Hecheln liegt etwas abgeschieden. Tatsächlich ist der Ortsteil von Mühlingen so überschaubar, dass man den wenigen Straßen, die es hier gibt, nicht einmal eigene Namen gegeben hat. Ein ruhiges, friedliches Dorf. Spätestens, wenn man am Ortsende die Eingangstür der ausladenden Werkstatt mit der Hausnummer 18 öffnet, meint man tatsächlich, einen Ort zu betreten, an dem die Zeit still steht. Ein Holzofen sorgt für mollige Wärme. Fuchspelze und Trinkhörner baumeln von den Wänden. In einer Ecke ist eine schwarze Lederrüstung aufgebaut. Würde aus den Lautsprecherboxen nicht lauter Hard-Rock tönen, ließe sich die ehemalige Zimmerei gut und gerne auch im Mittelalter verorten.
"Nur hereinspaziert", begrüßt ein freundlicher Mann mit wallendem Bart. Andreas Heine bietet einen Sitzplatz auf einem Schafsfell an und schenkt eine Tasse dampfend heißen Kaffee ein. "Mit Zimt – so mag ich ihn am liebsten."
Einige Meter von seinem Sitzplatz entfernt liegt auf einer Anrichte die Vorlage einer seiner zuletzt fertiggestellten Arbeiten: Ein Ledergürtel, um den schmale Seile in den Farben rot, grün und gelb geflochten sind. "25 dieser Gürtel habe ich zuletzt für das Gremium des Stockacher Narrengerichts hergestellt", berichtet der stolze Werkstattbesitzer.
Drei bis dreieinhalb Stunden habe er an jedem der Unikate gearbeitet, verrät Heine. "Erst musste das Leder zugeschnitten werden. Danach habe ich jeweils 350 Löcher gestanzt, in die dann die Seile eingeflochten wurden." Insgesamt hat Heine auf diese Weise 170 Meter Seil an den Gürteln befestigt. Ein enormer Aufwand, schließlich ist der 39-Jährige eigentlich hauptberuflich als Maschinendreher tätig. Die Leder- und Holzarbeiten, die er in seiner 160 Quadratmeter großen Werkstatt anfertigt, vertreibt er nebenerwerblich.
"In diesem Fall stand ich unter Zeitdruck", berichtet Heine. "Spätestens zur Dreikönigssitzung mussten die Gürtel natürlich alle fertig sein." Aber auch wenn die Uhr tickte war es dem leidenschaftlichen Tüftler wichtig, dass jedes der Kleidungsstücke am Ende seinen selbst auferlegten Qualitätsstandards entspricht. "Ich wollte, dass die Materialien aus der Umgebung kommen", betont er. Die Seile habe die Stockacher Seilerei Muffler geliefert. Das Leder sei von süddeutschen Gerbereien zur Verfügung gestellt worden und enthalte keinerlei Schwermetalle. Denn egal, ob Andreas Heine einen Gürtel, eine Friedenspfeife oder ein Wams anfertigt, am Ende will der kräftige Mann zu all seinen Produkten stehen können.
Einen typischen Arbeitstag in seiner Werkstatt beschreibt er als eine Art Arbeitsnacht: "Wenn ich nach der Spätschicht nach Hause komme, heize ich hier erst mal den Ofen vor. Dann wird geduscht und zu Abend gegessen – und dann geht's los", sagt Heine mit einem breiten Lächeln. Zum Teil geht er bis morgens um vier Uhr mit Hämmern, Messern und Maschinen zu Werke.
Seine Fertigungen vertreibt er hauptsächlich auf den Mittelaltermärkten der Region. Dabei reicht sein Einzugsgebiet aber längst über die Grenzen der Bodenseeregion hinaus. Zum Beispiel habe er auch schon ein filigran gestaltetes Hundehalsband für einen Kunden in Hamburg angefertigt.
Im Laufe der Jahre hat sein Talent als Kunsthandwerker Heine einen teils exotischen Kundenstamm verschafft. "Einige wenige entstammen der Sadomaso-Szene", verrät er. Was genau mit den Leder-Dessous passiert, die er für diese Sorte Kunden herstellt, möchte er aber gar nicht so genau wissen. "Was die Leute danach mit meinen Anfertigungen machen, geht mich nichts an. Das spielt für den Herstellungsprozess ja keine Rolle", sagt Heine und lacht.
Aber auch wenn er mittlerweile über Facebook einen Internetversandhandel aus der Taufe gehoben hat – leben kann Heine von seinem Hobby nicht. "In der Vor-Fasnachtszeit und im Sommer, wenn die Mittelaltermärkte stattfinden, herrscht bei mir Hochbetrieb." Die Monate dazwischen verbringt er damit, sich an neuen Materialien und Arbeitstechniken zu versuchen.
Aber wie hat er selbst eigentlich seine Leidenschaft für Lederarbeiten entdeckt? "Ich bin immer schon geschichtsinteressiert gewesen", erzählt Heine. Als Mitglied eines Schützenvereins sei er vor einigen Jahren zum Western-Schießen gekommen. "Irgendwann wollte ich dann einen Revolvergürtel haben, der gut aussieht und mir auch wirklich passt." Da er immer schon handwerklich geschickt gewesen sei, war der Gedanke, sich ein eigenes Modell auf den Leib zu schneidern, gar nicht so abwegig. Nachdem ihm diese erste Arbeit gelungen war, begann eine Experimentierphase, die bis heute andauert. Und auch wenn er mittlerweile semi-professionell tätig ist, ist es genau dieses Experimentieren, das Andreas Heine immer noch begeistert.
Heine und das Mittelalter
Dass Andreas Heines Waren gerade auf den Mittelaltermärkten der Region gefragt sind, ist kein Zufall. Der 39-Jährige ist bekennender Fan dieser Epoche. Gerne schlüpft er auf Treffen mit Gleichgesinnten in Wams und Lederhosen – und die Rolle eines fahrenden Händlers. Besonderen Spaß hat Heine im Sommer. Dann finden die meisten der sogenannten "reenactments" statt. Bei diesen Veranstaltungen versuchen Mittelalter-Fans – oftmals über mehrere Tage am Stück – ihre Lieblingsepoche historisch korrekt darzustellen. (das)