Es gab eine Zeit, in der waren Jürgen Resch und Winfried Kretschmann noch Verbündete. In den 1980ern sei man bei Kretschmanns im Wohnzimmer gesessen und habe gemeinsam Anträge gestellt gegen die Verwendung des Insektizids Endrin, erinnert sich der Chef der Deutschen Umwelthilfe (DUH) beim Telefonat mit dem SÜDKURIER.

Vor wenigen Tagen hat er mit der DUH Klage eingereicht gegen Kretschmanns Landesregierung, die ihre selbstgewählten Klimaziele nachweislich nicht erreicht – und seit einem Jahr nichts dagegen unternimmt. Die einstigen Verbündeten sind zu Gegnern geworden.

„Von seinen Idealen wegbewegt“

„Wenn jemand sehr lange in der Regierung ist, besteht die große Gefahr, dass er sich von seinen Idealen wegbewegt“, sagt der Radolfzeller Resch. Das sei kein grünes Spezifikum, aber treffe auch auf Kretschmann zu. Die vielen Treffen mit der Autoindustrie zeigten Wirkung, für Umweltschützer sei keine Zeit.

Der Bruch zwischen den beiden liegt schon ein paar Jahre zurück. Die DUH hatte – mal wieder – geklagt, diesmal ging es um Fahrverbote für Diesel in den Städten. 2019 beantragte die DUH Beugehaft für Kretschmann und Vize-Ministerpräsident Thomas Strobl, sollten sie das Fahr­ver­bot für Euro-5-Die­sel nicht umsetzen. Ein Jahr später musste die Landesregierung in bestimmten Zonen Fahrverbote einführen.

Mitten ins grüne Herz

Ein grüner Ministerpräsident, der im Land der Autobauer den Diesel verteidigt – das kann ja noch angehen. Aber einer, der den Klimaschutz vernachlässigt? Die aktuelle Klage zielt mitten ins grüne Herz, sind sie doch die Klimaschutzpartei. Was jedoch nicht verhinderte, dass die selbst gesteckten Ziele verfehlt wurden.

Das ist keine Behauptung von Resch, das gibt es schwarz auf weiß vom Sachverständigenrat. Und zwar seit einem Dreivierteljahr. „Wenn Regierungen ihre eigenen Gesetze ignorieren, müssen wir zum Instrument der Klage greifen“, sagt Resch.

Baden-Württemberg hat sich auf dem Papier ehrgeizige Klimaziele gesetzt. Bis 2040 – fünf Jahre früher als der Bund – will man klimaneutral sein. Bis 2030 sollen die CO2-Emissionen um 65 Prozent im Vergleich zu 1990 reduziert sein. Doch das ist mit den aktuell geplanten Maßnahmen nicht zu erreichen: Lediglich 53 Prozent Reduktion halten Wissenschaftler damit für möglich.

Autos stehen auf der Autobahn 8 in Fahrtrichtung München im Stau. Gerade der Verkehrssektor liegt deutlich unter den vereinbarten ...
Autos stehen auf der Autobahn 8 in Fahrtrichtung München im Stau. Gerade der Verkehrssektor liegt deutlich unter den vereinbarten Klimazielen. | Bild: Marijan Murat, dpa

Damit die Klimaziele eingehalten werden, sieht das Klimaschutzgesetz einen Sanktionsmechanismus vor. Die Landesregierung hat innerhalb von vier Monaten Maßnahmen zu beschließen, die zurück auf den Zielpfad führen sollen. Der so genannte Projektionsbericht liegt seit Ende Juni 2024 vor. Untermauert wurde die Einschätzung im September 2024 vom Klima-Sachverständigenrat, einem wissenschaftlichen Gremium, das die Landesregierung berät.

Kritik von der Chefin des Sachverständigenrats

„Seitdem kann sich nach unserem Kenntnisstand die Landesregierung nicht auf ein Vorgehen einigen, obwohl dies eigentlich klar im Gesetz geregelt ist“, schreibt Maike Schmidt, die Vorsitzende des Rats, dem SÜDKURIER.

