Es kommt nicht oft vor, dass in der öffentlichen Sitzung des Gemeinderats eine geheime Abstimmung beantragt wird. ÖDP-Fraktionsvorsitzende Sylvia Hiss-Petrowitz tat es am Dienstagabend, auch wenn sie den Antrag später wieder zurückzog. Es kommt auch nicht oft vor, dass Oberbürgermeister Andreas Brand seinen Sprechzettel auf den Pressetisch legen lässt. Vor der Entscheidung, wo die neue Albert-Merglen-Schule gebaut wird, hat er es getan.

Und es gab weitere Besonderheiten. Gut 100 Bürgerinnen und Bürger – so viele wie sehr lange nicht – hatten sich im Sitzungssaal auf der Messe eingefunden, um die Diskussion im Rat zu verfolgen. Einige nutzten die Gelegenheit, in der Bürgerfragstunde den Räten ihre Position zu erläutern, ins Gewissen zu reden. Die Entscheidung polarisierte: Soll die neue Schule wieder am Rand eines Industriegebiets oder am Rand einer Kaltluftschneise auf der grünen Wiese gebaut werden? Kinder oder Klima?
Rathaus empfiehlt den alten Standort
Nach gut zwei Stunden Debatte stand es 20 zu 16 für die grüne Wiese am Hauptfriedhof, die landwirtschaftlich von einem Biohof genutzt wird. Die Mehrheit aus CDU, Freien Wählern, SPD und Gaby Lamparsky (FDP) ließ sich trotz eindringlicher Appelle der Ratskollegen nicht von ihrem Veto abbringen. Auch das war bemerkenswert: Das Rathaus hatte nach aufwändiger Prüfung den heutigen Standort der Schule als Vorzugsvariante empfohlen und wollte auch nur darüber abstimmen lassen. Mit dem Antrag des „bürgerlichen Blocks“ plus SPD-Fraktion erzwang die Ratsmehrheit die Abstimmung über den Standort am Friedhof – mit Erfolg.
Wo lagen die Differenzen? Der OB erklärte, dass beide Standorte grundsätzlich geeignet seien – mit unterschiedlichen Vor- und Nachteilen. Kann man in eine Frischluftschneise wie am Friedhof bauen? Ja, so Andreas Brand, wenn man in der Abwägung dazu komme, dass es vertretbar sei. Für den alten, bewährten und vertrauten Standort spreche einiges. Der Neubau dort ist auch für eine Schule mit drei Klassen pro Jahrgang im Ganztagsbetrieb baulich machbar. Die Verwaltung sieht dort weniger Hürden, um schnell Baurecht zu schaffen.
Die Zeit ist ein gewichtiges Argument: Die Schule platzt schon seit Jahren aus den Nähten. Was, wenn sich ein Bau in der Kaltluftschneise nach der Umweltprüfung als Sackgasse erweise, fragte Philipp Fuhrmann (Netzwerk). Die Verwaltung plane, was der Rat beschließe, antwortete der OB. Ob das dort rechtssicher machbar sei, wisse man vorher nicht.
Und: Was folgt am Standort Industrieweg, wenn die Grundschule an den Friedhof zieht, und was kostet das dann? Ihm sei diese Frage schon wieder einen Tick zu komplex, sagte OB Brand und stimmte am Ende für seinen, für den Verwaltungsvorschlag.
„Persönlich bin ich zutiefst überzeugt, dass es uns gelingen kann, am jetzigen Standort eine fachlich, wirtschaftlich und pädagogisch gute Lösung zu verwirklichen.“Andreas Brand, Oberbürgermeister
„Es geht nicht um die Polarisierung Kind oder Klima! Wir gewichten anders. Es geht nicht um entweder oder, sondern sowohl als auch für die Zukunft der Kinder“, erklärte Dagmar Hoehne (Freie Wähler) den Gegen-Antrag der drei Fraktionen. Wichtigster Aspekt für sie sei, dass vermutlich auch drei Züge für die Albert-Merglen-Grundschule mittelfristig nicht ausreichen werden. Sie verwies auf viele neue Wohnungen, die im Fallenbrunnen oder in Jettenhausen geplant sind. Der alte Standort sei deshalb nicht zukunftsfähig. „Wir sind nicht die Ewig-Gestrigen“, sagte sie. Die Kaltluftschneise ignoriere man nicht, sei aber zur Auffassung gelangt, dass das baulich händelbar sei.
„Es geht nicht um entweder oder, sondern sowohl als auch für die Zukunft der Kinder.“Dagmar Hoehne, Fraktionschefin der Freien Wähler
Eine Grundschule müsse nicht zwangsläufig auf einer grünen Wiese stehen, erklärte Regine Ankermann, selbst Lehrerin, für die Grünen-Fraktion. „Dass pädagogisch sehr gute Arbeit auch in einem Industriegebiet gelingen kann, beweist die AMS schon seit vielen Jahren.“ Außerdem gehöre ein Grundschule in ihr soziales Umfeld und stehe deshalb „genau am richtigen Fleck“.
Die Grünen sehen noch ein anderes Problem: „Man sollte die Gefahr, dass gegen den Neubau einer Schule in einer Kaltluftschneise vor Gericht geklagt wird, nicht leichtfertig vom Tisch wischen.“ Nicht zuletzt schwang die Sorge mit, dass nach einer Schule daneben noch eine Sporthalle gebaut wird und weitere Bauten folgen könnten. Die Stadt brauche aber diese „grüne Lunge“.
„Man sollte die Gefahr, dass gegen den Neubau einer Schule in einer Kaltluftschneise vor Gericht geklagt wird, nicht leichtfertig vom Tisch wischen.“Regine Ankermann, Grünen-Fraktion
Es gebe, so oder so, einen Gewinner, sagte Jürgen Holeksa: einen Neubau für die Albert-Merglen-Schule. „Das bleibt die gute Nachricht.“ Doch die Entscheidung wäre schon vor einem Jahr möglich gewesen, wertvolle Zeit verronnen. Der Fraktionschef vom Netzwerk appellierte ans ganze Gremium. „Es ist eine Jahrhundert-Chance zu zeigen, dass wir es mit dem Klimaschutz ernst meinen.“ Erst vor Kurzem habe der Rat den FN-Nachhaltigkeits-Check beschlossen.“ Bei dem würde dieser Neubau auf der grünen Wiese wohl durchfallen.“
„Es ist eine Jahrhundert-Chance zu zeigen, dass wir es mit dem Klimaschutz ernst meinen.“Jürgen Holeksa, Fraktionschef des Netzwerks für Friedrichshafen
Und mehr als 3000 Unterschriften gegen diesen Standort seien das „mit Abstand stärkste Bürgervotum in den letzten zehn Jahren“.
Die Mehrheit im Gemeinderat hat anders entschieden.