Singen – Nicht von ungefähr fand der Vortrag des Historikers Axel Huber zum Schicksal der jüdischen Familie Guttmann aus Singen im Ratssaal statt, denn dort prangt das einzig erhaltene Wandbild von Otto Dix. Es trägt den Titel „Krieg und Frieden“ und ist eine künstlerisch kraftvolle Mahnung gegen die nationalsozialistische Schreckensherrschaft und gegen Krieg, mit dem leidenden Christus am Kreuz in der Mitte des Wandbilds. Auf dieses im Jahr 1960 entstandene Kunstwerk bezog sich auch Oberbürgermeister Bernd Häusler in seinen einführenden Worten, das auf der einen Seite von Unterdrückung, Leid und Vernichtung erzähle und auf der anderen Seite die Erneuerung des Deutschlands nach dem Krieg darstelle, dessen freiheitliche Ordnung auf Frieden, Freiheit und Versöhnung basiere.

Doch auch in der Bundesrepublik seien lange die Gräueltaten unter der Naziherrschaft verdrängt worden, auch in der Stadt Singen. Das habe sich in den letzten Jahrzehnten geändert. Deutschland stelle sich auch den dunkelsten Kapiteln seiner Geschichte, es gebe große und beeindruckende Mahnmale im Land zur eigenen Schuld und im Unterricht werde dazu gelehrt. Dies habe nichts mit „Schuldkult“ zu tun, wobei der OB auf jüngste Aussagen von Elon Musk anspielte, sondern sei Erinnerungskultur und Mahnung zugleich, dass von deutschem Boden aus kein Krieg mehr ausgehen solle und unser Land für Menschenwürde und Demokratie stehe. Bernd Häusler dankte dem Historiker Axel Huber für dessen akribische Aufarbeitung des Schicksals der jüdischen Familie Guttmann, die in der Scheffelstraße 26 gelebt und dort viele Jahre ein Konfektionshaus betrieben hat.

Hans-Peter Storz hatte zuvor die zahlreichen Gäste begrüßt und darauf aufmerksam gemacht, dass in Singen in den letzten 15 Jahren 80 Stolpersteine verlegt worden seien, die an die Opfer des Nationalsozialismus erinnern: an Juden, an Sinti und Roma, an politisch Verfolgte, an Menschen mit Behinderung und an solche, die sich laut der Naziideologie in den Falschen verliebt und „Rassenschande“ begangen hatten. Der SPD-Landtagsabgeordnete und Sprecher der Initiative Stolpersteine in Singen führte dann aus, dass diese in die Erde eingelassenen Steine weit mehr seien als nur das Gedenken an Tote, sondern auch Mahnung und humanistisches Credo: „Solche Verbrechen dürfen nie wieder geschehen.“ Besonders an diesem Vortragsabend war auch, wie Hans-Peter Storz erwähnte, dass der Vortrag von Axel Huber auch online mitzuverfolgen sei und sich zum Beispiel auch Nachfahren der Familie Guttmann aus den USA zugeschaltet hätten.

Axel Huber begann seinen Vortrag, den er mit viel Bildmaterial und Originalunterlagen illustrierte, mit seinem eigenen Besuch im Jahr 2016 in der Gendenkstätte Auschwitz, dem ehemaligen Vernichtungslager, wo mehr als eine Million Menschenleben ausgelöscht wurden. Der Schluss seines bewegenden Vortrags zur Geschichte der Familie Guttmann endet genau wieder an diesem Schreckensort, als die jüngste Tochter der Familie Guttmann, Johanna, die zusammen mit ihrem Kind, der kleinen Tana, am 13. Juli 1942 per Zug von Stuttgart nach Auschwitz-Birkenau im sogenannten „Krankentransport“ deportiert wurde. Mutter und Kind, so der Historiker, gehörten damit zu den ersten Opfern dieser grausamen Vernichtungsstätte. Nicht nur deshalb war die Erinnerung an diesen Teil ihrer Familiengeschichte für die Nachfahren der Guttmanns eine sehr schwierige, wie Axel Huber berichtete. Als Beispiel nannte er Miriam Schwarz, die in den USA lebe, und ihm noch am 20. Dezember letzten Jahres eine Mail habe zukommen lassen mit folgendem Inhalt: „To remember, this is all very sad for me.“ (Bitte berücksichtigen, das ist alles sehr traurig für mich).

Die preußische Kaufmannsfamilie Guttmann hatte sich während des Kaiserreichs in Singen angesiedelt und bald ein florierendes Konfektionshaus in der Scheffelstraße 26 betrieben, wo sie Schuhe, Kleidung und Mode-Accessoires verkaufte. Auch die Familie selbst hatte sich schnell etabliert und Ansehen erworben. Die Kinder gingen in Singen zur Schule, waren Mitglieder im Gesang- und Fußballverein. Als Hitler am 30. Januar 1933 zum Reichskanzler ernannt wurde, war dies auch für Familie Guttmann, wie bei allen Deutschen jüdischen Glaubens, der Anfang vom Ende ihres Lebens als gleichberechtige Deutsche (siehe Infokasten). Schnell liefen die ersten massiven „Arisierungs- beziehungsweise Entjudungsmaßnahmen“ an. Schon am 1. April 1933 erreichten diese einen ersten Höhepunkt mit reichsweiten Boykottaufrufen gegen jüdische Geschäfte. Axel Huber zitiert dazu aus den Bodensee-Nachrichten von jenem Tage: „Jeder Deutsche, der diesen Abwehrkampf gegen die Juden schwächt oder hintertreibt, ist ein Volksverräter.“

Die Zukunftspläne der Kinder Lieselotte, Beate und Martin Guttmann wurden jäh durchkreuzt. Sie wurden als Juden stigmatisiert, ausgegrenzt, ihre beruflichen Träume zerstört. Die Familie Guttmann wanderte nach Ecuador aus – es war eine Flucht, fast alles musste sie zurücklassen – und fristete dort ein Leben in Armut. Nur die Jüngste, Johanna, war im Reich geblieben und hatte das später, zusammen mit ihrer kleinen Tochter, mit dem Leben bezahlt. Wie Axel Huber eindrucksvoll berichtete, waren auch die Überlebenden seelisch gebrochen und traumatisiert. Erst viel später fanden Familienmitglieder eine neue Heimat in den USA, wo auch die Nachfahren heute leben.