Die Skelette und Knochenreste, die der Kreisarchäologe Jürgen Hald mit seinem Team unweit des Bodenseeufers zwischen Allensbach und Hegne in den letzten Wochen ausgegraben hat, sorgen als Sensationsfund für landesweites Aufsehen und großes Medieninteresse. Doch haben es die Fachleute in diesem Fall nicht mit menschenwürdigen Bestattungen zu tun, sondern mit den schnell verscharrten Leichnamen zahlreicher zum Tode Verurteilter.
Unchristlich verscharrt
Die Menschen, die hier ihr Leben aushauchten, erwartete ein unchristliches Begräbnis. Es war eine weitere Bestrafung nach ihrem oft qualvollen Tod. Jürgen Hald beschreibt die Funde: „Die Leichname der Delinquenten wurden zwischen den gemauerten Fundamenten der beiden steinernen Pfeiler des Galgens verscharrt.“

Man könnte auch sagen: Sie wurden ohne christlichen Segen in eine Grube geworfen. Nach einer Hinrichtung haben die Henkersknechte sie erneut aufgeschaufelt und die Leiche auf die Reste der zuvor Vergrabenen gelegt. Kein Kreuz sollte an sie erinnern. Auch von anderen Richtplätzen ist diese Strenge bezeugt.

So schnell die Menschen vergraben wurden, so umsichtig und respektvoll gehen die Archäologen heute mit den Überresten um. Ihre Funde zeigen das ganze Ausmaß dieser Schnellbegräbnisse. „In der Grube fand unser Grabungsteam drei Skelette übereinander“, berichtet Jürgen Hald. „Das unterste war das einer Frau.“ Deren Knochen wurden sorgfältig geborgen, und darunter machten die Experten eine weitere Entdeckung: „Das Skelett einer Frau, die auf dem Bauch lag und mindestens 25 Jahre alt war“, schätzt Grabungsleiter Hald.
Den Kopf abgeschlagen
Aber nicht alle Menschen, die hier nach heutigen Maßstäben zweifelhaften Urteilen des Blut- und Hochgerichts des Klosters Reichenau zu Tode gebracht wurden, endeten an dem 3,50 Meter hohen Galgen in einer Schlinge, die den Gehenkten langsam erwürgte. Manche Verurteilte verloren ihr Leben unter dem Richtschwert des Henkers. So fanden die Archäologen das Skelett eines Mannes, dessen Schädel man zwischen die Unterschenkel gelegt hatte.

Die meisten Urteile wurden hier vermutlich im 17. und 18. Jahrhundert vollstreckt. Damals war das aus dem Mittelalter überkommene Richtschwert durchaus noch in Gebrauch.
Warum man so grausame Todesstrafen verhängt hat
Einen qualvolleren Tod könnten die Menschen erlitten haben, deren Leichname in Brandgruben landeten, die die Experten auf dem Grabungsfeld neben der Bundesstraße 33 ebenfalls freigelegt haben. Noch ist offen, ob es sich bei ihnen um Delinquenten handelt, die bei lebendigem Leib den Feuertod erlitten, oder um Hingerichtete, die eingeäschert wurden. „Die nachträgliche Verbrennung kann als zusätzliche Strafe gedeutet werden“, sagt Jürgen Hald. Denn damals lehnte die Kirche die Verbrennung eines Leichnams ab, um die leibliche Auferstehung des Verstorbenen nicht zu verhindern.
Publikum war erwünscht
Hinrichtungen galten bis vor etwa 200 Jahren auch als volkspädagogische Maßnahme. Nicht ohne Grund lag die Allensbacher Richtstätte auf einer Waldlichtung, die an die Landstraße grenzte. Die Bevölkerung sollte zuschauen, wenn die Verurteilten vom Henker auf einer Leiter zum Querbalken des Galgens hinaufgezogen und an einem Haken aufgehängt wurden. Zur Abschreckung wurde der Köpf eines mit dem Schwert hingerichteten auf eine Stange gespießt und aufgestellt. Ein Fund deutet darauf hin, dass das auch bei Allensbach geschah.

Vieles bleibt vage. Spätere Berichte müssen nicht der Wahrheit entsprechen. Ob ein ausgegrabener abgeschlagene Kopf jenem Mörder gehörte, an dem hier 1770 die letzte Hinrichtung vollzogen wurde, weiß man nicht. Jürgen Hald will nicht spekulieren, sondern hofft auf Fakten und Beweise. Für weitere Erkenntnisse ist der Anthropologe Michael Francken vom Landesamt für Denkmalpflege in Konstanz zuständig. Er will schon in der kommenden Woche nach Reinigung der Knochen mit seinen Untersuchungen beginnen.
Die Arbeit wird den Fachmann länger in Anspruch nehmen. Immerhin muss er sich etwa 25 Skelette vornehmen, die Hälfte davon wurde in den Brandgruben freigelegt. Daneben gibt es weitere Fundstücke, die noch nicht zugeordnet werden können.
Wie alt ist der Richtplatz?
Die früheste Hinrichtung bei Allensbach ist für 1531 belegt. Doch der Reichenauer Kulturchef Karl Wehrle geht davon aus, dass das Kloster Reichenau spätestens seit dem 9. Jahrhundert eine Gerichtsbarkeit ausübte und Todesurteile bei Allensbach vollstrecken ließ, um den Klosterbezirk auf der Insel nicht zu entweihen. „Es kann gut sein, dass diese Richtstätte viel älter ist als das, was man jetzt findet“, sagt Wehrle.

Unbestritten ist: Für die unerbittliche Strenge des einstigen Justizwesens hat die Grabung wertvolle Hinweise geliefert. Allensbachs Bürgermeister Stefan Friedrich kann sich vorstellen, für Besucher am Fundort eine Informationstafel aufzustellen, wenn die derzeitigen Straßenbauarbeiten hier beendet sind. Auch eine Sonderausstellung im Rathaus sei denkbar. Knochen wird es dort keine zu sehen geben.

Die Funde werden nach ihrer Untersuchung in Konstanz im Zentralarchiv des Archäologischen Landesmuseums Baden-Württemberg in der Festung Rastatt eingelagert. Jürgen Hald wagt einen Blick in die Zukunft: „Vielleicht können künftige Forscher mit neuen technischen Methoden noch mehr über diese Menschen herausfinden.“