das macht es so schwer zu sagen, wie viele Frauen täglich Körper und Seele verkaufen. Die Frauen sprechen oft kein Deutsch, kommen zum Beispiel aus Rumänien oder Thailand und werden mit falschen Versprechungen hierher gelockt, als Haushaltshilfe beispielsweise“, erklärt Sozialarbeiterin Dörte Christensen.

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Zur Sexarbeit vielfach gezwungen

Doch auch aus der Not oder Armut heraus werden viele Frauen in die Prostitution gedrängt. Dass nur ein sehr kleiner Prozentsatz der Frauen freiwillig als Prostituierte arbeitet, wissen Christensen und Wäscher-Göggerle aus ihrer jahrelangen Arbeit und ebenso, dass man beim Thema Prostitution kaum mit genauen Zahlen arbeiten könne.

Klar ist jedoch: Viele Frauen müssen mehrere Freier bedienen, um allein die Zimmermiete zu finanzieren. Was sie dabei erleben müssen, können und möchten sich die Anwesenden nicht vorstellen. Genau aus diesem Grund, so die Referentinnen, sei es so wichtig, nicht länger wegzusehen. „Nutten sind auch nur Menschen“, sagt Veronika Wäscher-Göggerle.

Anonyme Treffpunkte schwer kontrollierbar

Seit Corona ist die illegale Prostitution noch schwieriger zu erkennen geworden. Hotels, Ferienwohnungen oder Airbnb sind zu anonymen Treffpunkten, die besonders für Polizei und Behörden schwer zugänglich sind und den Frauen, Männern und Trans-Personen, die sich prostituieren, keinerlei Schutz vor Übergriffen bieten.

Das Thema Schutz ist überhaupt ein zentraler Punkt an dem Abend – ebenso wie das Prostituiertenschutzgesetz. Für Christensen ist es besonders wichtig, dass Deutschland mehr Schutz für Frauen bietet, auch für diejenigen, die illegal arbeiten und keinen Zugang zu medizinischer Hilfe haben.

Wäscher-Göggerle selbst möchte mehr Aufmerksamkeit auf das sogenannte Nordische Modell lenken, bei dem die Prostituierten nicht bestraft werden, sehr wohl aber Zuhälter und Freier.

Ausstiegsprogramme gibt es

Nach den Vorträgen werden Fragen gestellt und diskutiert, obwohl fast alle der Meinung sind, dass Deutschland hier Veränderung brauche: für die Frauen, Männer und Trans-Personen, die ausgebeutet, als Ware gesehen und mit kaum einer Chance aus diesem Geschäft herauskommen. Denn auch wenn es Ausstiegsprogramme gibt, ist der Schritt dorthin schwierig, und der Prozess des Ausstiegs ist ein Auf und Ab, wie Sozialarbeiterin Christensen erklärt: „Es ist kein klarer Weg und kein einfacher. Aber wir unterstützen die Frauen, begleiten sie zu Ämtern oder gehen einfach mit ihnen spazieren. Manche Frauen haben noch nicht einmal den Bodensee gesehen, obwohl sie nur wenige Kilometer entfernt leben.“

Doch natürlich stellt sich besonders eine Frage: Warum? Warum wird bei Prostitution immer noch weggeschaut und warum werden die Frauen entmenschlicht? Warum ist es immer noch ein Tabuthema, darüber zu sprechen? Und wieso wird weggesehen, gerade dann wenn es wehtut? All diese Fragen beschäftigen sowohl die Expertinnen als auch die Zuhörerinnen und Zuhörer. Ihnen ist bewusst: In Deutschland, an der Gesetzgebung, aber auch in den Köpfen der Menschen müsse sich etwas ändern.

Auch wenn es verschiedene Sichtweisen und Verbesserungsvorschläge gibt, wie Christensen und Wäscher-Göggerle selbst betonen, ist klar, dass es vor allem um Sicherheit und Sichtbarkeit geht. Veronika Wäscher-Göggerle sagt: „Es ist ein Herzensprojekt. Die Ausrede, dass es schon immer so gewesen ist oder das es das älteste Gewerbe der Welt ist, ist längst nicht mehr tragbar.“