Als Kulturvermittlerin ist es Jana Mantel ein Anliegen, dass Kunst zu den Leuten kommt. „Kunst ist mehr als ein Bild an der Wand“, sagt sie bei der Vernissage von „Kunst im: Wohnzimmer“, ein Ausstellungsprojekt, das aus einer von ihr initiierten Artikelserie im SÜDKURIER entstanden ist. Die Idee kam ihr während der Coronazeit, wo sie um die 100 Menschen in und um Konstanz besuchte, die ihr die Kunstwerke vorstellten, die bei ihnen im Wohnzimmer hängen, „manchmal auch per Zoom“, erinnert sie sich.

„Hinter jedem Werk steckte eine spannende Geschichte.“ Die Kunst habe den Zugang zu oft sehr persönlichen Gesprächen eröffnet. Jana Mantel glaubt, dass die Serie auch von Menschen gelesen wurde, die sich üblicherweise eher weniger für Kunst interessieren, weil sie den Bezug der Personen zu ihrem Kunstwerk eindrücklich fanden.

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Vielleicht besuchten den Vernissage-Abend ebenfalls Menschen, welche die individuellen Geschichten hinter der Wohnzimmerkunst erfahren und zudem den spektakulären Ausstellungsort besichtigen wollten. Vom 29. Juni bis zum 3. August hängen 23 Werke aus der Serie im Stadlerhaus in der Zollernstraße 10, als erstes Projekt dieser Art von der Crescere-Stiftung aus Konstanz gefördert, kuratiert von Jana Mantel.

Wolfgang Münst und Stephan Tögel, die beiden Vorstände der noch jungen Stiftung, kamen durch den Erfolg der SÜDKURIER-Serie auf Jana Mantel zu, mit dem Vorschlag, eine Ausstellung daraus zu machen. Der Ort war bereits gegeben, denn Christian Stadler, als Besitzer der vor einem Jahr vom Brand verwüsteten Immobilie, ermöglicht der Crescere-Stiftung während der Renovationszeit, das erste Obergeschoss zwischenzunutzen. „Es ist unser erstes Ausstellungsprojekt“, sagt Wolfgang Münst, es werde aber sicher nicht das Letzte sein.

Kunstvermittler Oliver Boberg führt in die von Jana Mantel kuratierte Ausstellung im Stadlerhaus ein.
Kunstvermittler Oliver Boberg führt in die von Jana Mantel kuratierte Ausstellung im Stadlerhaus ein. | Bild: Judith Schuck

Mit der Kunst sei endlich wieder Leben ins Stadlerhaus eingezogen, sagt Oliver Boberg in seiner Einführung zu „Kunst im: Wohnzimmer“. Er kennt Jana Mantel seit vielen Jahren und teilt mit ihr die Leidenschaft für die Kunstvermittlung. Boberg beschreibt die Ausstellung als „extrem heterogen“, wie es so nie in einem Museum zu sehen sein würde. Abstrakte gemischte Medien, grafische Tapeten, Akrylblumen, Zinnskulpturen, Linoldrucke, Landschaftsmalereien oder ein Wandteppich hängen an den rohen Wänden im Stadlerhaus. In jedem Raum erzählen Portraits die Geschichte hinter dem jeweiligen Werk, Schwarz-Weiß-Fotografien von Franziska Reichel mit einem Text von Jana Mantel.

Susanne Breinlinger entdeckte einen Linolschnitt von Regina D‘Alfonso zufällig in einem Schaufenster, als sie durch die Konstanzer Altstadt schlenderte. Kunst zu kaufen, ist für die Psychotherapeutin eine Bauchentscheidung. Sie kaufte nicht nur einen Druck der Konstanzer Künstlerin, sondern belegte bei ihr auch einen Linoldruckworkshop. Sie fasziniert an „Zauberwald“, dass die Grafik so detailreich ist und es wie in einem Wimmelbild immer wieder Neues zu entdecken gibt. „Das Bild ruft in mir ein wohliges Gefühl hervor.“

Was ist Kunst?

Bei einer Eröffnungsrede thematisiert Oliver Boberg auch die Frage, was überhaupt als Kunst bezeichnet werden kann. Er zieht bei den Werken der Ausstellung eine Parallele zu den Objet trouvé, Alltagsgegenständen, die wie das berühmte Pissoir von Marcel Duchamp im Kontext des Museums zu Kunst werden können. Bei der Kunst der Reihe „Kunst im Wohnzimmer“ handele es sich zwar im Gegensatz zum Objet trouvé um geschaffene, nicht gefundenen Werke, die aus sich heraus Kunst seien; dennoch entfalteten sie auf eine gewisse Weise die Präsenz des Besitzers, der das Werk für sich gefunden hat. „Wer hat sich das zugelegt? Welchen Bezug habe ich zu der Arbeit, bei dem Gedanken, dass es jemand anderem gehört?“ seien Fragen, die die Ausstellung begleiteten. „So etwas wie hier sehen Sie sonst nirgendwo“, versichert Boberg den Anwesenden der Vernissage. „Die Werke treten untereinander und mit den Besuchenden in Dialog.“

Sonali Mhalas-Bartels ist Besitzerin bunter Akrylglasblumen von Barbara Engelhard. Lange Zeit lagen die Blüten bei ihr auf dem Schreibtisch, inzwischen hängen sie an der Wand, sodass sie von ihrem Arbeitsort draufschauen kann. Wenn die Juristin ab und an aufblickt und auf die bunten Blüten an der Wand blickt, sei dies Entspannung für ihre Augen, sagt sie. Erst nach dem Kauf erfuhr sie, dass die Blumen Teil einer Kunst am Bauprojekt waren. Der Gedanke, dass sie zu einem größeren Ganzen gehören, gefällt ihr.

Kann aber ein Duschvorhang oder eine Tapete noch Kunst sein? Das wollte Oliver Boberg von Stephan Schmitz und Künstlerin Mariken van Heugten wissen. Schmitz blätterte am Frühstückstisch immer mal wieder durchs digitale Skizzenbuch von Mariken van Heugten, das sie auf Instagram veröffentlichte. Ein florales Schwarz-Weiß-Design gefiel ihm so gut, dass er anfragte, ob er daraus eine Tapete haben könne, andere Muster konnte er sich auch als Duschvorhang vorstellen. „Für mich ist meine Tapete auf jeden Fall Kunst“, sagt Stephan Schmitz, denn Kunst sei etwas sehr Persönliches.

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Die persönliche Beziehung zwischen Kunstwerk und Besitzenden spürte Jana Mantel ganz stark, als sie die Bilder vom Wohnzimmer in die Ausstellung holte: „Das war ein sehr emotionaler Moment, als ob ich das Bild von seinem Menschen weggeholt hätte.“ Wie die Lücken in den Wohnzimmern während der Ausstellungsdauer gefüllt sind, das wäre eine weitere Untersuchung wert.