In diesem Sommer gab es viele wolkenlose Nächte. Die Sterne zeichneten sich klar im Nachthimmel ab, und der Blick richtet sich voller Staunen und Ehrfurcht nach oben. Wie winzig und unbedeutend ist der Mensch angesichts dieser erschütternden Unendlichkeit des Alls! Kinder fragen, wie weit dieser oder jener Stern entfernt ist und ob man dahin fliegen könne. Die Antwort kann nur enttäuschend ausfallen. Denn selbst wenn man ein Leben lang in der schnellsten Raumsonde säße, die der Mensch bisher gebaut hat – die mit 50 000 km/h fliegende „New Horizons“, die 2015 den Pluto erreichte – man käme doch nie bei irgendeinem Stern an, der dort oben steht.
Die Auswanderung aus unserem heimatlichen Sonnensystem wäre ein Projekt von Generationen – vorausgesetzt, es gelänge, Raumschiffe zu bauen, die Menschen wie auf Mini-Planeten in die Unendlichkeit tragen.
Ein unmögliches Projekt? Angesichts der neun Jahre, die „New Horizons“ zum äußersten Ende des Sonnensystems unterwegs war, könnte einen der Mut verlassen. Und es waren ja noch nicht einmal Menschen an Bord. Bis diese einmal dorthin reisen, wo unsere Sonne nur noch ein winziger Punkt neben unzähligen anderen Punkten am Sternenhimmel ist, dauert es noch sehr lange. Vermutlich. Vielleicht geht es auch schneller.
Die einsame Reise von „Rosetta“
Die Raumfahrt – die bemannte wie die unbemannte – hält Überraschungen bereit, die beinahe so erstaunlich sind wie die Faszination der Gestirne, die der Mensch seit Jahrtausenden zu fantasievollen Sternzeichen verknüpft. Wer hätte 1961, nachdem der US-Astronaut Alan Shepard den Weltraum mit seiner Kapsel gerade mal angetippt hatte, gedacht, dass acht Jahre später seine Kameraden auf dem Mond herumhüpfen und bald sogar mit einem E-Rover dort herumkurven?
Wer hätte noch vor 30 Jahren gedacht, dass es gelingen würde, eine Raumsonde zu bauen, die zehn Jahre und 7,1 Milliarden Kilometer unterwegs ist, um mit einem Kometen namens „Tschuri“ ein Rendezvous zu haben und dann auch noch einen Lander auf ihm auszusetzen? Genau das ist mit der am Bodensee gebauten „Rosetta“-Sonde gelungen. Eine Weltsensation. Eine Neuauflage dieser Art hat am vergangenen Wochenende auf Europas Weltraumbahnhof Kourou in Südamerika abgehoben: „Bepi Colombo“ – ebenfalls am Bodensee gebaut – ist auf seiner langen Reise zum Planeten Merkur, der – von der Sonne gegrillt – den Forschern Rätsel aufgibt.
Eine Reise von sieben Jahren
Die Merkur-Sonde wird zwar lange sieben Jahre brauchen, um ihr Ziel zu erreichen. So erfordert es die Physik, wenn man keinen schweren Treibstoff mitschleppen kann, um Bremsraketen zu befeuern. Aber zur Geschichte der Raumfahrt gehört, dass ständig an neuen Raketen, Kapseln und Sonden gearbeitet wird. Langeweile kommt so nicht auf. Kaum hatte Eugene Cernan im Dezember 1973 mit Apollo-17 als bisher letzter Mensch den Mond verlassen, nahm bereits das künftige „Space Shuttle“ der Nasa Gestalt an.
Die letzten der 135 Shuttle-Flüge dienten wiederum dem Aufbau der Internationalen Raumstation ISS im Erd-orbit, dem ambitioniertesten Technik-Projekt der Menschheitsgeschichte. Und nicht nur das: Die Raumstation entsprang dem Gedanken, nach dem Ende des Kalten Krieges zu einer friedlichen Zusammenarbeit im All zu finden, „Star-Wars“-Phantasien zu stoppen und mit den USA und Russland als Pfeilern neues Wissen und Fortschritt für die Menschheit zu erobern.
