Jang Wookyung musste erst den Bankrott fürchten, um auf die Idee zu kommen, die sich noch als die beste seines Lebens herausstellen könnte. Jahrelang hat der Gastrounternehmer vier sogenannte Izakayas geführt, Kneipen im japanischen Stil. Aber als letzten Sommer ein alter Streit über Japans Kriegsvergangenheit in Südkorea entflammte, begannen Koreaner in großen Zahlen mit dem Boykott japanischer Produkte. „Meine Erlöse halbierten sich schon in ein paar Wochen. So konnte es nicht weitergehen. Ich musste mir etwas überlegen.“

Der Laden ist eigentlich undenkbar

Nach einigem Brainstorming, berichtet Jang an einem frühen Freitagabend und deutet in einen großzügigen Raum voller grün bemalter Tische, sei ihm das hier eingefallen: Unter der Decke hängen hinter Kronleuchtern kommunistische Propagandabilder von heroischen Arbeitern. Die makellos geschminkten Kellnerinnen tragen Kleider im nordischen Bauernstil. Auf der Karte stehen Gerichte wie kalte „Pjöngjang-Nudeln“ oder knusprige nordkoreanische Pfannkuchen.

Die Studentin Park Jowoon (rechts) ist begeistert vom „Pyeongyang Pub“ und hat schon einiges über das Nachbarland gelernt.
Die Studentin Park Jowoon (rechts) ist begeistert vom „Pyeongyang Pub“ und hat schon einiges über das Nachbarland gelernt. | Bild: Felix Lill

Der „Pyeongyang Pub“, wie sich der Laden in Seouls hippem Viertel Hongdae seit seiner Einweihung im Oktober nennt, ist binnen kurzer Zeit zu einem der Gesprächsthemen in der Hauptstadt geworden. Ein Geschäft, das nicht nur nordkoreanische Kulinarik bietet, sondern auch die Folklore des Landes? In Südkorea eigentlich undenkbar. Dort zählt es als Verrat am Land, sich loyal mit Nordkorea zu verhalten. Laut dem Gesetz nationaler Sicherheit stehen darauf bis zu sieben Jahre Gefängnis.

Der Innenraum des „Pyoengyang Pub“ in Seoul.
Der Innenraum des „Pyoengyang Pub“ in Seoul. | Bild: Felix Lill

Der Wirt Jang Wookyung, ein Typ mit kurzen Haaren und Holzfällerstatur, könnte auf den ersten Blick also ein aussichtsreicher Kandidat für ein paar Jahre hinter Gittern sein. Doch dieser Eindruck verschwimmt, je länger man sich hier aufhält. Der 47-Jährige betont, ohne erst danach gefragt werden zu müssen: „Ich selbst war noch nie in Nordkorea und will da auch gar nicht hin. Wir machen hier nur Spaß. Das hier ist für mich nicht mehr als Business.“

Deutsches Bier im Nordkorea-Chic

Eine bessere Entlastung als die, dass es ihm mit diesem Mottorestaurant nur ums Geld gehe, erlaubt ein aufmerksamer Gang durch den „Pyeongyang Pub.“ Im Eingangsbereich prangt der Spruch: „Wer raucht, wird erschossen.“ An einer Wand wird in breiten Lettern über hohen Fenstern gefordert: „Arbeitet und liefert frisches Bier für das Volk!“ Um die Ecke zeigt eine große Zeichnung im kommunistischen Propagandastil einen Mann im Kittel und mit Reagenzglas. Bildunterschrift: „Forscht, um unsere Leber stärker zu machen!“

In einem Ausstellungsraum des „Pyeongyang Pub“ sind auch Original-Produkte aus Nordkorea zu sehen. Darunter auch das Bier ...
In einem Ausstellungsraum des „Pyeongyang Pub“ sind auch Original-Produkte aus Nordkorea zu sehen. Darunter auch das Bier „Taedonggang“. | Bild: Felix Lill

Wer das Satirische noch nicht erkannt hat, der könnte etwas merken, wenn das Bier an den Tisch kommt. Die nordkoreanische Sorte, die hier vermeintlich im Angebot ist, heißt Taedonggang, benannt nach dem großen Fluss, der die nordkoreanische Hauptstadt Pjöngjang durchkreuzt. „Aber in Südkorea ist es verboten, Produkte aus Nordkorea zu kommerzialisieren“, erklärt Jang. Also kauft er deutsches Bier ein und beklebt die Flaschen mit Labels, die jenen des nordkoreanischen Originals beinahe gleichen. Nur steht dort statt Taedonggang, koreanisch für „Großer Fluss des Ostens“, Taeddonggang. Der Chef erklärt und grinst: „Das übersetzt sich mit ‚großer Scheißfluss.‘“

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Eine der Besucherinnen ist die 21-jährige Studentin Park Joowon, die mit einer Freundin gekommen ist. „in der einen Stunde, die ich jetzt hier bin, hab‘ ich schon so viel gelernt über Nordkorea. Ich dachte, dass man dort überhaupt keinen Alkohol trinken darf.“

Es geht nicht ums Lächerlich machen

Einfach nur lächerlich machen wolle er den Norden aber auch nicht. Jang geht voraus zum mittleren der drei Stockwerke, über die sich das Geschäft ausbreitet. Hinter einer Glasschiebetür mit dem Hinweis, dass hier nichts verkauft wird, füllt sich ein kleiner Raum mit Produkten und Gegenständen aus dem Norden. In den Regalen stehen Postkarten aus Pjöngjang, Kekse, Bonbons mit Apfelgeschmack und das Originalbier Taedonggang. In einer Ecke ist eine Kleiderpuppe mit Trachten angezogen.

Der nordkoreanische Machart ist von weitem erkennbar: Die neue In-Kneipe im Seouls hippen Viertel Hongdae.
Der nordkoreanische Machart ist von weitem erkennbar: Die neue In-Kneipe im Seouls hippen Viertel Hongdae. | Bild: Felix Lill

Es sind Dinge, die im liberalen Südkorea fast kein Mensch zu sehen bekommt. Die Zensur im Süden reicht weit, was auch zu einer Dämonisierung des Nordens führt. Denn nach fast 70 Jahren Kriegszustand ist der Austausch zwischen Nord und Süd so karg, dass viele Menschen im Süden jenen im Norden nicht mehr zutrauen, überhaupt mal zu lachen. Es mag nicht die vorderste Absicht von Jang Wookyung gewesen sein, dieses Bild zu korrigieren. Aber die absurde Propagandaparodie im „Pyeongyang Pub“ scheint die Vorstellung, die einige südkoreanische Kunden von Nordkorea hatten, um ein menschliches Antlitz zu ergänzen.