Uhldingen-Mühlhofen – Die Szenerie mutet an, als sei sie einem Drehbuch der 1950er Jahre entsprungen: Ein von Eva Stengele mit Butterbrezeln gedeckter Tisch am See, die Morgensonne sendet ein sanftes Licht durch schattenspendende Äste. Nur wenige hundert Meter entfernt erhebt sich die Klosterkirche Birnau majestätisch hinter einer in den Bodensee ragenden alten Weide. Im Vordergrund die alte Fischerhütte, die es schon zu Lebzeiten von Stengeles Vater August Werner gab. Szenen, die im Mai 1956 zum Film "Die Fischerin vom Bodensee" an genau diesem Ort gedreht wurden, scheinen zum Greifen nah. Heimatidylle pur.
Das Grundstück in Seefelden, das im vergangenen Jahrhundert keine Veränderung erfuhr und sich den Charme einer längst vergangenen Zeit bewahrte, ist im Besitz der Erbengemeinschaft der Brüder August und Josef Werner. Eva Stengele, Tochter des Berufsfischers August Werner, erinnert sich: "Mein Vater und mein Onkel waren die einzigen Fischer am nördlichen Ufer mit einem Seegrundstück. Sie hängten ihre Baumwollnetze immer zum Trocknen zwischen die Bäume." Die sechsjährige Eva Stengele stand bei den Dreharbeiten zur Fischerin des Öfteren am Zaun, welcher die neugierigen Zuschauer vom Set trennte. Befragt nach ihren Erinnerungen sagt sie: "Ich habe immer die dicken, blonden Zöpfe von Marianne Hold bewundert." Außer den Butterbrezeln hat Eva Stengele auch ein Album ihres Nachbarn Siegfried Gumberger im Gepäck. Darin findet sich neben zahlreichen anderen Fotos von den Dreharbeiten auch ein Autogramm Josef Eggers, der im Film den Großvater Gassl spielte. Während der Dreharbeiten war Egger im Haus der Großeltern von Siegfried Gumberger einquartiert.
Gumbergers Bruder Wolfgang hatte – wie auch Gerhard Bergmann – eine kleine Sprechrolle als Fischerbub im Film. Bergmann erinnert sich auch nach 60 Jahren noch lebhaft an die Szene: "Der Wolfi und ich, wir saßen mit dem Loisl Blank im Boot und musizierten. Dann kam Hauptdarsteller Georg Riedmann hinzu und erzählte uns, dass er der Maria die Netze mit Fischen gefüllt hat."
Für die Szene suchte Regisseur Harald Reinl zwei Fischerbuben aus Seefelden. "So viele Jungs gab es zu der Zeit nicht im Ort", sagt Bergmann. "Die Fischer hatten nur Mädels." Und so kam es, dass Wolfgang Gumberger und Gerhard Bergmann die Rollen zugeteilt wurden. "Der Wolfi war damals ein hübscher Bub", erzählt Bergmann schmunzelnd. "Er war dem Reinl für einen einfachen Fischerjungen fast schon zu schön." Stengeles Cousine Melitta Hönl erinnert sich an eine Szene, in der Marianne Hold und Loisl Blank ihre vermeintlichen Fang an Bord hievten: "Als die beiden ihre Netze ins Boot ziehen wollten, da haben Assistenten eben diese nach unten gezogen, damit es so aussah, als ließen sie sich nur schwer einbringen. Das Boot stand derweil auf einem Aufbau." Die Szene spielte im Morgengrauen. Ein Mitglied der Crew war für die Vortäuschung von Nebel, der um das Boot waberte, zuständig. "Mir ist der Name des Mannes noch im Ohr", amüsiert sich Hönl. "Damals hieß es immer: "Moser, Nebelpfanne!" Gut erinnert sich die damals 25-Jährige auch an Hauptdarsteller Georg Riedmann: "Der hatte die Taschen immer voller Äpfel. Während der Pausen lehnte er sich an irgendeinen Baum und biss in einen Apfel.
" Hönl entsinnt sich auch noch einer weiteren Kuriosität: "Eines Morgens kamen sie mit einem Kirschbaum daher, von dem die Crew alle Blüten abrupfte und an der Weide am Ufer befestigten. Auch hatten sie ganze Arme voll künstlicher Margeriten dabei, die sie in die Wiese steckten."
Das Bild "Heimat" wurde in den 1950er Jahren hochstilisiert. Es war die Zeit des Wirtschaftswunders, der unbeschwerten Schlager und Filme, die das Lebensgefühl und die großen und kleinen Träume im Nachkriegsdeutschland in Musik und Tanz ausdrückten. Auch "Die Fischerin vom Bodensee" lebt von der Musik. Das titelgebende Lied nach dem Text und der Melodie von Franz Winkler aus dem Jahr 1947 assoziieren viele Touristen bis heute mit der Region. Der Film spiegelt die Sehnsucht Tausender wider, die nach dem Krieg eine Heimat suchten. In der heutigen Zeit als Schnulze abgetan, steht er ein Stück weit für die Stabilisierung nach unruhigen Zeiten, in denen den Menschen einiges abverlangt wurde. Im Kino konnte man für kurze Zeit der Realität entfliehen und sich der Illusion einer heilen Welt hingeben. Die Zuschauer tauchten ein in einen Kosmos mit Werten und Traditionen, in dem gelacht und geliebt wurde.
Die "Fischerin vom Bodensee" war Heimatfilm, Komödie und Liebesfilm zugleich. Die Idylle der Natur stand dabei im Gegensatz zur harten Arbeit einer Fischerin. "Wobei", entsinnt sich Melitta Hönl schmunzelnd, "Marianne Hold war, selbst wenn sie zum Fischen rausfuhr, perfekt frisiert und geschminkt." Das Haus, in dem Maria mit ihrem Großvater im Film wohnte, stand direkt gegenüber vom Seegrundstück, verrät Eva Stengele. "Allerdings filmte man damals nur die äußere Fassade, die Innenaufnahmen wurden im Studio gedreht, denn bei dem alten Häuschen handelte es sich in Wirklichkeit um einen Hühnerstall." Siegfried Heidenreich aus Gebhardsweiler, der als Statist in der Schlussszene dem Brautpaar auf dem auslaufenden Raddampfer Zaehringen zujubelte, berichtet, dass der Film 1956 erst ab 16 Jahren freigegeben war: "Die Hold spielte ein uneheliches Kind, was zur damaligen Zeit eine Schande war." Heidenreich glaubt zudem, dass auch die Szene auf der Liebesinsel vor Radolfzell, in der sich Hold und Riedmann nach einem Kuss ins Gras fallen lassen, für die Altersfreigabe eine Rolle spielte. "Für uns war das alles sehr aufregend", entsinnt sich Bergmann, "der Wolfi und ich, wir beide durften uns auf dem Filmgelände frei bewegen, während die restlichen Einwohner hinterm Jägerzaun standen. Wir fühlten uns wie die Götter." Sie bekamen je 50 Mark Gage. "Das war damals viel Geld", so Bergmann. "Gekauft habe ich mir davon ein Fahrrad."