Sandra Kolb

1957 kam André Barriere als zehnjähriger Junge mit seinen Eltern und seiner Schwester nach Konstanz. Sein Vater arbeitete beim französischen Militär und wurde in die Stadt versetzt. "Anfangs kam es mir nicht vor, als sei ich in Deutschland. Alles war so französisch", erzählt der heute 68-Jährige. Jeder Neuankömmling musste sich beim Verwaltungshaus melden, bekam dort eine Wohnung zugeteilt und wurde mit Hausrat ausgestattet. Zuerst wohnte die Familie Barriere in der Steinstraße, später in der Gottfried-Keller-Straße.

Nach dem Zweiten Weltkrieg begannen die französischen Besatzer Wohnungen und Häuser zu requirieren. Oftmals mussten die Bewohner ihr Zuhause innerhalb weniger Stunden räumen und Möbel und Hausrat zurücklassen. Lothar Burchardt beschreibt in seinem Buch "Geschichte der Stadt Konstanz Band 6", dass von einer Wohnraumfläche von 320 000 Quadratmetern im Dezember 1945 rund 22 800 Quadratmeter militärisch beschlagnahmt waren. Im Juli 1950 sank die Zahl auf 9 4000 Quadratmeter ab. Als am 5. Mai 1955 die Besatzungszeit offiziell endete, räumten die stationierten Franzosen den beschlagnahmten Wohnraum, aber erst ein Jahr später wurden die letzten Privatwohnungen freigegeben.

Als Ersatz entstanden Anfang der 1950er Jahre in der Gottfried-Keller-Straße und in der Jahnstraße Wohnanlagen für die Garnison. Sie waren bekannt als Franzosenwohnungen. Jedes Haus trug den Namen einer französischen Region, so hieß zum Beispiel die Villa des Generals in der Eichhornstraße Bourbonnais. André Barriere erinnert sich noch gut an das französische Viertel, das dort entstanden war: "Wir Franzosen hatten unsere eigenen Geschäfte in der Gottfried-Keller-Straße. Dort kauften wir steuerfrei Kleidung und Lebensmittel. Es gab nur keine guten Schuhe, deshalb mussten wir die bei den Deutschen kaufen." In der Steinstraße gab es eine französische Apotheke und gegenüber eröffnete in den 1960er-Jahren auch ein Coiffeur, der die französischen Damen für die Offiziersbälle frisierte. Daniela Frey und Claus-Dieter Hirt beschreiben in ihrem Buch "Französische Spuren in Konstanz", dass es im französischen Viertel auch eine Polizei in der Friedrichstraße, ein französisches Postamt in der Hans-Thoma-Straße und die Jäger-Kaserne gab. Heute befinden sich auf deren Areal unter anderem ein Studentenwohnheim und das ABC-Hotel. Zum französischen Quartier gehörten auch die Klosterkaserne, wo heute zum Beispiel das Stadtarchiv und das Archäologische Landesmuseum sind und die Chérisy-Kaserne, die heute ein Wohn- und Gewerbegebiet ist.

Der Blick auf die ehemalige Klosterkaserne und die alte Rheinbrücke im Jahr 2016. Militär wohnt hier schon lange nicht mehr. Wo auf dem ...

Der Blick auf die ehemalige Klosterkaserne und die alte Rheinbrücke im Jahr 2016. Militär wohnt hier schon lange nicht mehr. Wo auf dem Bild von 1957 ein Gebäude zu sehen ist, ist jetzt Freifläche mit eckigen Heckengebilden. Bild: Gerhard Plessing

| Bild: Gerhard Plessing

Auch eine französische Schule gab es. "Unsere Grundschule war in der Steinstraße und das Gymnasium in der Pestalozzistraße", erzählt André Barriere. Der Unterricht war derselbe wie in Frankreich und ab 1952 konnten erstmals deutsche Schüler die Schule besuchen. "Es waren aber nicht viele Deutsche in meiner Klasse. Deutscher, Franzose, da haben wir als Kinder keinen Unterschied gemacht", sagt Barriere zurückblickend. Ab der sechsten Klasse lernte er dann Deutsch in der Schule. "Mein Vater sprach fließend Deutsch, weil er im Ersten Weltkrieg auf eine deutsche Schule ging. Aber Zuhause wurde nur französisch gesprochen", erzählt der 68-Jährige.

André Barriere Bild: Sandra Kolb

André Barriere Bild: Sandra Kolb

| Bild: Sandra Kolb

1977 verließen die Franzosen die Konstanz und so auch die Eltern von André Barriere. Er war mittlerweile als Lehrer beim französischen Militär eingestellt und wurde nach Friedrichshafen versetzt. "Meine Schwester Christiane ist in Konstanz geblieben. Es ist ihr Zuhause", sagt er. Auf die Frage, wie die Franzosen Konstanz prägten, antwortet etwas betrübt: "Es ist nicht so viel von den Franzosen in der Stadt geblieben."