Nach einer dreistündigen gemeinsamen Radtour, die im Mai 2019 auf Initiative des SÜDKURIER stattfand, versprachen sich Überlingens Oberbürgermeister Jan Zeitler und Bernhard Glatthaar vom Allgemeinen Deutschen Fahrradclub (ADFC) per Handschlag, auch in diesem Jahr gemeinsam zu radeln. Ziel war es, den Dialog zwischen Stadtverwaltung und dem ADFC zum Thema Radverkehr in Überlingen fortzuführen. Der ADFC wollte damit auch verfolgen, was sich zur Verbesserung seiner Mängelliste getan hat, beziehungsweise ob gemachte Versprechungen auf der Tour im Jahr 2019 eingehalten wurden.
Zeitlers Begründung für die Absage der Tour
Dass diese Radtour nicht wie vereinbart am 1. Oktober stattfand, begründete Jan Zeitler im Gemeinderat wie folgt: Er wolle sich angesichts der kommenden Landtagswahlen im Frühjahr 2021 nicht politisch an diesbezüglichen Fragestellungen abarbeiten. Auch wenn er einräumte, dass diese Fragestellungen durchaus wichtig seien. Es gebe tatsächlich neuralgische Punkte, aber wenn es nur um öffentliches Interesse gehe, sei ihm das derzeit zu wenig.
Der ADFC hatte die gemeinsame Radtour abgelehnt, weil der SÜDKURIER – und damit die Öffentlichkeit – dazu vom Oberbürgermeister nicht wie vereinbart eingeladen wurde. Der Kreisvorsitzende des ADFC bedauert dies und sagt: „Vor der letztjährigen Kreistagswahl passte das dem OB doch auch, das alles ist doch ziemlich durchsichtig.“
Der ADFC mit seinen 900 Mitgliedern im Bodenseekreis wolle auch in Überlingen die Chance haben, konstruktiv mitzuarbeiten. Jedoch sei nun die Grenze der Eskalation quasi erreicht, so Glatthaar.
Radverkehrskonzept seit 2015 in der Schublade der Verwaltung
Seit 2015 liege das von der Stadt Überlingen in Auftrag gegebene Radverkehrskonzept in der Schublade der Verwaltung. Nach fünf Jahren müsste es jetzt sogar praktisch wieder aktualisiert werden. „Das liegt schon am Chef und ist eher ungewöhnlich für eine Kommune, ein Konzept zu beauftragen, um es dann nicht umzusetzen“, meint Glatthaar, der im Bodenseekreis mit vielen Gemeinden zusammenarbeitet.

Die Dringlichkeit einer Verbesserung der Situation für Radfahrer in Überlingen zeigt der ADFC-Klimatest, der jedes Jahr gemacht wird. In dem belegt die Stadt am See seit 2016 einen der letzten Plätze in Baden-Württemberg.
Von den rund zehn als gefährlich bemängelten Verkehrspunkten bei der Radtour im vergangenen Jahr seien nicht einmal die Hälfte beseitigt, kritisiert Bernhard Glatthaar und ergänzt: „Die bis heute seitens der Stadt getroffenen Maßnahmen sind lediglich punktuelle Selbstverständlichkeiten.“
Wunsch nach Beteiligung in einem Arbeitskreis Rad
Prisca Resch, ADFC-Mitglied und Ehefrau von Jürgen Resch von der Deutschen Umwelthilfe, würde sich gerne in einem Arbeitskreis Rad beteiligen: „Radfahren mit Kindern ist in Überlingen an vielen Stellen lebensgefährlich, zum Beispiel auch in der engen Jakob-Kessenring-Straße„. sagt sie.

Irene Alpes, Ortszuständige des ADFC, plant ADFC-Touren, wie sie sagt, mittlerweile fast ausschließlich im Hinterland, da ihr Überlingens Radwege viel zu gefährlich seien.

Der Arbeitskreis Rad, ein Hauptanliegen des ADFC zur Verbesserung der Infrastruktur für Radfahrer in Überlingen, sollte in diesem Jahr eingesetzt werden, so lautete 2019 das Versprechen der Stadtverwaltung. Auf Anfrage teilt die Verwaltung dazu mit: „Wir stehen in regelmäßigem Kontakt mit dem ADFC und haben aufgrund der Corona-Pandemie entschieden, ein erstes Treffen vorläufig aufzuschieben.“
Der ADFC weist diese Aussage zurück: „Weder regelmäßig, noch Kontakt“, kommentiert der Kreisvorsitzende vom ADFC. Man habe sich deswegen bereits im Frühjahr an Stadtbauamtsleiter Thomas Kölschbach gewandt, der bei der Radtour 2019 dabei war, ohne bisher überhaupt eine Antwort erhalten zu haben.
Frust klingt durch bei Bernhard Glatthaar. Andere Kommunen trafen sich im Sommer auch mit dem ADFC, berichtet er. Laut Überlingens Baubürgermeister Matthias Längin solle der Arbeitskreis Rad aber bis Ende dieses Jahres seine Arbeit aufnehmen, so sagte es Längin im Gemeinderat auf Nachfrage.
Schülerbefragung zum Thema Radwege nicht bearbeitet
Eine freiwillige Schülerbefragung zum Thema Radschulwege aus dem Winter 2019, vorgenommen von der Abteilung Bildung, Jugend und Sport der Stadtverwaltung, ist bis zum heutigen Tage nicht bearbeitet. Die Stadt hatte auf Anfrage des SÜDKURIER vom März eine baldige Mitteilung über die Ergebnisauswertung zugesagt. Die aktuelle Antwort der Pressestelle dazu lautet jetzt: „Die zuständige Stelle ist derzeit vakant und ausgeschrieben, sodass es inhaltlich noch keine weiteren Informationen gibt.“
Glatthaar kommentiert mit ironischem Unterton: „Das Thema muss der Stadt ja wahnsinnig wichtig sein. Daran kann man sehen, welche Priorität das Thema in Überlingens Verwaltung einnimmt“, beurteilt er den Vorgang.
ADFC will komplettes Konzept mit festen Routen für Überlingen
Ziel des ADFC-Engagements für Überlingen ist es laut Bernhard Glatthaar, ein komplettes Konzept mit echten Routen für Radler zu etablieren, anstatt eines „Sternenhimmels mit einigen leuchtenden Punkten“, wie zum Beispiel der neue Radweg Burgberg-Weiherhalde.