Friedrichshafen – Es sind zwei kleine Tafeln, die an die traurige Vergangenheit der Hochstraße erinnern. "Das war alles ein einziges, großes Zwangsarbeiterlager", erklärt die Häfler Historikerin Christa Tholander und weist mit ihrer Hand die Häuserreihen entlang. Bepackt mit Stadtplänen und historischen Dokumenten führt sie eine kleine Gruppe am Dienstagvormittag in Richtung Albert-Merglen-Schule. Ihre Zuhörer sind Mitglieder des Alternativen Kultur- und Bildungszentrums (Akubiz) aus Pirna in der Sächsischen Schweiz. Seit Samstag sind die politischen Aktivisten auf einer achttägigen Bildungsreise am Bodensee mit dem Ziel, mehr über die Verbrechen des Nazi-Regimes und die Erinnerungskultur in der Region zu erfahren.

In Christa Tholander hat der Verein, der sich seit 2001 gegen jede Form von Rassismus, Antisemitismus und Sexismus stark macht, die Fachfrau für die Zeit des Nationalsozialismus in Friedrichshafen gefunden. Seit den 1990er Jahren beschäftigt sich die promovierte Historikerin mit den Themen Zwangsarbeiter und KZ-Häftlinge während der Nazi-Diktatur. Zwischen 1937 und 1945 wurden rund 14.000 Zwangsarbeiter aus 28 Nationen in der Häfler Rüstungsindustrie eingesetzt. 1943 entstand direkt neben dem Gelände der Zeppelin-Werft ein Außenlager des KZ Dachau. Dort mussten die rund 1200 Häftlinge bis 1944 Teile für die V2-Raketen herstellen. Den Kontakt zwischen Tholander und dem Verein stellten der Häfler Herbert Meinl und Antje Hugle vom Maximilian-Kolbe-Werk her, das sich ebenfalls der Aufarbeitung der NS-Vergangenheit widmet.

Die nackten Zahlen sorgen für Bestürzung unter den Besuchern aus Pirna. Wirklich emotional wird es aber, als Tholander aus Briefen von Inhaftierten vorliest. Besonders tragisch ist das Schicksal zweier russischer Zwangsarbeiter, die nach einem gescheiterten Fluchtversuch erschossen wurden. Für Steffen Richter, Vorsitzender von Akubiz, sind es diese Geschichten, die für die Erinnerungskultur besonders wichtig sind. "Das Ziel unserer Arbeit ist es, den Zahlen ein Gesicht zu geben", sagt Richter. Diese Herangehensweise an Geschichte löse bei den Menschen eine andere, persönlichere Art von Betroffenheit aus. "Lokale Aufarbeitung erreicht die Leute intensiver", ist sich der Vorsitzende sicher. Sowohl in Friedrichshafen als auch in Pirna wolle man so Zeichen gegen das Vergessen setzen.

Der Verein

Das mehrfach ausgezeichnete "Alternative Kultur- und Bildungszentrum" (Akubiz) aus Pirna setzt sich aktiv gegen jede Form von Rassismus, Antisemitismus und Sexismus ein. Im Mittelpunkt der Aktivitäten stehen die politische Aufklärung sowie die Aufarbeitung des Nationalsozialismus in Pirna und dem Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge. In diesem Rahmen finden jährliche Bildungsreisen ins In- und Ausland statt. In der Vergangenheit war der Verein immer wieder Angriffen aus der rechten Szene ausgesetzt. jel