Die Berliner Schnauze will schnell sein und direkt. Komplizierte Wortungetüme haben da keinen Platz. So sind die öffentlichen Verkehrsmittel längst zu Öffis geworden, selbst die kriminalitätsbelastete Gegend um das Kotbusser Tor heißt Kotti und auch die neuerdings lauthals demonstrierenden Palästinenser sind die Pallis. Eine fast liebevolle Variante des Abkürzungs-Is hat sich die Institution des Spätverkaufs erworben: der Späti.

Fast immer offen: einer von rund 1000 Spätis in Berlin.
Fast immer offen: einer von rund 1000 Spätis in Berlin. | Bild: Wolfgang Bager

Ursprünglich war die Spätverkaufsstelle im hölzernen sozialistischen Behördendeutsch der DDR beheimatet. Diese sollte den Werktätigen ermöglichen, sich auch außerhalb der streng limitierten Ladenschlusszeiten mit den Waren des täglichen Bedarfs einzudecken. Schon lange vor dem Mauerfall entdeckte man auch im Westen Berlins die Vorteile des zeitlosen Einkaufens, hier unter dem Namen Spätkauf.

Mit der deutschen Einheit wurde schließlich aus dem Spätverkauf des Ostens und dem Spätkauf des Westens in ganz Berlin der Späti zur Institution, die es längst in den Duden und in die internationalen Reiseführer geschafft hat.

Völlig zu Recht, denn ohne Späti wäre Berlin arm dran. So reicht der tägliche Bedarf in einer Großstadt weit über das Sixpack Bier, die Flasche Sekt als Party-Mitbringsel oder die Packung Zigaretten hinaus. Das Lebensmittelangebot deckt sich durchaus mit dem eines traditionellen Tante-Emma-Ladens und in vielen Spätis finden sich Kühlregale nicht nur für die Getränke, sondern auch Tiefkühltruhen für Eiscreme oder gefrorene Pizza. Zeitungen und Zeitschriften, Fahrscheine für den Nahverkehr sowie die Annahme von Toto- und Lottoscheinen gehören ebenfalls zum Standardangebot.

Der Späti hat es vor ein paar Jahren auch in den Duden geschafft.
Der Späti hat es vor ein paar Jahren auch in den Duden geschafft. | Bild: Jens Kalaene/dpa

Ein völlig neues Geschäftsfeld erschließt sich mit der kürzlich erfolgten Legalisierung von Cannabis. So gibt es in Berlin bereits die ersten Spätis, die den quietschbunt verpackten Plastikjoint offiziell und ganz legal zum Preis von 30 Euro anbieten. Gleich dazu gibt es denn auch die entsprechenden Dampfgeräte. Skeptiker der neuen Regelung befürchten allerdings, dass sich das Späti-Sortiment auch um weniger harmlose und damit illegale Drogen erweitern könnte.

Ein Bedarf ganz besonderer und durchaus positiver Art ist aber die persönliche Ansprache, der Kontakt mit dem Inhaber oder mit Nachbarn. Ehen sollen hier schon gestiftet worden oder auch zerbrochen sein. Längst ist der Späti eine soziokulturelle Einrichtung geworden. Kieztreffpunkt und Seelentröster, wie er schon genannt wurde, wenn nicht gar ein schützenswertes Kulturgut.

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Tische, Stühle oder Bierbänke kamen mancherorts dazu, und so wurde nicht selten der Späti zum preiswerten Kneipenersatz. Nicht unbedingt zur Freude der Anwohner, da Spätis – wie der Name schon sagt – die ganze Nacht geöffnet haben. Feucht-fröhliche Gelage bis in die Morgenstunden auf den Gehwegen vor den Spätis werden zum Problem, vor allem wenn sich der Späti mit Tischen und Bänken zur regelrechten Freiluft-Gastronomie entwickelt, mit nicht immer nur angenehmen Gästen.

Auch die angestammte Gastronomie wehrt sich gegen die zunehmende Späti-Konkurrenz. Müssen reguläre Kneipenbetreiber unzählige Vorschriften erfüllen und kostenpflichtige Lizenzen erwerben, brauchen viele Späti-Gastros nur eine einfache Gewerbe-Erlaubnis.

Jeder Kiez hat andere Regeln

An Versuchen, das muntere Späti-Treiben gesetzlich einzudämmen, hat es in Berlin nicht gefehlt. Doch, wie so oft in der Hauptstadt, steht dem die Autonomie der zwölf Bezirke etwas im Weg und in jedem Kiez gelten andere Vorschriften, vorausgesetzt, sie werden überhaupt kontrolliert.

Einheitlich in ganz Berlin gilt jedoch das Öffnungsverbot für Spätis an Sonntagen. Doch auch hier keine Regel ohne Ausnahme. Da Gaststätten, Tankstellen und Tourismusbetriebe vom Sonntagsöffnungsverbot befreit sind, erklärten sich kurzerhand nicht wenige Spätis zu Gastronomiebetrieben oder nahmen Postkarten und Berlin-Souvenirs in ihr Sortiment auf. Teils mit, teils ohne ausdrückliche Genehmigung.

Dennoch hat das Sonntagsverkaufsverbot für Spätis die Branche hart getroffen, ist doch der Sonntag der umsatzstärkste Tag in der Woche. So hat sich seit dem Jahr 2022 die Zahl der Spätis von über 2000 auf weniger als die Hälfte verringert, beklagt Alper Baba, der Vorsitzende des Vereins Berliner Späti e. V. Inzwischen werden Spätis sogar im Internet per Kleinanzeige zum Verkauf angeboten. Als Hauptursache für das Späti-Sterben sieht Alper Baba die Zunahme der Lieferdienste und vor allem das allzu komplizierte gesetzliche Regelwerk.

Betrieben werden die meisten Spätis in Berlin von Menschen mit Migrationshintergrund, oft als Familienbetrieb, immer auch eine Art von kleiner Ich-AG. Bleibt zu hoffen, dass sich die Berliner Spätis nicht bald auf der Liste der vom Aussterben bedrohten Kulturgüter wiederfinden.