In den Großstädten des Landes gehören die Flotten der Elektrotretroller, auch E-Scooter genannt, seit ihrer Straßenverkehrszuulassung im Juni 2019 zum Stadtbild. 2300 dieser bis zu 20km/h schnellen Flitzer von drei Anbietern stehen mittlerweile allein in der Stuttgarter Innenstadt.

Die erste Jahresbilanz von Ordnungsamt und Polizei in der Landeshauptstadt zu dem neuen Verkehrsmittel spricht eine deutliche Sprache. Neben Beschwerden über kreuz und quer liegende und stehende E-Scooter auf Gehwegen, die zur Unfallgefahr für mobilitätseingeschränkte Bürger und für Sehbehinderte werden, häufen sich die ernsten Vorfälle.
Erschreckende Bilanz
35 Verkehrsunfälle mit E-Scootern, insgesamt 23 Verletzte und sechs Schwerverletzte, ein Dutzend Stürze, Kollisionen mit Fußgängern und Autos, dazu reichlich Alkohol bei den Fahrern zählte die Polizei allein in Stuttgart. Landesweit waren es 122 Unfälle und über 1260 Verstöße gegen die Zulassungsverordnung.
Allein das Stuttgarter Ordnungsamt verhängte binnen Jahresfrist in 480 Fällen Bußgelder oder zeigte Ordnungswidrigkeiten an. Unfallursache auf den E-Scootern sind häufig Fahrfehler, aber auch unerlaubte Nutzung: etwa Fahrten zu zweit, mit dem Handy in der Hand oder unter Alkohol- und Drogeneinfluss.

„Seit August 2019 hatten wir in Stuttgart knapp 500 folgenlose Trunkenheitsfahrten. Ein Drittel davon waren E-Scooter-Fahrer“, bilanziert Stuttgarts Polizeipräsident Franz Lutz am Montag in Stuttgart. „Viele wissen nicht, dass bei Fahrten unter Alkohol auf dem E-Scooter der Führerschein weg sein kann“, sagt Lutz. Doch wie auf dem Fahrrad und im Auto auch gilt: Ab 0,5 Promille, unter Umständen schon darunter kann der Führerschein weg sein. Und für Fahrer unter 21 Jahren gilt generell die 0,0-Promille-Grenze.

Das Innenministerium hat aus diesem Anlass gemeinsam mit Polizei, Stadt Stuttgart und den Verleihanbietern Lime, Voi und Tier in Stuttgart das Präventionsprojekt #rideitright, auf Deutsch etwa „fahre richtig“ gestartet. Ziel sei, so Innenminister Thomas Strobl (CDU) zum Auftakt am Montag in Stuttgart, klar zu machen, „dass die E-Scooter keine Spielzeuge, sondern Kraftfahrzeuge sind.“ Plakate, bunte Aufkleber und Anhänger sollen aufklären. Auf Englisch heißt es da etwa: „Only alone. Park smart. No alcohol and drugs. No phone.“
Hoffnung auf offene Ohren
Ob das bei der Zielgruppe, zumal wenn sie alkoholisiert ist, greift? „Ich glaube schon“, sagt Dorothea Koller, Leiterin des Amts für Öffentliche Ordnung in Stuttgart. Die Aktion kann die Sensibilität dafür erhöhen.“ Trotz Beschwerden wolle sie die neuen Verkehrsmittel nicht als Ärgernis für die Stadt bezeichnen, sagt Koller. „Man sollte Anbietern und Nutzern eine Chance geben. Viele E-Scooter werden richtig abgestellt, die anderen fallen aber mehr auf.“
Koller wünscht sich aber schärfere Bußgelder. 15 Euro für das Fahren auf Gehwegen oder 35 Euro in den Grünanlagen seien zu wenig. „Das ist wie bei den Fahrrädern. Man muss die ja auch erst einmal erwischen.“
Während Verleiher und Politik die Scooter als urbane Mobilitätsergänzung auf der letzten Meile“ bewerben, hat Prof. Dr. Christian Knop, Ärztlicher Direktor der Klinik für Unfallchirurgie und Orthopädie am Klinikum Stuttgart, eine eigene Sicht. „Aus Deutschland gibt es noch keine belastbaren statistischen Unfallzahlen“, sagt Knop, „aber für die Sommermonate ist ein dramatischer Zuwachs zu befürchten.“
Es bestehe bei den Scooter-Unfällen ein deutliches Risiko für schwere Kopfverletzungen. „Meine subjektive Einschätzung aus der Unfallchirurgischen Klinik ist: Bei mindestens der Hälfte der verunfallten E-Scooter-Fahrer ist Alkohol im Spiel, und in der Regel wird kein Helm getragen“, sagt Knop.
Für ihn sind E-Scooter „ein bedenkliches Fortbewegungsmittel“ weil sie keine Fahrt mit dem Auto ersetzen, sondern das Gehen. Knop: „In einer Gesellschaft mit drastisch zunehmender Übergewichtigkeit wäre es vorzuziehen, dass man 500 Meter zu Fuß geht und nicht den E-Scooter benutzt.“
E-Scooter
Zugelassene Elektrotretroller laut der im Juni 2019 in Kraft getretenen Elektrokleinstfahrzeugeverordnung (eKFV)
- fahren zwischen 6 und höchstens 20 km/h
- müssen Radwege und Radverkehrsflächen, verkehrsberuhigte Zonen, Straßen oder Seitenstreifen nutzen. Auf Gehwegen und in Fußgängerzonen dürfen sie nicht fahren.
- dürfen ab einem Alter von 14 Jahren ohne Führerschein gefahren werden, müssen versichert und verkehrssicher sein. (uba)