Frau Otto, Ihr Forschungsgebiet ist die Weather Attribution. Sie schauen, ob eine Dürre oder ein Starkregen Folge des Klimawandels ist. Wie geht das?
Es gibt zwei Effekte, wie Klimaänderungen auf das Wetter wirken. Sind mehr Treibhausgase in der Atmosphäre, steigt die Temperatur. Dadurch gibt es erhöhte Wahrscheinlichkeiten für Hitzewellen und geringere für Kältewellen. Gleichzeitig enthält wärmere Luft mehr Wasserdampf, der muss als Regen wieder herunterfallen. Im globalen Mittel gibt es daher mehr Niederschläge. Dazu kommt ein zweiter Effekt. Indem wir die Zusammensetzung der Atmosphäre verändern, verändern wir, wo Wettersysteme entstehen und wie sie sich bewegen. Die zwei Effekte können sich überlagern oder sie können sich aufheben, so dass die Wahrscheinlichkeit für ein Extremereignis sogar geringer wird.
Wie berechnen Sie den Einfluss der Menschen und des von ihnen verursachten Klimawandels?
Wir simulieren zum einen, welches Wetter in dem heutigen Klima möglich ist. Daraus lässt sich ableiten, wie extrem das Ereignis ist, ob es sich um ein 100-Jahr-Ereignis oder ein 50-Jahr-Ereignis handelt. Zugleich berechnen wir die Wahrscheinlichkeit für ein solches Ereignis in einer Welt ohne Klimawandel, indem wir die menschgemachten Treibhausgase herausnehmen.
Können Sie ein Beispiel nennen?
Nehmen wir die Hitzewelle vom Sommer 2018. Schaut man die Temperaturen im Juli in Kopenhagen an, stellen wir fest: So etwas findet im aktuellen Klima alle sieben Jahre statt. In einer Welt ohne Klimawandel würde man eine ähnliche Hitzewelle nur alle 35 Jahre erwarten. Das heißt, der Klimawandel hat die Wahrscheinlichkeit für das Auftreten einer solchen Hitzewelle verfünffacht. Man kann es auch anders ausdrücken: Ohne den Klimawandel wären die Temperaturen dort im letzten Sommer zwei Grad geringer gewesen.
Im Februar ist eine Studie erschienen, die gezeigt hat, dass solche Trockensommer wie 2018 auch im Mittelalter keine Seltenheit waren. Ist das ein Widerspruch?
Nein. Extremwetterereignisse haben mehrere Ursachen. Neben den Treibhausgasen sind es natürliche Schwankungen im Wetter. Im Mittelalter gab es eine Warmzeit, in der es eine vermehrte Sonneneinstrahlung gab, dadurch waren Hitzewellen wahrscheinlicher.
Klimamodelle haben stets eine Unsicherheit. Wie solide sind die Aussagen, die Ihr Forschungszweig machen kann?
Das hängt stark davon ab, um welche Art von Ereignis es sich handelt und welche Region betroffen ist. Bei Hitzewellen in Europa oder Extremregenfällen in den meisten Gegenden der Welt, da sind unsere Aussagen gut abgesichert. Aber beispielsweise bei Dürren in Ostafrika sind die Unsicherheiten sehr groß, weil wir für diese Gegend viel weniger Wetterdaten haben, auch für die vergangenen Jahrzehnte nicht.
Ihr Ansatz ist auch unter Klimaforschern nicht unumstritten. Einige sagen, der statistische Trend sei das zuverlässigere Argument. Was entgegnen Sie?
Es gibt zwei Gründe, weshalb Event-Attribution wichtig ist: Wenn eine Hitzewelle auftritt, dann stellen viele Menschen nun mal die Frage nach dem Anteil des Klimawandels. Die sollten wir als Wissenschaftler auch beantworten, bevor es andere tun, die eine politische Agenda verfolgen. Wir können an diesen Beispielen zeigen, wie Klimawandel wirkt. Steigende Mitteltemperaturen sind nicht greifbar, die bringen niemanden um. Aber Extremereignisse, die sind die wahre Bedrohung.
Und der zweite Grund?
Wenn etwas passiert, dann öffnen sich Fenster für politische Entscheidungen. Nach der Hitzewelle 2015 in Andhra Pradesh, bei der mehr als 2500 Menschen gestorben sind, haben die Behörden festgelegt, dass jeder Ort einen Plan entwickeln muss, wie die Bevölkerung vor Hitzewellen geschützt werden sollte. Bei dem nächsten Ereignis gab es deutlich weniger Todesopfer. Wir haben in Indien aber eine weitere Entdeckung gemacht, die mich ziemlich besorgt.
Was haben Sie herausgefunden, was so bedrohlich ist?
Der Klimawandel hat einen Anteil an den regelmäßigen Hitzewellen dort. Aber die lokalen Sulfataerosole, die aus ungefilterten Industrieabgasen stammen, die haben ungefähr den gleichen Effekt auf diese Hitzewellen, nur in die andere Richtung. Die Luftverschmutzung maskiert den Effekt des Klimawandels.
Wenn man die Abgase besser reinigt, gibt es dort noch stärkere Hitzewellen?
Genau. Was nicht heißen soll, dass man in Indien die Luft nicht reinigen soll. Dort sterben wesentlich mehr Menschen an Atemwegserkrankungen als durch Hitzewellen.
Sie sagen „die Chancen stehen gut, dass unsere Arbeit auch dabei hilft, die Schuldigen zur Rechenschaft zu ziehen.“ Wenn es um Schuld geht, müssten doch wir alle auf die Anklagebank.
Es stimmt, wir sind alle Teil des Systems. Aber diejenigen, die jetzt bei „Fridays For Future“ demonstrieren, sind nicht in dem gleichen Maße verantwortlich wie wir, die wir viele Jahre Zeit hatten, Parteien zu wählen, die sich für Klimaschutz einsetzen. Genauso sind Energiekonzerne mehr Schuld als andere. Sie wissen, dass sie mit ihrem Geschäftsmodell der Umwelt schaden – und damit der Zukunft.
Interview: Ralf Nestler
Friederike Otto: „Wütendes Wetter: Auf der Suche nach den Schuldigen für Hitzewellen, Hochwasser und Stürme“, Ullstein-Verlag, Berlin, 2019. 240 Seiten, 18 Euro.
Zur Person
Friederike Otto (36) ist Physikerin, promovierte Philosophin und leitet als stellvertretende Direktorin das Environmental Change Institute in Oxford. Sie untersucht Wetterphänomene und hat vor fünf Jahren die neue wissenschaftliche Ausrichtung Attribution Science, zu Deutsch: „Zuordnungswissenschaft” mitbegründet.