Maike Schmidt, Vorsitzende des des Klima-Sachverständigenrats Baden-Württemberg
Maike Schmidt, Vorsitzende des des Klima-Sachverständigenrats Baden-Württemberg | Bild: Bernd Weißbrod, dpa

Mehr noch: „Da Erheblichkeit aber nicht im Gesetz selbst definiert ist, wurde in Frage gestellt, ob man diese dann überhaupt feststellen kann.“ Es sei außerdem die Frage nach der Zuverlässigkeit von Projektionen gestellt worden, obwohl man sich im Gesetz klar für diesen Weg und auch die Folgen bei Zielverfehlung festgelegt habe. Es sei darüber gestritten, ob man den Bericht des Klima-Sachverständigenrats und die darin klar erläuterten Fakten zur Zielverfehlung zur Kenntnis nehme. „Und das seit Monaten ohne Ergebnis. Und all das, obwohl der Klimawandel und seine Folgen für Baden-Württemberg immer stärker spürbar sind.“

Umweltministerin Thekla Walker (Grüne) verweist dagegen auf die „millionen-schwere Förderung für Wasserstoff-Infrastruktur, die energetische Sanierung von kommunalen Gebäuden und eine Stärkung der Beratung für Menschen, die sich eine Solaranlage aufs Dach oder eine neue Heizung in den Keller setzen wollen“, mit der das Land bereits reagiere. „Wir sollten den Projektionsbericht als Weckruf verstehen, um unseren Standort weiter zu modernisieren.“

Kretschmann stellt Klimaziele in Frage

Die Landesregierung will sich von der Klage nicht unter Druck setzen lassen. „Das Gras wächst nicht schneller, wenn man daran zieht“, sagt Kretschmann. Gleichzeitig stellt der Realo kleinteilige Klimaziele überhaupt in Frage. „Deutschland emittiert etwa zwei Prozent der Treibhausgase, Baden-Württemberg entsprechend noch viel weniger.“ Entscheidend sei, dass Deutschland als Hochtechnologieland zeige, dass man mit Klimaschutz Wohlstand sichern kann.

Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Bündnis90/Die Grünen) will sich von der Klage nicht unter Druck setzen lassen.
Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Bündnis90/Die Grünen) will sich von der Klage nicht unter Druck setzen lassen. | Bild: Kay Nietfeld, dpa

„Das ist eine Argumentation, wie ich sie bisher eher von Rechtsaußen-Politikern kenne und nicht von einem Grünen Ministerpräsidenten erwartet hätte“, kommentiert Jürgen Resch das Statement. Nimmt die grün geführte Landesregierung den Klimaschutz also nicht mehr ernst?

„Wir tun, was wir können“

Doch, sagt Martina Braun. Die grüne Landtagsabgeordnete für den Wahlkreis Villingen-Schwenningen betreibt mit ihrer Familie einen Bauernhof, Klimasorgen kennt sie da aus erster Hand, zum Beispiel wenn auf der Baar schon im Frühjahr das Wasser knapp wird. „Klimaschutz ist für uns ein Top-Thema“, sagt sie. „Wir Grünen sind die Klimaschutzpartei. Wir tun, was wir können.“

Martina Braun, Grüne, Landtagsabgeordnete im Wahlkreis Villingen-Schwenningen
Martina Braun, Grüne, Landtagsabgeordnete im Wahlkreis Villingen-Schwenningen | Bild: Dennis Williamson

Es brauche aber auch die Menschen, die mitmachen. Und den Koalitionspartner. Grüne würden gerne als Verbotspartei verunglimpft, grüne Projekte stießen auf „reflexartige Gegenwehr“. Die CDU, mit der die Grünen im Land seit 2016 regieren, habe zum Beispiel die Photovoltaik-Pflicht auf Neubauten im Land lange blockiert. Dass man trotzdem von den selbstgesteckten Klimazielen abweiche, habe „geschmerzt“, bekennt Braun. Trotzdem wisse sie nicht, wie eine Klage die Umsetzung leichter machen soll. „Dafür braucht es vereinte Kräfte.“

Niklas Nüssle, Grüne, Landtagsabgeordneter im Wahlkreis Waldshut
Niklas Nüssle, Grüne, Landtagsabgeordneter im Wahlkreis Waldshut | Bild: Lena Lux

Niklas Nüssle, Landtagsabgeordneter für den Wahlkreis Waldshut, sieht das ganz ähnlich. Die Landesregierung tue viel für den Klimaschutz: Photovoltaik, der inzwischen beschleunigte Windkraft-Ausbau, viele weitere Ideen gingen bald in die Umsetzung. Für die Vorschläge der DUH, wie das Tempolimit auf Autobahnen, sei das Land der falsche Adressat.

Was bedeutet das für die nahende Landtagswahl, wenn die Grünen für eines ihrer zentralen Ziele in Frage gestellt werden? Schadet das dem Ansehen? Nüssle meint, das sei nicht so wichtig. Es müsse darum gehen, das Klima zu schützen. Und da helfe die polarisierende Klage nicht weiter.