„Wir waren als Kinder ganz dünn. Wenn das Pfahlbaumuseum geschlossen hatte, haben wir uns dort durch die Stäbe gedrückt und auf dem Gelände des Museums gespielt.“ Wenn sich Luise Blumenstein an die frühen 1950er Jahre erinnert, dann sprudeln ihre Erinnerungen nur so hervor. Eine davon ist, dass sie bei niedrigem Wasserstand im Freundeskreis aus dem Bodensee Lehmerde holte und daraus kleine Schüsseln, Töpfe und Tellerchen formte und diese zum Trocknen aufstellte. „Wir konnten diese nicht mitnehmen, weil wir uns ja wieder durch die Enge durchdrücken mussten, damit wir wieder rauskamen“, sagt die 77-Jährige schmunzelnd. "Die Leute im Museum haben sich sicherlich gewundert, was dort auf dem Boden stand." Allerdings habe man im Museum gewusst, dass sie als Kinder sonst nicht viel zum Spielen hatten. „Es gab keinen Spielplatz oder dergleichen“, so die Autorin zweier Kinderbücher.
Dafür sei die Infrastruktur besser als heute gewesen, sagt Blumenstein. So waren allein drei Lebensmittelgeschäfte vorhanden, „auch eines, wo man offene, frische Milch geholt hat“. Unter anderem gab es einen Schuster. Ihre Familie selbst verfügte über eine kleine Metzgerei gegenüber der Kirche. Vom Wohnzimmertisch aus konnte sie direkt bis auf den Altar gucken, wenn die Tür wie im Sommer üblich auf gewesen war. Blumenstein: „Die Kirche war damals proppenvoll.“ Auch gab es einen Apothekerzubringerdienst: Zwei Damen mit Namen Hempel besorgten täglich Arzneien in Meersburg, die man am Abend dann abholen konnte. „Das war schon hervorragend.“ Sie erinnert sich an den Arzt des Ortes, einen Dr. Moser, der in einem schönen braunen Holzhaus an der Bergstraße wohnte und immer mit einem kleinen Motorrad unterwegs war.

„Wenn man in die Praxis wollte, musste man in die Bergstraße rauf.“ Der Tourismus florierte nach Worten Blumensteins schon früh, was insbesondere am Pfahlbaumuseum gelegen habe. „Ganz viele Leute haben sich mit Fremdenzimmer beteiligt“, so Blumenstein, die beispielsweise die Pension Rieker – dort, wo heute die „Seevilla“ ist -, das Haus „Bühler“ oder „Seefrieden“ nennt. Auch waren ihr zufolge mehrere Gaststätten vorhanden. „Die Krone war vorne im Dorf die Hauptgaststätte“, sagt sie und nennt auch den „Mainaublick“, die „Seerose“ und die „Seeperle“. „Und natürlich gab es den Seehof, der zuvor ein Hospiz, so etwas wie ein Erholungsheim, gewesen war." Blumenstein, die die Hauptschule in Unteruhldingen und später die Handelsschule in Überlingen besuchte, entsinnt sich, dass die Schüler mit dem Schiff nach Überlingen in die weiterführenden Schulen fuhren. Das 1960 stillgelegte Dampfschiff Zähringen fuhr drei Mal täglich nach und von Überlingen, „morgens, mittags und abends“. Dann aber gab es bald auch eine Busverbindung. „Das war noch toller, weil das noch schneller ging. Da konnten auch die Kinder von Oberuhldingen und von Nußdorf einsteigen.“ Die Mutter dreier erwachsener Söhne erinnert in dem Zusammenhang auch an die 2,53 Kilometer lange eingleisige Nebenbahn der Bodenseegürtelbahn, die als Stichstrecke in Oberuhldingen abzweigte und nach Unteruhldingen führte und am „Seehof“ wendete. „Da hat er Wasser und Kohle aufgenommen und fuhr retour nach Frickingen“, sagt sie über den am 31. Oktober 1950 von der Deutschen Bundesbahn wieder stillgelegten „Hamsterzug“.
Gerne denkt Blumenstein an das Strandbad zurück. „Nicht so groß wie jetzt, aber mit richtigen Umkleidekabinen. Eine große für Frauen, eine große für Männer.“ Sie verfügte über eine Dauerkarte, war im Bad buchstäblich den ganzen Tag, „da waren wir glücklich, wenn wir da waren“. Sonnencreme kannte sie keine. Als besonders empfand sie im Strandbad zwei Flöße und zwei Baumstämme zum Rumtollen. Dort, wo sich heute die Bootsvermietung Weber befindet, standen kurz nach dem Krieg Fischwägen aus Hamburg. Im Innern: Kieferknochen eines Wales, getrocknete ausgestopfte Fische und ein paar weitere Attraktionen. „Nordseefische, die man für ein paar Pfennige besichtigen konnte. Es hat aber furchtbar gestunken.“ Im Winter wiederum fuhr sie Schlitten bis an die Krone ins Dorf, „und die Fasnet, da haben wir uns unglaublich reingesteigert“. Mitte der 1950er Jahre hörte sie sonntags im Freundeskreis gerne Schallplatten, oder lief nach Meersburg, um dort das Kino im Burgkeller an der Steigstraße aufzusuchen. „Oder wir haben uns zehn Kugeln Eis für eine Mark geholt“, sagt Blumenstein in Erinnerung an die erste italienische Eisdiele in Meersburg.
