Tokio, das zeigt sich an einem Abend Anfang Juli, hat eine ganze Branche enttäuscht. Im Westen der Stadt trifft eine Handvoll Bauarbeiter in den Räumen der Gewerkschaft Zenkensoren zusammen, um sich über den Alltag auf den olympischen Baustellen auszutauschen. Die meisten von ihnen sind über 60 Jahre alt. Sie arbeiten noch, weil ihre Rente allein nicht zur Erhaltung ihres vorigen Lebensstandards reicht. Und weil sie angesichts des akuten Arbeitskräftemangels in Japans alternder Gesellschaft gebraucht werden.
Ein Arbeiter berichtet
Doch hier, in einem Großraumbüro mit grellem Licht, grauen Tischen und vielen Akten aus Papier, wirkt es nicht so, als würden diese Arbeiter so behandelt, als wären sie unverzichtbar. Ein 62-jähriger Herr mit grauem Bart, der das olympische Dorf mit aufbaut, verschränkt seine Arme: „Vor fünf Jahren, als die Arbeiten begannen, haben sie uns versprochen, dass es einen Boom geben wird. Aber die Löhne sind immer noch so niedrig wie vorher.“ Weil alles schneller gehen müsse als bei anderen Bauprojekten, sei man ständig in Eile. „Wir arbeiten wie am Fließband. Wir können jeden Abend erst nach Hause, wenn alles fertig geworden ist. Selbst wenn es regnet, sollen wir Zement auftragen, obwohl man das eigentlich nicht tun sollte.“
28 Tage arbeiten ohne Pause
Erst im Mai veröffentlichte der Gewerkschaftsbund Bau- und Holzarbeiterinternationale (BWI) einen erschreckenden Bericht. Demnach müssen Arbeiter bis zu 28 Tage ohne Pause antreten und die Hälfte von ihnen arbeite ohne schriftlichen Vertrag. Sicherheitskleidung müssten einige Arbeiter selbst bezahlen. Zu zwei Todesfällen soll es gekommen sein.
Empfehlung für ein kleineres Budget
An einem anderen Tag ist Shinichi Ueyama am Telefon. Ueyama ist Professor für öffentliche Verwaltung an der renommierten Keiko Universität und saß der Expertenkommission vor, die die horrende Kostenschätzung aufstellte. Halbwegs zufrieden berichtet er: „Mit unseren Empfehlungen konnten wir das erwartete Budget auf 20 Milliarden US-Dollar reduzieren. Am meisten Einsparungen wurden durch die verkleinerte Kapazität der Schwimmhalle und auf den Baustellen erreicht.“
Auch der Steuerzahler wird belastet
Wird der Steuerzahler also einigermaßen verschont? Am anderen Ende der Leitung ist ein Lachen zu hören. „Daran glaubt niemand. Die gesamte Finanzierungsverantwortung trägt doch die Tokioter Metropolregierung.“ Es werden also nicht nur die Stadionbauten an den Bürgern Tokios hängen bleiben, die die Offiziellen als lohnende Investitionen für ihre Stadt bezeichnen. Falls die Organisatoren doch nicht genügend Sponsorengelder einsammeln, um die Betriebskosten von Busshuttles über Strom bis zu Kleidung für die Helfer zu schultern, dann müssen auch dafür am Ende die Steuerzahler geradestehen.
Ob sich Shinichi Ueyama trotz allem auf die Olympischen Spiele freut? Einen Moment Schweigen Am Telefon. „Ich schaue schon gern Sport“, sagt er. Aber ob eine so gut ausgestattete Weltstadt wie Tokio wirklich diese neuen, teuren Anlagen brauche? Da sei er sich nicht so sicher.