Herr Schwabe, Herr Stroetmann, die Zulieferindustrie kämpft seit Jahren mit einer vielfachen Krise. Jetzt steckt auch die ETO Gruppe in Problemen. Wie tiefgreifend sind diese?
Michael Schwabe: Wir haben unsere Umsatzziele für das abgelaufene Geschäftsjahr 2024 deutlich verfehlt. Ausgehend von 483 Millionen Euro Umsatz im Jahr 2023 hatten wir uns für das vergangene Jahr mehr als 500 Millionen Euro vorgenommen. Angesichts der allgemeinen Branchenschwäche und durchweg belastenden Rahmenbedingungen haben wir dieses Ziel nicht geschafft. Im Jahresverlauf haben wir erfolgreich gegengesteuert und letztlich rund 430 Millionen Euro 2024 umgesetzt.

Was bedeutet der Einbruch für die Ertragslage von ETO?
Schwabe: Dieser empfindliche Umsatzrückgang hat sich leider auch im Ergebnis niedergeschlagen – das wurde negativ, unter dem Strich und operativ. Zu einem Verlust haben auch erhebliche Abschreibungen und Wertberichtigungen auf unsere Vermögenswerte und Beteiligungen beigetragen.
Ist die Liquidität bei der ETO gesichert?
Hubertus Stroetmann: Als Finanzchef liegt mein Hauptaugenmerk seit geraumer Zeit darauf, die Liquidität des Unternehmens sicherzustellen, was uns gut gelingt.

Bleiben die kreditgebenden Banken als Geldgeber bei der Stange?
Stroetmann: Die Banken sind langfristige Finanzierungspartner, mit denen wir uns ebenso vertrauensvoll wie vertraulich austauschen, das sind gute Gespräche. Auf dieser Grundlage bin ich optimistisch, dass uns im laufenden Jahr mithilfe der Banken auch die Refinanzierung von auslaufenden Krediten gelingt.
Was sind die Gründe für die Krise im Unternehmen?
Schwabe: Mit unseren Produkten sind wir vor allem im Nutzfahrzeug-Geschäft sowie bei PKW- und Industrie-Kunden vertreten. Alle drei Bereiche haben 2024 sinkende Umsätze ausgewiesen. Besonders ausgeprägt ist die allgemeine Konjunkturschwäche bei unseren Nutzfahrzeug-Kunden, die sich wegen der globalen Unsicherheit bei Investitionen zurückhalten. Im Verlauf des vergangenen Geschäftsjahrs hat beispielsweise unser mit Abstand wichtigster Kunde ziemlich überraschend große Aufträge storniert. Das allein hat bei uns zu Umsatzeinbrüchen im mittleren zweistelligen Millionenbereich geführt.
Viele globale Krise des vergangenen Jahrs bestehen auch 2025 fort. Wie war das erste Quartal 2025 für die ETO?
Stroetmann: Der Jahresbeginn ist naturgemäß eher schleppend, allerdings liegen wir nach drei Monaten bei über 100 Millionen Euro Umsatz. Insgesamt sind wir also auf Kurs, denn wir peilen für das gesamte Jahr 2025 konstante Erlöse von 430 Millionen Euro an und wollen natürlich operativ wieder eine schwarze Null schreiben. Stand heute erfordert dies noch große Anstrengungen. Wir werden daher perspektivisch um größere Einschnitte nicht herumkommen.

Aus informierten Kreisen heißt es, ETO arbeite seit Monaten mithilfe externer Berater an einer Restrukturierung der Geschäfte. Welche Maßnahmen werden Sie ergreifen, um das Unternehmen wieder auf Spur zu bringen?
Schwabe: In der Tat bereiten wir ein umfassendes Maßnahmenpaket vor, denn bis 2027 wollen wir ETO mit Blick auf die Profitabilität wieder ins obere Drittel der Branche bringen. Wir sind dabei konkrete Schritte zu erarbeiten, die Umsätze nicht nur zu stabilisieren, sondern wieder zu steigern. Dazu gehört, mit intensiveren Vertriebsmaßnahmen neue Projekte zu gewinnen.
Ebenso werden wir auch bei Schlüsselkunden Preise nachverhandeln. Außerdem geht es darum, die Effizienz in der Produktion zu steigern und natürlich müssen wir unsere Kosten im Unternehmen in den Griff bekommen, etwa, indem wir unsere hohen Budgets in Forschung und Entwicklung hinterfragen.

