Sigmaringen – 85 000 Papiertüten mit der Aufschrift „Gewalt gegen Frauen kommt nicht in die Tüte“ gingen im vergangenen Jahr in rund 60 Bäckereien und ihren Filialen im Kreis Sigmaringen über die Ladentheken. Der Caritasverband macht mit dieser Aktion auf ein Thema aufmerksam, das auch im Landkreis Sigmaringen durchaus präsent ist: Gewalt gegen Frauen in häuslicher Umgebung ist keine Seltenheit und beschäftigt auch immer wieder die Polizei. Diese Aktion fand anlässlich des „internationalen Gedenktages gegen Gewalt an Frauen und Mädchen“ um den 25. November statt.
In diesem Jahr wird im Rahmen des Gedenktages mit einer neuen Aktion auf das Thema „häusliche Gewalt“ aufmerksam gemacht werden.
Am 24. November stehen auf dem Leopoldsplatz von 10 bis 13 Uhr in Sigmaringen 89 Paar Schuhe dafür, wie viele Betroffene im Jahr 2015 die Beratungsstelle aufgesucht haben. Die Schuhe sollen ein Blickfang für Passanten sein, es kann nachgefragt werden oder einfach nur betrachtet werden. Kleine Geschichten zu den Schuhen zeigen auf wie unterschiedlich Gewalt im häuslichen Umfeld aussehen kann. Am Aktionstag werden neben der Beratungsstelle häusliche Gewalt auch das Frauennetzwerk und die Polizei als Ansprechpartner zur Verfügung stehen. Die Veranstalter freuen sich auf viele Besucher, um gemeinsam bei Kaffee und Punsch ins Gespräch zu kommen.
Dieser Aktionstag ist der Auftakt für die „Ausstellung“, welche im Anschluss an den Tag im Foyer des Landratsamtes noch eine Woche besichtigt werden kann. Parallel dazu setzt Terre des Femmes mit der Fahne „frei Leben – ohne Gewalt“ ein weiteres sichtbares Zeichen gegen Gewalt an Frauen und Mädchen. Diese Fahnen sind an verschiedenen Einrichtungen im gesamten Landkreis zu finden.
Wie hilfreich es ist, dass es die Beratungsstelle häusliche Gewalt, deren Träger der Caritasverband Sigmaringen ist, im Landkreis Sigmaringen gibt zeigt folgendes Interview mit Aline S. (Name der Redaktion bekannt). Die 38-Jährige ist seit dem Sommer geschieden. Es war ein langer Leidensweg bis dahin. Sieben Jahre war sie mit ihrem späteren Mann zusammen. „Am Anfang war alles okay“, erinnert sie sich. Es kamen Kinder. Das Familienglück war perfekt. Sie wusste nicht, dass ihr Mann bereits eine Alkoholtherapie gemacht hatte.
Dann fing er wieder an zu trinken. Anfangs wurde er nur laut, Gewalt gab es nicht. Nach zwei bis drei Jahren kam es aber immer wieder zu Gewaltausbrüchen. Aline wurde an den Haaren gezogen, geschlagen. Warum hat sie ihn nicht verlassen? Es kommen die Tränen. „Er war eigentlich ein guter Mensch, war hilfsbereit, hatte zwei goldene Hände“, sagt sie mit leicht erstickter Stimme. Sie hatte die Hoffnung, dass es aufhört. Immer wieder folgte nach den Gewaltausbrüchen das Verzeihen. Aber es wurde immer schlimmer. Er machte wieder eine Entwöhnung. Genützt hat es nichts. Nach einer weiteren Therapie trank er zunächst nicht mehr. Als der Rückfall kam, da legte sie ihm nahe, dass er gehen solle.
Doch er hatte kein Einsehen. Sie suchte nach Hilfe. Als sie ihre Eltern besuchte, da fand sie den Mut, Frauenhäuser anzurufen. „Ich konnte doch nicht mehr nach Hause“, sagt sie. Das Ergebnis war ernüchternd und erschreckend zugleich. „Kein Platz“ oder „nicht zuständig“ hieß es. In Biberach bekam sie die Telefonnummer von Bettina Häberle von der Beratungsstelle in Sigmaringen. Und das war dann der erste Schritt zur Hilfe. „Sie hat mich gefragt, warum ich gehen soll und nicht der Mann“, erinnert sich Aline. Nach mehreren Gesprächen fühlte sie sich stark genug und holte nach einem Gewaltausbruch die Polizei.
Die Gespräche mit der Sozialarbeiterin haben ihr Kraft und Zuversicht gegeben. Sie habe sich interessiert, habe Kraft gegeben. „Frauen in diesen Situationen brauchen die Möglichkeit zum Gespräch, brauchen Unterstützung“, weiß sie aus eigener Erfahrung. Mittlerweile versucht sie, Betroffenen zu helfen. Sie ist überzeugt, dass die Fälle von häuslicher Gewalt zugenommen haben, dass viele Frauen ein Problem haben. Wenn zu Hause nicht alles klar sei, dann würden Betroffene nach außen hin zwar lächeln, doch das sei nur Fassade. „Man lächelt, aber die Seele weint.“