Die Einheimischen nennen ihn nur den Zoller. Richtiger heißt es Burg Hohenzollern – jene fabelhafte Festung im Zollernalbkreis, hoch auf einem Sporn der Schwäbischen Alb gelegen und weithin sichtbar. Über die steile Anlage und das von dort stammende Geschlecht sind schon viele Postkarten und Bücher herausgebracht worden. Keines hatte die gesamte Baugeschichte im Blick, die sich durch bald zehn Jahrhunderte zieht.
Nun hat sich ein schreibender Architekt der Sache angenommen und sich wie ein Archäologe durch die Gesteinsmassen gewühlt, die auf dem Vulkankegel getürmt und wieder geschleift wurden. Die Arbeit hat sich gelohnt: Es ist das schönste und tiefgründigste Werk, das über die Burg Hohenzollern geschrieben wurde – passend zum runden Jahrestag der Einweihung im Jahr 1867.
Der verwinkelte Komplex hat es in sich. Von der mittelalterlichen Burg der Grafen von Zollern ist fast nichts mehr übrig. Was man heute sieht, ist ein fantasievolles Werk der Neuzeit. Es fängt an mit einem kunstsinnigen König und einer traurigen Ruine: Der preußische König Friedrich Wilhelm IV. (auch ein Hohenzoller) wollte der verfallenen Stammburg zu neuem Glanz verhelfen. Er und seine süddeutschen Verwandten scheuten dann weder Kosten noch Mühen, um eine neue Burg bauen zu lassen.
Damit lagen der König und seine fürstlichen Vettern in Sigmaringen und Hechingen voll im Trend. Die Romantik schwelgte in der Vergangenheit und träumte von einer neuen Gotik. Sie sah im Mittelalter die gute alte Zeit, die man durch Türmchen und Zinnen zurückholen kann. Auch deshalb wollte der Monarch den Hohenzoller restaurieren.
Das war letztlich der einzige Zweck der teuren Maßnahme. Denn militärisch waren Burgen um 1850 so sinnvoll wie eine Dampflokomotive im Jahr 2017. Auch wohntechnisch waren Burgen umstritten. Die Adligen wohnten zu dieser Zeit längst in der Ebene, sie hatten ihre ehemaligen steilen Häuser verlassen. Schlösser waren nicht nur komfortabler, sie lagen auch günstiger und wurden von kunstvollen Gärten eingerahmt. Als die Zollernburg vor 150 Jahren eingeweiht wurde, diente sie vor allem als Schaustück. Bewohnt wurde sie nie – abgesehen von Kronprinz Wilhelm, der nach der Kapitulation 1945 einige Wochen lang in den zugigen Gemächern wohnte, bevor auch er ins Tal zog und in Hechingen starb (1951).
So ist der Zoller bis heute ein einsamer Berg. Tagsüber belagert von Preußenfreunden oder Touristen – abends eine Geisterburg ohne eine Menschenseele. Die Familie Hohenzollern ist bis heute Eigentümer, zieht aber das bürgerliche Wohnen vor. Dabei hat der Architekt August Stüler – ein Meister seines Faches – nichts unversucht gelassen. Der Grafensaal ist aufwendig ausgestattet. Drei Kapellen findet der erstaunte Besucher vor. Sogar ein kleiner Friedhof existiert innerhalb der Mauern. Noch spannender ist ein anderes Detail: Stüler schaute von den damals fortschrittlichen Briten das Water Closet ab (WC); in der Burg wurde tatsächlich einer der ersten Abtritte mit Wasserspülung installiert. Damals eine Seltenheit.
1978 erschütterte ein Erdbeben die Region an der Albkante. Auch die Burg hat es erwischt, Türmchen stürzten ein und Ritterfiguren um. Die Schäden wurden längst repariert. Heute präsentiert sich der Zoller in gutem Zustand, vorzüglicher Blick garantiert. Wer sich für die deutsch-preußische Geschichte und manch adlige Anekdote interessiert, ist hier genau richtig. Außer Mauern, Bastionen und alten Kanonen empfiehlt sich die Schatzkammer als interessantesten Raum: In ihr sieht man Dinge wie die preußische Königskrone oder eine Serie von Schnupftabakdosen von Friedrich dem Großen. Eine davon trägt eine dicke Delle – sie soll dem Alten Fritz das Leben gerettet haben, da die Kugel just an der Stelle einschlug, wo der König die Tabaksdose stecken hatte. Das haben Schlossführer den Schulkassen schon vor 40 Jahren erzählt, und ihre Nachfolger erzählen es heute noch.
Christian Kayser: Burg Hohenzollern. Ein Jahrtausend Baugeschichte. Südverlag Konstanz. 24,90 Euro.
Die Hohenzollern
Die Familie nennt sich nach der Burg im heutigen Baden-Württemberg. Sie spaltete sich früh in verschiedene Zweige: Einen norddeutschen Zweig, der von Brandenburg aus das spätere Königreich Preußen formte. Dessen Krone liegt bis heute in der Schatzkammer der Burg. 1918 dankte deren Vertreter Wilhelm II. als deutscher Kaiser ab. In Süddeutschland behaupteten sich zwei kleinere, fürstliche Linien: Hohenzollern-Sigmaringen und Hohenzollern-Hechingen. Beide sind katholisch, während die preußische Linie früh ins protestantische Lager übertrat. (uli)