Für den ersten gemeinsamen Schnappschuss lächelte Europas neue Regierungsmannschaft wie eine glückliche politische Familie in die Kamera. Das Foto täuschte darüber hinweg, dass hinter den Kulissen angeblich große Nervosität bei den 26 Frauen und Männern herrschte, die sich da zum Kennenlernbesuch an ihrer künftigen Arbeitsstätte in Brüssel zusammenfanden.

Denn auch wenn EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen nach wochenlangem Gezerre endlich ihr Wunschteam für die kommenden fünf Jahre vorgestellt hat – ganz sicher haben die Kommissarinnen und Kommissare ihren Job noch nicht. In den nächsten Wochen stehen die Anhörungen im EU-Parlament an. Den Volksvertretern kommt die wichtige Aufgabe zu, die Kandidaten abzusegnen. Während der Kreuzverhöre werden die künftigen Kommissare „gegrillt“, wie es in Brüssel heißt.

Vor den Kommissaren liegt ein hartes Stück Arbeit

Dementsprechend pauken die Politiker nun wie zu Schulzeiten vor der Abschlussprüfung. Das dürfte ein hartes Stück Arbeit werden, weil von der Leyen den meisten von ihnen Themen zugewiesen hat, bei denen sich die Kandidaten trotz ihrer teils großen politischen Erfahrung bislang nicht gerade als Experten hervorgetan haben. Es war ein kluger Schachzug der Christdemokratin. Die Kommissare sollen mit einem frischen Blick und ohne allzu viele Altlasten, die sie aus ihren Jobs auf nationaler Ebene mitbringen, an ihre neue Aufgabe gehen.

Zu den Problemen der Gemeinschaft gehört, dass Kommissare zu häufig nicht die Interessen Europas, sondern die ihres Heimatlandes im Blick haben. Der österreichische Finanzminister Magnus Brunner wird für Migration zuständig sein, ein Ire für Justiz, der Ungar Oliver Varhelyi soll sich unter anderem um das Tierwohl in Europa kümmern – eine demütigende Degradierung am Rande, mit der von der Leyen die ständige Quertreiberei des ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán bestrafte.

Zahlreiche Europaflaggen hängen vor dem Berlaymont-Gebäude in Brüssel. Hier hat die EU-Kommission ihren Sitz, einige Dienststellen ...
Zahlreiche Europaflaggen hängen vor dem Berlaymont-Gebäude in Brüssel. Hier hat die EU-Kommission ihren Sitz, einige Dienststellen befinden sich auch in Luxemburg. | Bild: Marcel Kusch/dpa

Doch die kühne Machtpolitikerin sandte mit der Postenvergabe nicht nur eine klare Botschaft an Budapest aus, sondern an alle Mitgliedstaaten: Die EU, das ist Ursula von der Leyen. Und wer sich widersetzt, wird abgekanzelt. Zwar konnte sich die Deutsche ihr Team nicht aussuchen, es lag an den EU-Ländern, jeweils einen Kandidaten nach Brüssel zu entsenden. Aber von der Leyen nutzte die ihr zur Verfügung stehenden Hebel: So schnitt die Kommissionspräsidentin die Portfolios zu und entschied darüber, wer welches Ressort bekommt.

Nachdem das Gros der Hauptstädte ihre Bitte ignoriert hatte, neben Männern auch Frauen vorzuschlagen, war ihre Autorität angeschlagen. Die Antwort der Brüsseler Behördenchefin auf den Ungehorsam: Vier der sechs Vizeposten besetzte sie weiblich, zudem erhielt beispielsweise die weitgehend unbekannte Finnin Henna Virkunnen ein bedeutsames Portfolio.

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Die CDU-Politikerin scheint zudem ihre Lehren aus den ersten fünf Jahren im Amt gezogen zu haben. Da waren einige aufmüpfige Kommissare in ihrem Team, die die Chefin gerne herausforderten. Ob der Franzose Thierry Breton, den sie gerade erst gemeinsam mit Staatspräsident Emmanuel Macron eiskalt abservierte, oder der niederländische Klimakommissar Frans Timmermans – die Großkaliber sorgten regelmäßig mit eigenen Ideen für verhärtete Fronten, was zu Stillstand und Verzögerungen bei wichtigen Gesetzgebungen führte.

Er hat von der Leyen das Leben schwer gemacht: der Franzose Thierry Breton, ehemaliger Kommissar für Binnenmarkt und Dienstleistungen ...
Er hat von der Leyen das Leben schwer gemacht: der Franzose Thierry Breton, ehemaliger Kommissar für Binnenmarkt und Dienstleistungen der Europäischen Union. | Bild: Kenzo Tribouillard/AFP

Im künftigen Gremium finden sich solche politischen Schwergewichte nicht mehr. Das sind gute Nachrichten. Die Probleme, die Europa zu bewältigen hat, sind zu groß, als dass die Union von den Egos mancher Politiker ausgebremst werden darf. Indem von der Leyen außerdem ein Gebilde mit etlichen Vernetzungen schuf, sich künftig also die Verantwortlichkeiten vieler Kommissare überlappen, stellte sie sicher, dass am Ende eine Person die Kontrolle hat: Ursula von der Leyen.