Beate Schierle (Text) und Sabine Tesche (Fotos)

Meine Güte, ist dieses Tier keck! Neugierig kommt das braune Huhn auf die Gäste zumarschiert. Fragend schaut es uns ins Gesicht: Habt ihr was mitgebracht? „Das ist Bonbon, die frechste von allen“, stellt Ava Wolf, 32, die Anführerin ihrer Hühnerbande vor.

Ganz schön gewitzt: Die Hühner schauen sich Besucher gleich genauer an.
Ganz schön gewitzt: Die Hühner schauen sich Besucher gleich genauer an. | Bild: Tesche, Sabine

Bonbon und ihre 13 Hühnerkolleginnen leben auf dem Oberen Salenhof auf der Bodensee-Halbinsel Höri, einem traumhaften Landstrich zwischen Radolfzell und Stein am Rhein, der schon Dichter wie Hermann Hesse und Künstler wie Otto Dix anzog. Hier leben noch heute Menschen, die die Natur lieben, die gute Luft und einen schönen Ausblick der Stadt vorziehen.

Jedes Tier hat einen Namen

Vor zwei Jahren hat die Familie Wolf sich die Hühner zugelegt. Jedes Tier hat einen Namen. Da gibt es Clea und Cleo, Snow, Sofia, Berta, Kaffeebohne, Mia, Lena und Balies. Interessiert wuseln sie um die Gäste herum, ihr zart gurrendes „Boog, boog, boog“ lässt einen schon vom Zuhören entspannen.

Hier sind alle Hühner der Familie Wolf zu bewundern: Jedes Tier hat einen Namen und ist mit Bild und Geburtsdatum vermerkt.
Hier sind alle Hühner der Familie Wolf zu bewundern: Jedes Tier hat einen Namen und ist mit Bild und Geburtsdatum vermerkt. | Bild: Tesche, Sabine

Zwei große weiße und einige kleinere braune Hühner laufen durcheinander. „Wir haben sechs ausgestallte Zwiehühner, also Zweitnutzungshühner, von einem befreundeten Hof“, erklärt Ava Wolf. Sie haben sich prächtig erholt und legen Eier, die für ein großzügiges Spiegelei reichlich bemessen sind. „Zwei unserer Hühner sind bei uns geschlüpft, das sind die frechsten.“

Fünf bis zehn Eier am Tag

Die zwei kleinen mit einzelnen schwarzen Federn am Hinterteil sind Zwerghühner. Sie gehören den kleinen Töchtern Emily, 7, und Leah, 6. „Sie heißen Schneeflocke und Schneeball“, erzählen die beiden Mädchen stolz. Und natürlich legen die Hühnchen auch kleinere Eier. Etwa fünf bis zehn Eier kommen von der Hühnertruppe am Tag zusammen, erzählt Ava Wolf. Das reicht für den Eigenbedarf.

Die kleine Leah, 6, mit einem der Familienhühner.
Die kleine Leah, 6, mit einem der Familienhühner. | Bild: Tesche, Sabine

Die Hühner rennen auf der sanft abfallenden Wiese hin und her. Sie scharren energisch in einigen noch fahlen Grasbüscheln, genießen die Sonne. In der Ferne glänzen die Gipfel des Säntis und der Churfirsten. Die Tiere haben das große Los gezogen, vergleicht man es mit dem, was eine Henne in einer konventionellen Hühnerzucht erwartet.

In der Intensivhaltung leben die Tiere nicht lang

Denn bei den klassischen Legerassen, die viele Eier legen, aber wenig Fleisch ansetzen, werden die männlichen Tiere nach dem Schlüpfen noch immer getötet. 45 Millionen Küken sind es jedes Jahr allein in Deutschland, eine bedrückende Vorstellung. Die Legehennen selbst werden selbst selten älter als anderthalb Jahre. Dann sind sie ausgelaugt und enden als Suppenhuhn.

Ava Wolf freut sich für jedes Huhn, das in Projekten wie „Rettet das Huhn“ aus dieser konventionellen Haltung freigekauft wird, bei Tierfreunden leben darf und wieder aufgepäppelt wird, auch wenn man damit dieses System eigentlich noch unterstütze, gibt sie zu bedenken.

Der Hahn wurde von einem Raubvogel geholt

Insgesamt 14 Hühner leben auf dem Oberen Salenhof. „Bis vor Kurzem hatten wir auch einen Hahn, den hat aber ein Raubvogel geholt“, erzählt Ava Wolf. Auch das ist Natur. Derweil hüpfen ihre Mädchen auf dem Garten-Trampolin oder kuscheln mit den Kaninchen oder den Hühnern. Mit Hahn seien die Hühner ruhiger, sie neigten ohne Hahn manchmal etwas zum Zicken, meint die Mutter augenzwinkernd.

