Debatten können fruchtbar sein – wenn sie für eine Gesellschaft neue Erkenntnisse bringen. Leider hat man zunehmend den Eindruck, dass Kontroversen, die in Deutschland ausgefochten werden, mehr der Profilierung von Politikern oder Lobbyisten dienen als dass sie sich in Richtung eines allgemeinen Nutzens entwickeln.
Genau das ist nach dem tragischen Berliner Verkehrsunfall zu beobachten, der vier Menschen das Leben gekostet hat. Vermutlich hätte jeder durchschnittliche Pkw die Ampel umknicken und die Passanten umfahren können. Nun aber war es ein SUV, mit dem der Unfall verursacht wurde, und so war das Echo erwartbar: Raus aus den Städten mit diesen Ungetümen!
Ein weiterer Täter-Wagen
Kommt Ihnen das bekannt vor? Bisher war es der Diesel, der als Umweltfeind Nummer 1 unter Federführung der Deutschen Umwelthilfe (DUH) und vieler grüner Erfüllungsgehilfen aus den Städten verbannt werden soll. Jetzt kommt mit dem sogenannten Offroader ein weiterer Täter-Wagen dazu, und wenn ein Diesel in ihm verbaut ist, sieht er natürlich erst recht die rote Karte.
Auch der Autor dieser Zeilen ist kein Freund der SUV, aber ein wenig differenzierter dürfte der Blick der Kritiker schon sein. Zunächst hätte die Berliner Tragödie auch von einem Sprinter, einem Pickup, einem Campingbus und natürlich von einem Lkw verursacht werden können. Müssten diese Autofamilien konsequenterweise nicht auch mit einem urbanen Bann belegt werden?
Länger, breiter, stärker
Den SUV-Dickschiffen wie BMW X8, Audi Q8, VW Tuareg, Mercedes GLS oder Porsche Cayenne sind viele Parkplätze kaum noch gewachsen. Das ist Fakt. Aber auch die Limousinen werden von IAA zu IAA länger und breiter, von der ständigen und klimapolitisch widersinnigen Steigerung der Motorleistung ganz zu schweigen. Sollen Parkplätze künftig also nur noch den Kleinwagen zur Verfügung stehen?
Eine Million neue SUV in diesem Jahr
Was die Kritiker zu ihren jüngsten Wortmeldungen anspornt, ist vermutlich die wachsende Liebe der Deutschen zum SUV. In diesem Jahr werden hierzulande wohl erstmals mehr als eine Million dieser Fahrzeuge verkauft. Allein bei BMW liefen bisher ein Drittel mehr SUV vom Band als 2018. Zwischen Beliebtheit bei den Kunden und öffentlich-medialem Image hat sich allerdings in der aktuellen Klimadebatte eine Lücke aufgetan. Neuerdings gelten die Sport Utility Vehicles als Umweltschädlinge und versoffene Spritschlucker.
Jacke wie Hose
Das liegt nicht zuletzt an ihrer bulligen optischen Präsenz als auch an der Erfahrung, auf der Autobahn von Dickschiffen überholt zu werden. Sie fahren meist deutlich schneller als 150 km/h und untermauern damit das pralle Selbstbewusstsein des Besitzers, dem Spritverbrauch wie CO2-Ausstoß Jacke wie Hose zu sein scheinen. So schaden die schweren SUV dem Ansehen dieser Fahrzeugklasse bei jenen, die ein herkömmliches Fahrzeug fahren.
Kleinere Modelle gefragt
Daher ist es erfreulich, dass der bekannte Autoexperte Ferdinand Dudenhöffer zu einer Versachlichung der Debatte beiträgt, denn SUV ist nicht gleich SUV. Nach seiner Erhebung sind es besonders die kleineren und mittleren Modelle, die vorwiegend von Älteren gekauft werden. Die Modelle verbrauchen im Schnitt 6,2 Liter Kraftstoff, womit sie nicht durstiger als normale Mittelklasse-Autos sind. Der CO2-Ausstoß liegt bei 144 Gramm pro Kilometer.
Diese Menge ist umweltpolitisch zwar wenig ambitioniert, schneidet aber im Vergleich mit der Abgasmenge der Coupés unserer Premium-Marken besser ab. Diese pusten 173 Gramm CO2 in die Luft. Konsequenterweise sollte Jürgen Resch, als Chef der Deutschen Umwelthilfe oberster Luftreinhalter der Republik, den sofortigen Ausschluss aller Coupés und Sportwagen aus den Innenstädten fordern.
Tödliche Pferdefuhrwerke
Wenn wir schon beim Vergleichen sind: Um 1900 herum kamen in den Großstädten Europas jährlich Dutzende von Menschen im Verkehr ums Leben – nicht, weil dort so viel Autos fuhren. Vielmehr rollten tausende Pferdefuhrwerke auf den Straßen. Bekanntlich können Pferde dem Kutscher durchgehen und Menschen unter die Räder kommen. Wer wäre damals auf die Idee gekommen, die Städte für Fuhrwerke zu sperren?
Mit dem Auto sank die Zahl der Unfälle, denn die Maschine ist beherrschbarer als das Tier. Und in Zukunft wird die Digitalisierung die Maschine noch umfassender kontrollieren. Stichwort: Fahrassistenz-Systeme. Unfälle wie der in Berlin werden dann vermutlich der Vergangenheit angehören.