Wird es zu Einschnitten bei der Beschäftigung kommen?
Stroetmann: Das kann ich aus heutiger Sicht leider nicht ausschließen. Unsere Mitarbeiterzahl ist derzeit auf Umsatzziele jenseits der 500 Millionen Euro ausgerichtet. Die entscheidende Frage ist, auf welchem Wege und wann wir uns diesem Ziel wieder annähern.
Das klingt nicht nach Entwarnung – was tun Sie denn jetzt schon mit Blick auf das Personal?
Stroetmann: Seit dem vergangenen Geschäftsjahr werden freiwerdende Stellen bei ETO nur noch in Ausnahmefällen wiederbesetzt. Außerdem haben wir in den vergangenen Monaten alle Leiharbeitsverträge gekündigt und befristete Verträge nicht mehr verlängert. So haben wir unternehmensweit im Jahr 2024 schon rund 120 Stellen eingespart. 2025 sind bisher noch einmal 80 zusätzlich hinzugekommen.

Angesichts roter Zahlen und eines Restrukturierungsprogramms kann das aber doch nicht alles sein?
Schwabe: Seit Dezember 2024 nutzen wir konzernweit Kurzarbeit, um die Auftragsrückgänge abzufangen. Das Instrument steht uns noch bis Ende 2025 zur Verfügung. Sollte sich die Auftragslage bis dahin nicht spürbar gebessert haben, wären als letztes Mittel auch betriebsbedingte Kündigungen nicht ausgeschlossen. Aus heutiger Sicht ist das nicht unwahrscheinlich, weil es aktuell wenige Anzeichen für einen nachhaltigen Aufschwung gibt. Wir tun aber alles, um Härten für die Mitarbeitenden abzuwenden. In diesem Zusammenhang erinnere ich gerne an den Stiftungszweck der Christa und Hermann Laur-Stiftung, als Eignerin der ETO. Dieser definiert das Wohl der Mitarbeitenden als entscheidend, nicht die Gewinnmaximierung.
Knapp die Hälfte der weltweit rund 2300 Mitarbeitenden arbeitet am Stockacher Stammsitz. Wird es auch hier zu Einschnitten kommen?
Schwabe: Auch Stockach wird bei möglichen Personalanpassungen seinen Beitrag tragen müssen.
ETO ist mit Standorten in Europa, Asien und Nordamerika präsent. Werden Werke geschlossen?
Stroetmann: Wir rechnen gerade durch, ob es angesichts der von der Regierung Trump eingeführten Zölle eine Option sein könnte, unser Werk in Mexiko in die USA zu verlagern. Da gibt es aber noch keinen Beschluss.
Welche Überlegungen gibt es zum Standort Stockach und den übrigen Werken in Baden-Württemberg?
Schwabe: Wir stehen zu Stockach als Stammsitz der ETO. Möglich ist sogar, dass hier Kapazitäten zusammengezogen werden. Unsere Werke in Nürnberg und Vaihingen sind profitabel und stehen nicht zur Disposition.
Seit 2019 erschließt die ETO neue Geschäftsfelder jenseits von Automobil und Nutzfahrzeug, etwa in der Gesundheitsbranche oder der Landwirtschaft. Welche Maßnahmen stehen hier an?
Schwabe: Wir haben in den vergangenen Jahren viel in Neuentwicklungen investiert. Die neuen Geschäftsfelder müssen jetzt an- oder hochlaufen sowie profitabel werden. Ansonsten könnten wir erwägen, sie wieder herunterzufahren oder zu verkaufen. In den nächsten drei bis sechs Monaten wird es hier klare Entscheidungen geben. Im Moment sind wir dabei, für diese neuen Geschäftsfelder der ETO Lösungsmöglichkeiten auszuloten.
Mit den roten Zahlen im Geschäftsjahr fällt ETO als Gewerbesteuerzahler für die Stadt Stockach wahrscheinlich aus. Wann können die kommunalen Finanzen wieder mit ETO rechnen?
Stroetmann: Auf Grundlage einer erfolgreichen Restrukturierung hoffen wir ab dem Jahr 2027 wieder ein guter Gewerbesteuerzahler für Stockach zu sein.