Es war 1993 ein Wagnis in Winterthur ein Museum für zeitgenössische und klassische internationale Fotografie zu eröffnen. Die Gründung in einer ehemaligen Textilfärberei wurde von den Brüdern George (1942-1997) und Andreas Reinhart, Nachfahren in fünfter Generation der Unternehmerfamilie Volkart/Reinhart, die mit Baumwoll- und Kaffeehandel vermögend geworden waren, lanciert und unterstützt. Die Entscheidung, die längst verblühte Industriestadt dem prosperierenden Finanzplatz Zürich vorzuziehen, erwies sich nicht nur als mutig, sondern als richtig.

Als sich nämlich 2003, ebenso gesponsert von Reinhart, die bis dahin in Zürich beheimatete Fotostiftung mit Fokus auf Schweizer Fotografie in Winterthur niederließ, mutierte das Gewerbeareal zu einem bedeutenden Fotozentrum mit teils 50 000 Ausstellungsbesuchern im Jahr. Weniger bekannt ist, zumindest außerhalb der Schweiz, die kleine, ambitionierte Einrichtung CoalMine, vis à vis des Bahnhofs Winterthur, die seit der Millenniumswende Fotografien ausstellt. Sie ist Teil dieses Schweizer Foto-Mekkas. Der ehemalige Leiter des Fotomuseums Winterthur, Urs Stahel, begleitete viele Ausstellungen als Mentor. CoalMine wird aus dem gleichen Stiftungstopf gefördert und residiert zudem in dem 1905 erbauten Stammsitz des Handelshauses Volkart/Reinhart. Die ursprünglich als Sprungbrett für junge Schweizer Fotokunst gedachte Galerie, fährt heute zweigleisig mit Räumen für zeitgenössische und dokumentarische Fotografie.

Derzeit zeigt CoalMine mit Manuel Bauers „Sam Dzong. Ein Dorf zieht um“ und Ian Wooldridges: „The Elements of the Rope” zwei unterschiedliche Arbeitsweisen. Bauer berichtet in einer eindrücklichen Serie über das nepalesische Dorf, dessen Bewohner ihre angestammte Heimat nahe der tibetischen Grenze verlassen und ein neues Zuhause suchen mussten. Die Erderwärmung hatte ihnen das Wasser abgegraben und ihre Felder vertrocknen lassen. Mit der Kamera begleitete Bauer die 86 Einwohner bei diesem schweren Schritt. Wir erfahren, wie sie zu Fuß aufbrechen, das bisschen Hab und Gut auf dem Rücken, in der neuen Umgebung die alles Land überziehenden mannshohen Findlinge beseitigen, die steppenartige Scholle durch Einarbeitung von Ziegendung anreichern und die komplexe Errichtung neuer Häuser bewältigen. Bauer engagiert sich auch als Sozialunternehmer und sammelte Spenden für den Neuanfang der Bauern. Für die Arbeit erhielt der bereits vielfach geehrte Bauer den Greenpeace Photo Award 2014. Nach einer Ausbildung zum Werbefotografen, wechselte er, 1966 in Zürich geboren, zur Reportage. Bekannt wurde er mit der einzigartigen Dokumentation der Flucht eines Vaters mit seiner 6-jährigen Tochter von Tibet nach Indien über den Himalaya und Aufnahmen von Seiner Heiligkeit des Dalai Lama, den er jahrelang auf Reisen begleitete.

Die Arbeiten von Ian Wooldridge sind experimentell und genreübergreifend. Der Engländer, Jahrgang 1982, lebt in Zürich. In seiner ersten institutionellen Ausstellung in der Schweiz arbeitet er mit Fotografie, Video sowie Film und gibt seiner Präsentation einen installativen Anstrich. Zu sehen sind zwei Serien videobasierter Fotografien. Während die eine Gruppe noch eine weibliche Person erkennen lässt, gleitet die andere durch manipulative Eingriffe des Künstlers während des Aufnahmeprozesses ins Abstrakte. Auffallend ist die gleiche Anordnung zu Dyptichen, die aus dreiteiligen Fotografien bestehen. Der Dreiteilung begegnen wir auch in Wooldrigdes kurzen Filmsequenzen. Lautlos sehen wir die animierenden Bewegungen von Tänzerinnen, die sich vermutlich zu wilden Rhythmen bewegen. Die sparsam gehängte Schau lässt viel Raum für Assoziationen.

Nach dem Ausstellungsrundgang empfiehlt sich der Besuch des Cafés im Souterrain. Dort befand sich der Kohlenkeller des Volkart-Hauses, der der kulturellen Neubestimmung des Gebäudes 1990 den Namen verlieh. Hier kann man zudem großartige Nachkriegsliteratur auf einer 17 Meter langen Bücherwand genießen oder an Lesungen, Live-Talkshows und Filmvorführungen teilnehmen, allem was die CoalMine-Kultur eben ausmacht.

Bis 18. Dezember, Ian Wooldridge: „The Elements Of The Rope”. – Manuel Bauer: „Sam Dzong. Ein Dorf zieht um”. Ort: CoalMine, Turnerstrasse 1, Winterthur. Mo-Fr 8-19 Uhr, Sa 11-16 Uhr. Weitere Informationen:

www.coalmine.ch