Überlingen – Die Stadt wird im Gartenschaujahr 2020 auch ihr 1250-jähriges Bestehen feiern. So war es bei der gezielten Bewerbung auf dieses Jahr und beim Zuschlag für die Veranstaltung geplant gewesen. Daran sollen auch die zwischenzeitlich neuen Erkenntnisse der Historiker nichts ändern, dass zumindest die erste überlieferte schriftliche Erwähnung auf einer Urkunde im Kloster St. Gallen mit höchster Wahrscheinlichkeit am 9. August 773 datiert wurde. Eine entsprechende Empfehlung an den Gemeinderat beschloss der Ausschuss für Bildung und Kultur jetzt einstimmig.
Das Gremium war sich einig, dass auch das spätere Datum des Dokuments nahelege, dass es das hier erwähnte "Iburinga" auch schon drei Jahre zuvor gegeben habe. Eine repräsentative Publikation zur Geschichte Überlingens könne bis zu diesem Zeitpunkt allerdings nicht mehr auf seriöse Weise fertiggestellt werden. Darin waren sich Kulturreferent Michael Brunner und Stadtarchivar Walter Liehner einig. Sie forderten zudem im Vorfeld der Feier eine offensive Darstellung, dass sich die Stadt des Dilemmas durchaus bewusst sei. Es müsse dazu eine Veranstaltung mit einem "großen Vortrag" geben, der die ursprüngliche Annahme und die neuere Interpretation aus wissenschaftlicher Sicht beleuchte. Liehner: "Ein ganz kleines Fragezeichen gibt es ja auch da weiterhin." Noch nicht vergessen ist schließlich die 1000-Jahr-Feier Meersburgs 1988, die auf den wackligen Beinen einer wohl im sächsischen Merseburg ausgestellten Urkunde stand.
Bauchgefühl und Vernunft brachten die Ausschussmitglieder nach längerer Diskussion zu dieser einmütigen Entscheidung. Auch Oberbürgermeisterin Sabine Becker hatte sich ausdrücklich dafür ausgesprochen, ehe sie sich zu dem in Überlingen tagenden Gemeindetag verabschiedete. Die Stadt habe sich mit dem Verweis auf das Jubiläum um die Gartenschau 2020 beworben und die geplante Feier sei auch ein Argument für die Entscheidung des Landes zugunsten Überlingens gewesen, sagte Becker. Zudem habe die Stadt 1970 mit guten Gründen das 1200-jährige Bestehen gefeiert, war ein eher emotionales Argument. Aufgrund der notwendigen Infrastruktur für die Gartenschau könne die Stadt zumindest viele Basiskosten einsparen, lautete die eher rationale Begründung. Geld in die Hand nehmen, um die Jubiläumsfeier zu inszenieren, müsse die Stadt allerdings auch 2020, bekräftigte Liehner: "Das darf nicht peinlich werden."
Nicht von Anfang an ganz einer Meinung war das Gremium über die Wahrnehmung des Stadtjubiläums im Rahmen der Großveranstaltung. Auf der einen Seite würden zwar sehr viele Besucher damit konfrontiert, ob es allerdings die verdiente Wertschätzung in einer Flut von Events erfahre, daran zweifelt zumindest Stadtrat Ulf Janicke (LBU/Grüne). Wie er selbst erinnerten sich wohl viele Überlinger noch an die 1200-Jahr-Feier von 1970, sagte Günter Hornstein (CDU). Daran 2020 anzuknüpfen, wäre aus seiner Sicht plausibel und wünschenswert. Als "großes Pfund" bewertete auch Roland Biniossek (Linke) die Landesgartenschau aus dieser Perspektive und sprach sich schon "aus praktischen Gründen" für das Jahr 2020 aus.
Auf jeden Fall habe Überlingen im Gartenschaujahr die Chance, seine grünen Qualitäten mit den historischen Gegebenheiten auf attraktive Weise zu verknüpfen, betonte Fachbereichsleiter Raphael Wiedemer-Steidinger. Bald einig war sich das Gremium, sich mit einer angemessenen Chronik die notwendige Zeit zu lassen. Die Publikation der Stadtgeschichte könne Überlingen dann ja passend am 9. August 2023 präsentieren, bemühte sich Oswald Burger (SPD) mit einem Vorschlagen, allen Aspekten gerecht zu werden.
Das Dilemma
Erst in den letzten Jahren ist eine Diskussion auch unter Geschichtswissenschaftlern entbrannt über die korrekte Datierung einer Urkunde im Kloster St. Gallen. Dieses Papier gilt derzeit als erste bekannte schriftlich überlieferte Erwähnung des Namens "Iburinga". Der Gemeinderat durfte sie am 14. Dezember 2014 in Augenschein nehmen. Unterzeichnet ist sie mit dem eindeutigen Datum 9. August. Bisher hatte man die lateinische Angabe des Jahres – sinngemäß "im zweiten Jahr der Regierung von Karl" (dem Großen) – als Jahr 770 gedeutet, da Karl der Große im Jahr 768 König geworden war. Allerdings nur im Westfrankenreich. Zu diesem Zeitpunkt war in Überlingen noch dessen Bruder Karlmann der Regent. Erst mit dessen Tod 771 fiel Karl dem Großen auch die Herrschaft über das damalige Ostreich mit Überlingen zu. Daher gehen die Fachleute inzwischen davon aus, dass sich die Datierung darauf bezieht und die Urkunde im Jahr 773 ausgestellt worden sei. (hpw)