Fünf Jahre und sechs Monate Gefängnis, von denen wegen überlanger Verfahrensdauer sechs Monate bereits abgegolten sind: Nach insgesamt zehn Verhandlungstagen hat die Erste Große Jugendkammer des Landgerichts Waldshut-Tiengen einen 45 Jahre alten Mann des mehrfachen Missbrauchs seiner damals minderjährigen Tochter für schuldig befunden und ihn zu einer mehrjährigen Gefängnisstrafe verurteilt. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig; Revision ist zugelassen.
Taten ereigneten sich im Haus der Urgroßmutter
Mit ihrem Schuldspruch blieben die zwei Berufsrichter und die beiden Schöffen unter der Forderung der Staatsanwältin und der Anwältin der Nebenklägerin, aber weit entfernt von dem, was die Verteidigung für geboten sah. Sowohl Sascha Böttner vor einigen Tagen als auch Claudius Klueting am Montag plädierten auf Freispruch; Staatsanwältin Bisegger und Ulrike Heim als Vertreterin der Nebenklage wollten eine Freiheitsstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten für den Vater der inzwischen volljährigen jungen Frau.
Die Taten ereigneten sich zwischen 2018 und 2020 im Haus der Urgroßmutter des Opfers in einem Schwarzwalddorf im Norden des Kreises Waldshut. Dort hatte auch der Vater des Opfers mit seiner Lebenspartnerin gelebt. Mittlerweile lebt das Paar aus wirtschaftlichen Gründen in einem osteuropäischen Staat. Von dort war der Angeklagte eigens zur Hauptverhandlung nach Waldshut gereist.
Nicht alle Tatabläufe lassen sich rekonstruieren
In ihrer Anklageschrift hatte die Staatsanwaltschaft dem Mann 26 Straftaten vorgeworfen; für sechs davon hat das Gericht Strafen ausgesprochen, in 20 Fällen gab es einen Freispruch. Dies im Wesentlichen, weil sich nach so langer Zeit die Tatabläufe nicht mehr eindeutig rekonstruieren lassen. Die Anklage und letztlich auch das Gericht konnten sich ausschließlich auf die Aussagen des Opfers beziehen.
Weil das Opfer in mindestens drei dieser Fälle jünger als 14 Jahre alt war, wurde der Mann in drei Fällen wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern verurteilt; in den drei anderen Fällen wegen sexuellen Missbrauchs Schutzbefohlener. Dabei einmal in Tateinheit mit Vergewaltigung. Diese sechs Fälle ergeben Einzelstrafen zwischen einem halben Jahr für das Anfassen der Brust des Kindes und von vier Jahren für den sexuellen Missbrauch in Tateinheit mit der Vergewaltigung. Das Gericht hat diese Einzelstrafen zusammengefasst zu einer Gesamtstrafe von fünfeinhalb Jahren.
Weil die Taten so lange zurückliegen und die Fälle wegen Personalmangels in der Justiz erst jetzt verhandelt wurden, sind dem Angeklagten sechs Monate Haft erlassen worden. Diese lange Zeit sei sehr belastend gewesen. Einen Haftbefehl hat das Gericht nicht erlassen; der Angeklagte sei ja wegen des Verfahrens eigens aus Osteuropa angereist.
Im Zentrum steht die Frage nach der Glaubwürdigkeit
Dreh- und Angelpunkt des Verfahrens war die Glaubwürdigkeit des Opfers, dem eine Lernschwäche bescheinigt ist. Die junge Frau habe Schwierigkeiten im sprachlichen Ausdruck, aber keine psychiatrischen Einschränkungen, sagte Martin Hauser, der Vorsitzende Richter der Jugendkammer.
Das Gericht habe keine Zweifel an der Aussagetüchtigkeit des Opfers. Auch habe das Gericht keinen Grund erkennen können, warum die junge Frau ihren Vater habe belasten sollen, wenn da nichts vorgefallen wäre. „Wir sehen kein Lügenmotiv“, fasste der Richter dies zusammen.
Intensität der Taten steigerte sich
Widerlegt sei auch die Aussage der Angehörigen des Vaters, wonach es in dem dörflichen Anwesen keine Gelegenheit gegeben habe, ungestört die Tochter sexuell zu missbrauchen. Vater und Tochter, so der Richter, seien beispielsweise zum Kauf eines Handys in Donaueschingen gewesen, ohne dass die Lebensgefährtin oder Großmutter des Vaters dabeigewesen wäre.
Festgestellt hat das Gericht auch, dass die Intensität stetig zugenommen habe. Beim letzten Fall seien Kabelbinder und Knebel eingesetzt worden und die Frau sei an eine Tischlampe gebunden worden. Getreu dem Motto: „Was Papa sagt, gilt hat“, habe das Mädchen keinen Widerstand geleistet, nicht geschrien und die Lampe nicht umgerissen, auch wenn die Fixierung daran nur symbolisch gewesen sei. Bei der Strafzumessung berücksichtigt wurden etliche Vorstrafen des Angeklagten, von denen aber keine wegen eines Sexualdelikts ausgesprochen wurde.
So verlief der Prozess
Erster Prozesstag: Das wird dem Angeklagten vorgeworfen
Zweiter Prozesstag: Das Opfer sagt mehr als drei Stunden aus
Dritter und vierter Prozesstag: Der Gutachter hält das Opfer für glaubwürdig
Missbrauchsprozess: Gericht befragt Zeugin in Schleswig-Holstein per Videokonferenz.