„Die Fotografie ist so schwierig, weil sie so einfach ist.“ Dieser Satz des Schweizer Fotografen Rudolf Lichtsteiner gibt nicht nur das Motto für die ihm gewidmete monografische Überblicksschau in der Fotostiftung, sondern für alle der drei aktuellen Ausstellungen im Fotozentrum. Dass Fotografien Dinge nicht einfach nur abbilden, sondern eigenständiger künstlerischer Ausdruck sowie Objekte der Realität sind, wurde schon früh in fototheoretischen Debatten untersucht. Wen das Verhältnis der Fotografie zur Wirklichkeit interessiert, findet im Schweizer Hotspot für Fotokunst dazu Anschauungsmaterial, wobei die beiden Ausstellungen im Museum eher Fragen stellen, während jene in der Stiftung Antworten bietet.

Unter dem Titel „Eurasia“ zeigen Taiyo Onorato und Nico Krebs die Ergebnisse einer viermonatigen Reise in den fernen Osten mit dem Endpunkt Mongolei. Die ausschließlich analog erstellten Fotografien und Filme von Landschaften, Gebäuden, Tieren und Kultobjekten, die Impressionen ferner Zivilisation gemischt mit Resten sowjetischer Formensprache nehmen wir zunächst als Vermittlung dortigen Lebens wahr. Doch Vorsicht! Beim zweiten Schauen entpuppen sich viele Motive anders als sie scheinen. Keine Dokumentation also, sondern künstlerisches Konzept.

Die Künstler verarbeiten Eindrücke von der Oberfläche des Landes zu einer persönlichen Sicht. Doch für eine Reise ins eigene Innere, was einen Roadtrip ausmacht, fehlt das Individuum und seine Entwicklung, für eine Reise ins Äußere die Zeugnishaftigkeit des Mediums. Dem Betrachter bleibt nur der Blick auf das jeweilige Bild und die Freiheit, den Kontext nach seinem Gusto zu setzen.

Anders dagegen die Einblicke in die Sammlung Michel Frizots. Der angesehene Fotohistoriker hat über Jahrzehnte auf Flohmärkten verschiedenste Aufnahmen zusammengetragen. Die Urheber reichen von unbekannten Profis bis zu anonymen Knipsern. Man gibt dem Sammler recht, wenn er sagt, jede Fotografie berge ein Geheimnis. Viele der meist kleinen Schwarz-Weiß-Bilder lassen den Betrachter über das Vorher und das Nachher der Aufnahme rätseln. Doch will Frizot mehr, nämlich eine Phänomenologie der Fotografie vorstellen.

Die Bilder hat er zu Themen gruppiert, die zum Beispiel „Der Geist des Ortes“ oder „Die Optionen des Fotografen“ heißen und auf die Bedeutung von Bildraum und Perspektive abheben oder sich mit Formgebung befassen. In der sehenswerten Aufbereitung des Materials wird das komplizierte Verhältnis zwischen dem Blick auf das Bild und auf das Abgebildete zwar thematisiert, doch ist der didaktische Anspruch nicht einfach nachvollziehbar.

Dies, die Fotografie selbst zum Gegenstand zu machen, gelingt Rudolf Lichtsteiner mit seinen spielerischen, humorvollen, doch auch tiefgründigen Bildern. 1938, in Winterthur geboren, war er zuerst Retuscheur, bevor er sich für die Fotografie entschied. Sein Werk haben die Kuratoren Marina Bergholz und Martin Gasser in mehrere Schaffensperioden gegliedert, die dem Besucher die vielseitige und kontinuierliche Experimentier- und Entdeckerfreude des bisher unterrepräsentierten Künstlers anschaulich nahebringen. Nur ein Beispiel: Unter dem Titel „Hors d'oeuvres“ sieht man Aufnahmen von Speisetellern die mit Alltagsgegenständen bestückt sind, wie einem kunstvoll drapierten Seil. Das Arrangement könnte als Komposition à la Duchamp durchgehen, aber es ist eben keine Installation. Und darin liegt der Clou, denn die Installation dient nur der Fotografie, welche aber nichts anderes tut, als das Vorgegebene getreu abzulichten. Ob Lichtsteiner Tische optisch verzerrt, mit Mehrfachbelichtungen abstrakte Bildkompositionen schafft, mit Text experimentiert oder seine Fotografien als Leporellos zu Objekten gestaltet, stets sind mehrere Ebenen im Spiel und setzen Fotografie und Wirklichkeit zugleich in Szene.

Ausstellungen im Fotomuseum Winterthur: „Taiyo Onorato & Nico Krebs – Eurasia“; „Enigma – Jede Fotografie hat ein Geheimnis“

Ausstellung Fotostiftung Schweiz: „Rudolf Lichtsteiner – Zum Stand der Dinge“

Alle im Fotozentrum Winterthur, Grüzenstr. 44/45, Winterthur. Bis 14. Febraur 2016, Di–So 11–18 Uhr, Mi 11–20 Uhr

www.fotomuseum.chwww.fotostiftung.ch