Hilfe gegen trockene Haut und das mit natürlichem Rinderfett vom Bodensee: Das verspricht das Start-up-Unternehmen Tallow aus Gerlingen bei Stuttgart. Bei über 100.000 bisherigen Kunden komme die Creme laut Hersteller gut an, Kritik gibt es daher nicht am Produkt selbst. Ein Markenrechts-Experte stellt aber die Frage in den Raum, ob die Werbung des Produkts nicht irreführend sein könnte.
Die Idee zum Rinderfett-Produkt entstand aus dem Leid der Gründerin Ece Spiegel, sagt Ehemann und Mit-Gründer Niklas Spiegel. Jahrelang habe sie mit chronischen Hautproblemen zu kämpfen gehabt, bis ihr bei einer USA-Reise Hautpflege aus Rindertalg in die Hände fiel. Auf dem europäischen Markt waren ähnliche Produkte aber noch nicht etabliert. Das wollte Tallow (englisch für „Talg“) ändern und gründete 2023 eine GmbH unter gleichem Namen. Kostenpunkt der Natur-Version: 30 Euro für 120 Milliliter.
„Von Anfang an haben wir gesehen, dass es für das natürliche Produkt auf dem Markt viel Nachfrage gibt“, sagt Tallow-Gründer Niklas Spiegel. Laut der Firmen-Website habe man rund ein halbes Jahr nach einem Partner für Tallow gesucht, bis sie an einen Lieferanten vom Bodensee gestoßen sind.

Das sei eine bewusste Entscheidung gewesen, schreibt es die Internetseite. Mit „Bio Rindertalg vom Bodensee“ wirbt das Unternehmen, die Tiere sollen laut Tallow ein Leben „auf saftigen Weiden am idyllischen Bodensee“ verbracht haben. Das unterstreicht der Hersteller auf seiner Webseite mit schönen Bildern – die laut Fotodatenbanken in Sibirien und Kalifornien aufgenommen worden sind.
„Der Bodensee ist ein Qualitätssiegel für uns“, sagt Niklas Spiegel dem SÜDKURIER. Damit wolle man sich von Mitbewerbern abgrenzen, deren Rinderfett etwa aus China importiert werde. Mit der beworbenen „Bodensee-Qualität“ verbinde man den Aspekt der Natürlichkeit. Ähnlich, wie man auch mit der Reichenau qualitativ hochwertiges Gemüse und Obst assoziiere.
Stammen die Rinder nicht vom Bodensee?
Niklas Spiegel sagt, für Tallow habe man sich deswegen entschieden, mit einem zertifizierten Bio-Betrieb aus Radolfzell zusammenzuarbeiten: die Fairfleisch GmbH. Wie eine SÜDKURIER-Recherche ergab, zieht Fairfleisch aber selbst keine Tiere groß, sondern kauft diese ein, um sie im eigenen Schlachtbetrieb in Überlingen zu verarbeiten.

Eine Nachfrage bei Fairfleisch, woher die gelieferten Rinder kommen, ergab, dass diese von Bio-Betrieben aus einem Radius von rund 75 Kilometern um Überlingen stammen – also auch aus dem Schwarzwald und dem Allgäu. In Radolfzell habe man lediglich Büroräumlichkeiten.
Für Tallow werde dabei zusätzliches Rinderfett von einem Bio-Betrieb aus Kempten im Oberallgäu bezogen, da Fairfleisch selbst täglich nur etwa acht Rinder schlachte und das für die Produktion von Tallow zu wenig sei. Dass Talg aus dem Allgäu zugekauft wird, bestätigt auch Tallow-Chef Spiegel.
Anwalt hegt Zweifel an Werbung
Zwar ist der Bodensee anders als etwa beim Allgäuer Bergkäse oder der Nürnberger Lebkuchen keine eingetragene Marke, trotzdem hat Stefan Lutz, Anwalt für Markenrecht aus Ravensburg, an der Rechtmäßigkeit der Tallow-Werbung seine Zweifel.
Die Werbung mit Rindertalg vom Bodensee sei seines Erachtens nur dann zulässig, wenn der Herkunftsort der Tiere eine tatsächliche, geographisch nachvollziehbare Verbindung zum Bodensee habe, wie der Durchschnittsverbraucher diese erwartet.
Er verweist auf das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb. Demnach dürfen Verbraucher durch irreführende Werbung nicht zu Kaufentscheidungen veranlasst werden, die diese sonst nicht getroffen hätten. Irreführend seien etwa unwahre Angaben wie Art, Zusammensetzung, aber auch geografische oder betriebliche Herkunft.

Zudem verweist Lutz auf das Markengesetz. Laut diesem dürfen geografische Herkunftsangaben nicht genutzt werden für Waren, die nicht aus dem Ort oder der Gegend stammen, die angegeben wird. Um mit „Rindertalg vom Bodensee“ zu werben, müsste das Produkt dafür mehr vom Bodensee kommen: „Die Kühe müssten dafür zumindest mal kurz auf eine Weide direkt am See gestellt werden.“
Start-Up-Gründer hält eine Irreführung für schwierig
Damit konfrontiert, was seitens Tallow als Bodenseeregion definiert werde, verweist Spiegel auf eine Karte eines Tourismusverbunds. Dieser zählt Teile des Allgäus zur Bodenseeregion dazu. Die Unterstellung der Irreführung ihrer Kunden, finde Spiegel deshalb schwierig. „Auch bei Rindern aus dem Allgäu handelt es sich um ein regionales Produkt“, sagt er auf SÜDKURIER-Nachfrage. Abgesehen davon zähle das Allgäu ja zur Bodenseeregion.
Spiegel sagt: Ihren Kunden sei es in erster Linie wichtig, dass es sich um grasgefütterte Rinder in artgerechter Haltung handele, erst im zweiten Schritt sei es für sie interessant, wo die Rinder herkommen. Beides werde jedoch zu 100 Prozent korrekt auf der Website transparent dargestellt. Die beworbene Premium-Qualität definiere sich durch die grasgefütterten Rinder und die artgerechte Haltung auf einer Weide, sagt Spiegel.
Laut Anwalt Lutz könnte trotzdem eine Irreführung vorliegen. Es werde nicht damit geworben, dass die Rinder aus der Bodenseeregion stammen, sondern vom Bodensee, was der feine Unterschied bei der Sache sein dürfte, so Lutz.
Auch stamme die Karte, die das Allgäu zur Bodenseeregion dazu zählt, nicht von einer neutralen oder amtlichen Stelle, sondern von einem Tourismusverbund, der aus wirtschaftlichen Gründen eine großzügige Definition der „Bodenseeregion“ verwende.
Für eine rechtliche Beurteilung komme es laut Lutz aber nicht darauf an, was ein Tourismusportal als Region beschreibt, sondern: Was der Durchschnittsverbraucher unter „vom Bodensee“ versteht und dieser werde, laut Lutz, mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht an Kempten denken, wenn er „Rinder vom Bodensee“ liest.