Ganz besonders im Gedächtnis ist ihr der Baron von Roehl geblieben, der den Kiosk Schilfhütte betrieb und dort oft gegen ein kleines Entgelt mit Besuchern für ein Foto posierte. „Er war sehr eigenartig für uns Dorfkinder. Er war groß und kräftig, so etwa 1,90 Meter, braun gebrannt. Blondes langes Jahr zu einem Pferdeschwanz gebunden. Schmuck, goldene Ohrringe, Armbändchen und das Besondere: Er trug immer große blumige Frauenkleider und hohe Stöckelschuhe, Größe 43, mindestens acht Zentimeter hoch." Mit einem großen Kruzifix ausgerüstet sei er majestätisch in die Kirche Birnau geschritten, immer als letzter Besucher, um beachtet und bewundert zu werden. Erfolgreich sei ein Prozess gegen die Gemeinde gewesen, um ihm bei der Schilfhütte einen Abwasserkanal zu genehmigen. Er sei nicht geneckt worden, man habe von seinen Neigungen gewusst, „aber er war sehr nett und ein kluger Kopf“. Luise Blumenstein: „Er war schon etwas Besonderes für so ein Dorf mit vielen Fischern und Landwirten.“
Pfahlbauverein lebt wieder auf
Stark ansteigende Besucherzahlen verzeichnete das Pfahlbaumuseum nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, den das Freilichtmuseum trotz der formellen Auflösung des Pfahlbauvereins im Jahr 1945, der Besetzung des Museums und Beschlagnahmung der Pfahlbauten durch französische Besatzungstruppen Ende April 1945 überdauerte.
Mit dem Kriegsende kehrte das Freilichtmuseum formal wieder in die Verwaltung des Pfahlbauvereins zurück, nachdem es acht Jahre lang vom Reichsbund für deutsche Vorgeschichte geleitet worden war. Die Museumsleitung hatte seit 1938 Professor Hans Reinerth inne. Bereits am 2. Juni 1945 erteilte der französische Ortskommandant die Erlaubnis zur Wiedereröffnung des Museums. Nachdem die Soldaten abgezogen waren, wurde aufgeräumt, beschädigte Toranlagen, Fenster und Plattformen instandgesetzt. Einrichtungsgegenstände wurden vom Seeboden, aus dem Schilf des Naturschutzgebietes, aus Maurach, Nußdorf und Meersburg wiederbeschafft: Die Wiedereinrichtung der Pfahlbauten begann. Erste Führungen waren wieder ab September möglich.
Am 15. März 1946 wurde Hans Reinerth wegen seiner nationalsozialistischen Vergangenheit als Reichsamtsleiter in Überlingen verhaftet und interniert. Seine Vertreterin wurde die wissenschaftliche Assistentin Gerda Schneider, die im Jahr zuvor mit einem „Laissez-passer“, einem Passierschein des französischen Militärs die Erlaubnis erhielt, mit dem Fahrrad dienstlich von Überlingen nach Unteruhldingen und zurückzufahren.
Die Arbeiten des Pfahlbauvereins unter Leitung von Fritz Sulger ruhten allerdings noch einige Zeit bis zur Wiederaufnahme im Jahr 1950 unter dem Vorsitzenden Landrat Rudolf Maier aus Überlingen. Im Dezember 1949 hatten 33 Mitglieder des Vereins schriftlich ihren Wunsch geäußert, wieder eine Hauptversammlung des Vereins auszurichten. Ab 1952 wurde die Vereinszeitschrift „Vorzeit am Bodensee“ herausgegeben, ein Jahr später übernahm Hans Reinerth nach erfolgter Entnazifizierung wieder die Museumsleitung. Anlässlich des Jubiläums „100 Jahre Pfahlbauforschung“ wurde 1954 das Forschungsinstitut für Vor- und Frühgeschichte gegründet, das an den Pfahlbauverein angegliedert ist. Mittels einer baulichen Aufstockung des Museums konnten die dafür notwendigen Arbeitsräume und Magazine für die Originalsammlungen innerhalb des Museums selbst geschaffen werden, die ihren Ursprung in der Privatsammlung des Unteruhldinger Bürgermeisters Georg Sulger hatten. Und im gleichen Jahr nahm Reinerth wieder Unterwasserforschungen im Bodensee vor, war erster Präsident des 1954 gegründeten Verbandes der Deutschen Sporttaucher mit Sitz in Überlingen.