Hoch oben im 13. Stock des Berlaymont, des Hauptquartiers der EU-Kommission, liegt das Büro von Präsidentin Ursula von der Leyen. Manche lästern auch gerne über ihren Elfenbeinturm. Denn in der Pastellblase aus roséfarbenem Sofa und passenden Sesseln scheint die Welt selbst dann noch in Ordnung, wenn im Rest des Hauses Aufruhr herrscht wie am Montagmorgen.

Da sorgte der französische EU-Kommissar für Binnenmarkt und Dienstleistungen Thierry Breton für einen Paukenschlag, als er überraschend zurücktrat und seinen Brief als Revanche an der Behördenchefin nutzte. Von der Leyen habe Frankreichs Präsident Emmanuel Macron „vor einigen Tagen“ gebeten, seinen Namen als Kommissionskandidat „aus persönlichen Gründen“ zurückzuziehen, um ein „angeblich einflussreicheres Ressort“ zu erhalten – „ein weiteres Zeugnis fragwürdigen Regierens“, ätzte der Mann mit dem Riesenego trotzig.

Chaos und Erleichterung

Auch wenn sein Schritt in Brüssel vordergründig für Chaos sorgte: Die Vermutung, dass von der Leyen Erleichterung verspürte, wäre kaum anmaßend. Bretons Zuständigkeitsfantasien gepaart mit einem Überaktionismus und einer PR-Besessenheit hätten den Erfolg ihrer nächsten Amtszeit gefährdet. Tatsächlich war sein politisches Ende offenbar längst beschlossen, wie die Nominierung von Außenminister Stéphane Séjourné nur wenige Stunden nach Bretons Rückzug nahelegt. Doch welches Portfolio hat von der Leyen Paris im Gegenzug versprochen?

Thierry Breton, EU-Kommissar für Binnenmarkt und Dienstleistungen, hat mit seinem Rücktritt für eine Überraschung gesorgt.
Thierry Breton, EU-Kommissar für Binnenmarkt und Dienstleistungen, hat mit seinem Rücktritt für eine Überraschung gesorgt. | Bild: Patrick Pleul/dpa

Heute will die Deutsche ihr neues Kabinett präsentieren – und die Aufgaben der Spitzenbeamten. Und im Club der Sparsamen, angeführt von Deutschland, herrscht Nervosität. Sie befürchten, dass wichtige Wirtschafts-, Finanz- und Haushaltsressorts in die Hände von Vizepräsidenten aus Italien oder Frankreich fallen könnten und damit an hoch verschuldete Länder, die für laxere Regeln und neue Schulden eintreten. Ein wenig wäre es so, als würde man den Bock zum Gärtner machen.

Auch Spekulationen, nach denen Polen den Haushalt zugewiesen bekommen könnte, lösten Beunruhigung aus. Aber ob von der Leyen diesen mutigen Schritt zu gehen wagt, darf man bezweifeln. Der osteuropäische Staat war 2023 abermals der größte Nettoempfänger in der Gemeinschaft. Dass sich traditionell Nettozahler um diesen Bereich kümmern, gehört zu den sinnvollen Gepflogenheiten in der EU.

Gefeilscht wird bis zum Schluss

Bis zuletzt feilschte die Kommissionsspitze mit den Hauptstädten. In Brüssel vergleichen sie die Besetzung der 26 Stellen gerne mit der Quadratur des Kreises. Jeder EU-Mitgliedstaat schickt einen Kandidaten beziehungsweise eine Kandidatin, wobei die Sache mit der Geschlechterparität bis auf von der Leyen niemanden zu interessieren schien. Gleichwohl will jedes Land eines der begehrten Top-Portfolios. Aktuell sind das jene Ressorts, in deren Beschreibungen das geflügelte Wort Wettbewerbsfähigkeit auftaucht. Die Präsidentin hat diese neben der Verteidigung zur obersten Priorität erkoren.

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Und es drängt, wie der 400-seitige Weckruf von Mario Draghi, Ex-Chef der Europäischen Zentralbank, verdeutlichte. Die USA werfen mit Milliarden um sich – mit dem Ziel, zukunftsträchtige Industrien anzulocken oder im Land zu halten. China kontert mit Subventionen und exportiert billig nach Europa. Derweil fehlt der Union eine Strategie, um nicht den Anschluss zu verlieren. Weniger Bürokratie und Regulierung, mehr Investitionen und Wachstum, schnelle Reformen – das hat man alles schon zigfach gehört, passiert ist trotzdem erschreckend wenig.

Es wird von der Qualität des neuen Kommissionsteams abhängen, ob die Gemeinschaft den Mut und den Willen findet, ihre Wirtschaftspolitik grundlegend neu auszurichten. Zur Wahrheit gehört, dass der Erfolg des Projekts EU nicht nur aus der Wahrung von Frieden und Sicherheit rührt, sondern zu einem bedeutenden Teil aus dem Versprechen, den Wohlstand der Bürger zu sichern.