
Das Kunstwort aus England mag auf den ersten Blick wie ein Witz erscheinen, ist aber erschreckend ernst gemeint. Von Handysucht, virtueller Dauerbereitschaft und dem Gräuel der Bedeutungslosigkeit, sobald man den Stecker zieht.
Keine 20 Jahre ist es her, da lachte man über Mitmenschen, die mit ihren riesigen Handys über die Straße gingen. Telefonieren, das war etwas für zu Hause oder das Büro. Außerdem wäre es ja noch schöner gewesen, ständig und überall erreichbar zu sein. Niemals mehr war man sich so einig über das Telefon, als zu jener Zeit. Mobile Telefone waren etwas für Spinner und höchstens für den Bundeskanzler von eklatanter Wichtigkeit. Dass nur wenige Jahre später genau das Gegenteil eintrat, ist kaum zu fassen. Heute überreden dieselben Personen, die damals vehement das Handy ablehnten, ihre Eltern, sich doch bitte endlich ein mobiles Telefon zuzulegen. Dies sei viel praktischer bei Verkehrsunfällen, Terminänderungen und bei einsamen Waldspaziergängen. Vernünftige Einwände dagegen gibt es im Grunde genommen nicht, außer vielleicht dem Totschlagargument: Früher ging es doch auch ohne Handy!
Jeder zweite Handy-Nutzer betroffen
Auf den ersten Blick klingt das Kunstwort sehr lustig. Wer leidet schon unter der Angst, mobil unerreichbar zu sein? Doch die Antwort ist erschreckend. Mehr als die Hälfte aller Handynutzer ist von diesen unguten Gefühlen betroffen. Musste man sich vor einem Jahrzehnt noch daran gewöhnen, sein Handy einzustecken, sobald man das Haus verlässt, ist das heutzutage ähnlich unwahrscheinlich, wie in Hausschuhen zur Arbeit zu fahren. Ohne die Sicherheit der ständigen Erreichbarkeit geraten nicht nur offensichtlich Handysüchtige in Panik. Mit Handysüchtigen verknüpft man entweder Geschäftsleute, die dauernd den Apparat am Ohr kleben haben oder Vertreter der sehr jungen Generation, die es nicht eine große Schulpause ohne das Versenden von mindestens fünf SMS aushalten können. Doch auch zwischen diesen beiden Extremen gibt es Menschen mit Nomophobie. Zu glauben, dass es einer Katastrophe gleichkommt, wenn man nicht jederzeit sein Kind beim Spielen stören kann, seinen Ehepartner beim Sport aufstöbert und der Freundin den neuesten Klatsch und Tratsch mitteilt, obwohl diese gerade einfach beschäftigt ist, hat krankhafte Züge.Nicht nur Handy als Ursache
Die gesellschaftlichen Räder drehen sich immer schneller. Und so beschränkt sich die Nomophobie auch nicht nur auf das Handy, sondern auf die gesamte mediale und virtuelle Welt. Wenn irgendwo etwas auf der Welt passiert, wird das Ereignis zeitgleich auf vielen Kanälen zum Konsumenten transportiert.Die ständige Erreichbarkeit im Berufs- und Privatleben ist anstrengend und die Konturen verwischen immer mehr. Der Chef taucht beim privaten Chat auf Facebook auf und der Nachbar ruft im Büro an. Immer und überall ist man online, allzeit bereit und ständig unter Strom. Wer ernsthaft versucht, mehrere Stunden pro Tag alle Informationsquellen auszuschalten, wird feststellen, wie schwierig dies ist. Doch spätestens nach dem nächsten Entspannungsurlaub oder einer Grippe mit Fieber und viel Schlaf stellt der Nomophobiker erstaunt fest: Die Welt hat sich einfach so weiter gedreht. (drn)
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