Tuttlingen – Binder ist ein klassisches Exportunternehmen. „80 Prozent unserer Produkte gehen ins Ausland“, sagt Firmenchef Peter Binder. Ein Drittel seines Umsatzes macht die Binder GmbH in Asien. Doch produziert wird ausschließlich in Tuttlingen. 22 000 Simulationsschränke, mit denen biologische Proben oder physikalische Gegenstände unter anderem auf ihre Resistenz gegenüber besonders hohen oder besonders niedrigen Temperaturen getestet werden können (siehe Infokasten), verlassen Jahr pro Jahr die Produktionshallen von Binder. Und erst vor Kurzem hat Binder eine neue moderne Fertigungshalle, die sogenannte Competence Factory, in Betrieb genommen. 12 Millionen Euro war Binder dieses Projekt wert. Nach eigenen Angaben ist Binder mittlerweile der weltweit größte Spezialist für serienmäßig hergestellte Simulationsschränke.

63 Millionen Euro erwirtschaftete Binder 2016 mit seinen 400 Mitarbeitern. Bis 2025 soll der Umsatz auf 120 Millionen Euro steigen, so die Planung von Peter Binder. Und auch die Mitarbeiterzahl soll sich in diesem Zeitraum auf 500 erhöhen. Wobei in der Produktion an sich immer weniger Menschen benötigt werden. Binder setzt auf schlanke Produktionsprozesse. So trifft man in der Competence Factory, die sich immerhin auf eine Fläche von über 8000 Quadratmetern erstreckt, kaum noch Menschen an. Industrie 4.0, also die digitale Vernetzung der Produktion, ist das große Zauberwort der Branche. Durch intelligente Programmierungen und Automatisierungen lassen sich so viele menschliche Handgriffe einsparen.

Die dadurch freigesetzten Kräfte investiert Binder lieber in die Forschung und Entwicklung. Fast 10 Prozent des Umsatzes, also knapp 6 Millionen pro Jahr, fließen in die Optimierung und Weiterentwicklung der Simulationsschränke, für die das Unternehmen 2005 ein neues Forschungszentrum errichtet hat. Auch die Einführung von SAP-Software im gesamten Unternehmen habe Binder einen Schritt nach vorne gebracht, erklärt Peter Binder.

Für Peter Binder ist seine Firma, die er 1983 mit nur fünf Mitarbeitern als Garagenfirma gründete, eine Herzensangelegenheit. Nie würde er sein Unternehmen verkaufen, egal wie gut das Angebot wäre, sagt er. Der 64-Jährige stammt aus einer Unternehmerfamilie. So stellten seine Vorfahren im 19. Jahrhundert unter anderem eine Schuhmanufaktur auf die Beine und entwickelten ab den 1920er-Jahren medizinische und chirurgische Instrumente.

Brexit bereitet Bauchschmerzen

Sorgen macht Binder allerdings der zunehmende Protektionismus in der Weltwirtschaft. „Wir sind vom Freihandel abhängig“, sagt der studierte Elektrotechniker. Leider entwickele sich der Welthandel derzeit zurück, erklärt Binder mit Blick auf den Brexit und die Androhung von Importzöllen durch US-Präsident Donald Trump.

Binder verkauft seine Simulationsschränke in 135 Länder und unterhält in den USA, in Russland und in China Vertriebsorganisationen. Binder will nicht ausschließen, eines Tages auch in Asien zu produzieren, doch im Moment sei das kein Thema. „Unsere Kunden schätzen die Präzision und Zuverlässigkeit deutscher Facharbeit“, sagt er. Deshalb werden alle Fertigungsschritte, vom Stanzen, Biegen und Schweißen über die Isolierung bis zur Montage, in Tuttlingen durchgeführt. Sein zweites Sorgenkind ist der Fachkräftemangel. Es sei immer schwieriger, gut qualifiziertes Personal zu finden, sagt Binder. Wie es mit der Firma weitergeht, wenn er sich eines Tages zurückzieht, sei bereits geregelt, sagt Binder. Er wünsche sich einen internen Nachfolger, der die Tradition des Familienunternehmens fortsetzt. „Bei uns ist der Chef ein Teammitglied wie jeder andere Mitarbeiter“, sagt Binder, fügt allerdings hinzu, dass er als Chef immer ein Vetorecht habe.

Simulationsschränke

Die Schränke von Binder können Temperaturen von bis minus 86 Grad bis plus 300 Grad simulieren. Auch die Luftfeuchtigkeit und bestimmte Lichtverhältnisse können die Schränke nachbilden. Die verschiedensten Eigenschaften von physikalischen Materialien, biologischen Proben oder Pflanzen können so getestet werden. Eingesetzt werden die Schränke vor allem in der Forschung sowie in der Auto-, Raumfahrt- und Chemieindustrie. (td)

Viele Weltmarktführer auf kleinem Raum: Tuttlingen und sein Industriecluster

  • Die Stadt: Tuttlingen hat 35 000 Einwohner und bietet gleichzeitig 23 000 Arbeitsplätze an. Da Rentner, Kleinkinder, Schüler und Studenten logischerweise dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung stehen, pendeln Tag für Tag Tausende Arbeitnehmer in die Stadt. Das Einzugsgebiet reicht bis zum Bodensee. Auf dem Arbeitsmarkt herrscht praktisch Vollbeschäftigung. Der Landkreis Tuttlingen hat die zweithöchste Industriedichte in ganz Baden-Württemberg.
  • Die Medizintechnik: In Tuttlingen sind 1900 Unternehmen beheimatet. Davon sind 600 Betriebe mit der Herstellung von chirurgischen und medizintechnischen Erzeugnissen beschäftigt. Aus diesem Grund wird Tuttlingen gerne als „Weltzentrum der Medizintechnik“ bezeichnet. „Die Region ist die schwäbische Antwort auf die Globalisierung“, schrieb das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ einmal. Viele Firmen arbeiten entlang einer Wertschöpfungskette.
  • Große Unternehmen: Die Aesculap AG ist das älteste und renommierteste Unternehmen der Chirurgiebranche in Tuttlingen. Es gehört seit 1998 der B. Braun Melsungen AG. Aesculap ist mit 3500 Mitarbeitern der größte Arbeitgeber der Stadt. Ein weiteres wichtiges Unternehmen in Tuttlingen ist die Karl Storz SE, ein Spezialist für medizinische Instrumente. Das Familienunternehmen beschäftigt weltweit 7100 Mitarbeiter, davon knapp 2000 im Stammhaus in Tuttlingen.
  • Bildung: Tuttlingen hat keine eigene Universität, aber einen Hochschulcampus der Hochschule Furtwangen. Dieser bietet unter anderem Studiengänge im Bereich Medizintechnik, Mechatronik und Werkstofftechnik an. Eine Besonderheit ist die enge Kooperation mit der Industrie vor Ort. (td)