Tierlieb: Emily Wolf, 7, kuschelt mit einem der Hühner.
Tierlieb: Emily Wolf, 7, kuschelt mit einem der Hühner. | Bild: Tesche, Sabine

Als die Mädchen die Hühner für ein paar Fotos auf den Arm nehmen, meint sie nur trocken: „Wenn der Hahn noch leben würde, hätte er uns jetzt gemetzelt“, denn natürlich beschützt der Hahn seine Hühner.

Der Hahn passt auf seine Hennen auf

Dass sie hochgenommen werden, hat er gar nicht gern. So aber lassen sich die Hühner von den Mädchen aufnehmen und ein bisschen streicheln. „Leg den Arm über den Flügel und den anderen unter den Bauch“, erklärt Ava Wolf ihrer Tochter.

Interessanter als die Kuschelrunde finden die Hühner aber den kleinen Eimer mit getrockneten Mehlwürmern, den Ava Wolf mitgebracht hat. „Kommt, ihr Süßen!“, ruft sie.

Mehlwürmer sind das Größte

Die Hühner wissen genau, was im Eimer ist, und rücken einem dicht auf die Pelle. Diese Leckerei scheint für sie etwas Ähnliches zu sein wie Popcorn für manche Menschen. Ava Wolf und ihre Töchter streuen im Schwung Mehlwürmer auf die Wiese, die Hühner rennen hin und her, picken hier, scharren da, freuen sich. Landleben, wie man es sich erträumt.

Ein Paradies für Kinder und Tiere: Emily Wolf, 7, kuschelt mit einem Kaninchen.
Ein Paradies für Kinder und Tiere: Emily Wolf, 7, kuschelt mit einem Kaninchen. | Bild: Tesche, Sabine

Eine Hühnerschar hat ein eigenes Sozialgefüge. Die großen Zwiehühner seien eher etwas behäbig, hätten die Truppe aber schon etwas aufgemischt, sagt Ava Wolf. Die kleinste sei „das typische Mobbingopfer“.

Beim Baden schauen die Hühner zu

Huhn und Mensch haben offenbar gewisse Ähnlichkeiten. Insgesamt seien die Tiere aber „neugierig und tiefenentspannt“, was einem auch als Mensch guttue: „Im Sommer, wenn wir im Teich da unten baden, kommen die Hühner und schauen uns zu“, erzählt die Hühnerhalterin.

Mmm, lecker: Mehlwürmer sind für die Hühner das Größte. Mutter Ava Wolf füttert die Tiere gemeinsam mit der kleinen Leah.
Mmm, lecker: Mehlwürmer sind für die Hühner das Größte. Mutter Ava Wolf füttert die Tiere gemeinsam mit der kleinen Leah. | Bild: Tesche, Sabine

Hühner halten, das ist auch bei vielen Hipstern inzwischen angesagt. Vielerorts kann man sie mieten oder Patenschaften übernehmen. Ava Wolf warnt aber: „Hühner sind nicht nur eine Landidylle, sondern man muss sich kümmern.“

Zweimal täglich müssen die Tiere gefüttert werden, man muss sie beim Veterinäramt anmelden, sie müssen entwurmt und geimpft werden. Ava Wolf ist eigens Mitglied im Kleintierzuchtverein geworden, damit sie mit allen aktuellen Vorschriften – Stichwort Geflügelpest – auf dem Laufenden ist. Gerade erst vor ein paar Tagen wurde die Stallpflicht wieder aufgehoben.

Trotz allem Nutztiere

Derzeit liefern die Hühner nur Eier für den Eigenbedarf. Ava Wolf überlegt aber, künftig Miethühner anzubieten. Und, trotz Alpensicht und aller Tiefenentspannung: Wenn die Tiere keine Eier mehr legen, werden sie irgendwann gegessen.

Kein Ei gleicht dem anderen: Die zwei ganz kleinen Eier oben stammen von den Zwerghühnern Schneeball und Schneeflocke.
Kein Ei gleicht dem anderen: Die zwei ganz kleinen Eier oben stammen von den Zwerghühnern Schneeball und Schneeflocke. | Bild: Schierle, Beate

„Es sind trotz allem Nutztiere. Das Schlachten macht dann mein Vater direkt auf dem Hof; er hat auch die Schafhaltung“, erzählt Ava Wolf. Wobei sie starke Zweifel hat, ob sie von der aktuellen Bande jemals ein Tier wird essen können.

Noch ganz junge Hühner

Noch ist davon aber nicht die Rede. Bonbon und Kaffeebohne, Schneeflocke und Schneeball, Cleo und die anderen sind nicht einmal zwei Jahre alt, junge Hühner im wörtlichsten Sinne also. Die Tiere können bis zu zehn Jahre alt werden, in Ausnahmefällen noch älter. Das sollte der Hühnertruppe von der Höri doch gelingen.