Forschungslabor im Weltall
Nun ist – es sind derzeit wirklich große Raumfahrt-Tage für Deutschland – der Künzelsauer Vulkanologe Alexander Gerst Kommandeur der ISS. Erstmals in den 18 Jahren, in denen eine ständige Besatzung auf der Station arbeitet, darf den Job ein Deutscher machen. Ein Vergnügen ist das nicht. Denn jeder Tag im Weltraum ist bis in die kleinste Einzelheit verplant, weil die teuer bezahlte Zeit im Orbit optimal genutzt werden muss, vor allem für Hunderte von Experimenten.

Die ISS ist wie ein Uni-Forschungslabor, das aber unzählige Aufträge von Institutionen und Firmen auf der ganzen Welt entgegennimmt und dafür Daten abliefern muss – für die Medizin, die Biologie, Chemie oder die Materialwissenschaft. Deshalb sind die Astronauten dort oben keine Superhelden, sondern Dienstleister für höhere Aufgaben. Als solche verstehen sie sich, als solche werden sie jahrelang trainiert. Dazu gehört aber auch, eine Toilette zu reparieren, die in der Schwerelosigkeit arbeiten muss.
Und dennoch tut ein Astronaut Dinge, an die er sich ein Leben lang erinnert: Ein Höhepunkt heißt „Weltraumspaziergang“, ein völlig falsches Wort für stundenlange Knochenarbeit im Außeneinsatz. 15 Minuten dauert es allein, um sich in den Raumanzug zu zwängen, und dann quetscht man sich – bewaffnet mit Hammer, Schraubendreher und Drahtschneider – durch eine enge Luke, um etwas zur reparieren oder eine Antenne anzuschrauben.
„Zum Bersten voll mit Sternen“
Ein lohnender Stress: „Es ist ein überwältigender Anblick“, schreibt der frühere kanadische ISS-Astronaut Chris Hadfield. „Und kein anderer Sinn warnt einen davor, dass man im nächsten Moment von umwerfender Schönheit attackiert wird.“ Das ist die Faszination der Erde, ihrer Kontinente und Meere aus 400 Kilometern Höhe, eingebettet in ein „samtschwarzes Gefäß zum Bersten voll mit Sternen“. Astronauten sind keine Lyriker und Poeten. Aber man kann verstehen, dass James Irvin nach seiner Rückkehr vom Mond mit Apollo 15 als Prediger weiterlebte, der sogar versuchte, die Reste der Arche Noah zu finden. Dinge suchen im Unbekannten und hinter den Horizont kommen. Das trieb Kolumbus, Magellan und Cook hinaus auf die Weltmeere, das inspiriert die Forscher auch in der Raumfahrt. Nicht ohne Grund hat Alexander Gerst seine derzeitige Mission „Horizons“ genannt.
Weil Raumfahrt viel Geld kostet, waren es bisher nur staatliche Organisationen und -firmen, die die Raketen nach oben geschickt haben. Durch den US-Milliardär und Wagniskapitalisten Elon Musk hat sich das geändert. Eine Revolution! Musk will Menschen zum Mond, dann zum Mars schicken. Man mag das belächeln. Aber am Anfang steht immer die Vision. Das Flugzeug wäre nie so schnell zum modernen Verkehrsmittel geworden, wenn nicht Männer wie etwa Claude Dornier mit ihren Ideen vorausgeeilt wären.
Die Ergebnisse ihres Denkens mit Fantasie erleichtern heute unser Leben, machen es angenehmer und sicherer. Was wären Wetterkarten, Navigationsgeräte oder die Übertragung von WM-Spielen und Olympia ohne Satelliten? Bis in den Alltag ist die Raumfahrt präsent – so selbstverständlich, dass es gar nicht mehr auffällt. Daher ruhig abends mal in den Sternenhimmel schauen. Vielleicht sehen Sie die ISS. Als schnellen leuchtenden Punkt vor dem Hintergrund des Alls – und als Bote aus der Zukunft.
Nachfolgend Fotos der Erde von Alexander Gerst
Supertaifun Trami:
Antarktisches Packeis:
Wüste und Meer:
Golf von Akaba:
Europa bei Nacht: