Der weißlich-mehlige Überzug auf den Blättern ist das Alarmzeichen: Mehltau macht sich breit – ob auf den Rosen der Hobbygärtnerin, den Apfelbäumen des Obstbauern oder den Reben des Winzers. Wer dann nichts unternimmt, dessen Pflanzen kümmern bald, die Trauben platzen auf, Essigbakterien haben freie Bahn. „Am Ende steht der Totalverlust der Ernte“, sagt Rene Fuchs, Pflanzenschutz-Spezialist beim Staatlichen Weinbauinstitut in Freiburg.

Wer nicht zur chemischen Keule greifen will, besprüht die Pflanzen mit Backpulver. „Das funktioniert gut, wir nutzen das seit mehr als 20 Jahren“, sagt Paulin Köpfer, Biowinzer und Vorsitzender von Ecovin Baden, dem Verband der ökologisch wirtschaftenden Weinbaubetriebe.

In Wasser aufgelöst könne man das Hausmittel problemlos versprühen. Das halte den echten Mehltau – es gibt auch den falschen – in Schach. „Ich habe es in 25-Kilo-Säcken gekauft“, erzählt Köpfer. „Es ist einfach zu handhaben und wirkt gut.“ Die Mehltau-Varianten sind die beiden wichtigsten Pilz-Schädlinge im Weinbau.

Ersatz ist „im wesentlichen Backpulver“

Hobbygärtnerinnen können für ihre Rosen und Obstbauern für die Äpfel weiter entspannt zum Backpulver greifen, Biowinzer haben seit kurzem ein Problem. Sie dürfen Natriumhydrogenkarbonat, das ist der chemische Name für Backpulver, nicht mehr verwenden.

Genauer gesagt, sie dürfen es verwenden, aber nur, wenn sie es in Form von Natrisan nutzen. Das ist ein Pflanzenschutzmittel. Es besteht aus – Backpulver. „Natrisan ist im Wesentlichen Backpulver“, bestätigt Frank Volk, der Geschäftsführer der Firma Biofa in Münsingen, die Natrisan auf den Markt gebracht hat.

Wie ist zu erklären, was Biowinzer Köpfer „Irrsinn“ nennt? Um das wenigstens ein bisschen nachvollziehen zu können, muss man sich mit einigen Details des Pflanzenschutzrechts beschäftigen. Zwei Kategorien darin sind Grundstoffe und Pflanzenschutzmittel. Grundstoffe sind allgemein bekannte Mittel, von denen man weiß, dass sie für den Pflanzenschutz nützlich sind, die aber nicht für diesen Zweck entwickelt wurden.

Wie Backpulver gegen Mehltau, so hilft beispielsweise Schmierseife gegen Läuse an Pflanzen, es sind alte Hausmittel, die schon die Großeltern kannten. Pflanzenschutzmittel dagegen werden gezielt entwickelt, um gegen unerwünschte Pilze, Kräuter oder Insekten zu wirken.

Sie durchlaufen ein Zulassungsverfahren, bei dem auch die unerwünschten Nebenwirkungen eine Rolle spielen. Pflanzenschutzmittel wirken in aller Regel wesentlich stärker als Grundstoffe, weswegen das Backpulver-Thema konventionell arbeitende Winzer kaum berührt.

Merkwürdigkeiten des Rechts

Dass Praktikerinnen einfach wissen: Backpulver wirkt gegen Mehltau, genügt nicht. Denn auch für Grundstoffe muss es eine Genehmigung der EU-Kommission geben und eine Auflistung der zulässigen Anwendungen.

Zu den Merkwürdigkeiten des Pflanzenschutzrechts gehört nun: Sobald ein Pflanzenschutzmittel mit einer Substanz zugelassen wird, die auch unter den Grundstoffen aufgeführt ist, wird diese Substanz aus der Grundstoff-Liste gestrichen. Verwendet werden darf nur noch das Pflanzenschutzmittel. Aus dem Grundstoff Backpulver wird das Pflanzenschutzmittel Backpulver. Biowinzer Köpfer schätzt, dass das die Kosten vervierfacht.

Hersteller verteidigt sich

Biofa-Geschäftsführer Volk versichert, dass es ihm nicht darum geht, die Kunden zu schröpfen. Er sieht den Schwarzen Peter bei der EU-Kommission. Biofa habe vor vielen Jahren Untersuchungen über die Wirksamkeit von Kaliumhydrogenkarbonat machen lassen und finanziert, so Volk. Kostenpunkt: mehr als zwei Millionen Euro.

Kalium und Natrium sind verwandte Elemente, auch Kalium funktioniert beispielsweise als Triebmittel beim Backen – und als Mittel gegen Mehltau. Als es um die Zulassung von Natriumhydrogenkarbonat – Backpulver – als Grundstoff im Pflanzenschutz gegangen sei, habe die zuständige EU-Behörde einfach die Daten von Biofa zu Kalium genutzt. Bezahlt habe sie aber nicht. Eine Klage dagegen sei ergebnislos geblieben.

Deswegen sei Biofa, so sagt Volk, nichts anderes übrig geblieben, als auf Basis von Backpulver ein Pflanzenschutzmittel zu entwickeln in der Hoffnung, die Kosten wieder einspielen zu können. Das ist gründlich schief gegangen, viele Biowinzer sind verärgert.

„Der Imageschaden bei den Winzern ist so groß, das können wir gar nicht mehr ausgleichen“, sagt Volk. Eine Schadenersatzklage gegen die EU-Kommission anstrengen? „Da lachen mich unsere Juristen aus“, winkt er ab. Biowinzer Köpfer ist zwar auch verärgert, will aber „die Schuld nicht der Firma Biofa in die Schuhe schieben“. Die habe viel für den Öko-Landbau getan.

Alternative Schwefel

Oben auf dem Altenberg über Staufen-Grunern, wo das Weingut Köpfer Reben hat, ist vom Mehltau noch nichts zu sehen. Der komme, wenn es trocken sei mit hoher Luftfeuchtigkeit, eine Wetterlage, die es im Markgräflerland häufig gebe, sagt Köpfer.

Köpfer geht das Thema pragmatisch an: „Wenn kein Backpulver, dann verwenden wir eben Schwefel.“ Der sei zugelassen und wirksam, habe allerdings mehr Nebenwirkungen auf Tier- und Pflanzenwelt. „Das ist ja das Tolle am Backpulver: Das kann man essen, es ist naturverträglich.“

Was ihn viel mehr ärgert: „Da redet man über Bürokratieabbau, darüber, wie man die Kosten senken könnte – aber tatsächlich passiert das Gegenteil.“ Kostenentlastung wäre wichtig für die Winzer.

Energie ist teuer, die Weinflaschen sind teurer geworden, es wird weniger Wein getrunken, das macht höhere Preise als Ausweg schwierig. „Für die Winzer kommt viel zusammen“, sagt Rene Fuchs vom Weinbauinstitut. „Das Thema Natrisan ist der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt.“

Und dann ist da der Klimawandel. Insekten und Pilze mögen es, wenn es wärmer wird. Paulin Köpfer erinnert sich: „Der Großvater hat vor dem Weltkrieg vielleicht dreimal in der Vegetationszeit gegen echten und falschen Mehltau Pflanzenschutzmittel ausgebracht, Anfang der 1980er haben wir vier- oder fünfmal gespritzt, jetzt muss man 15-mal durch die Reben fahren und spritzen.“ Auf 1000 bis 1500 Euro pro Hektar und Jahr schätzt Weinbau-Fachmann Fuchs die Kosten – nur für die Pflanzenschutzmittel, ohne die Arbeit und die Geräte.

Was Köpfer am meisten aufregt, sind die Widersprüche. Einerseits soll der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln verringert werden, halbieren will ihn das Land Baden-Württemberg bis 2030 sogar. Andererseits mache der Klimawandel mehr Pflanzenschutz nötig – aber harmlose Mittel dürfe man nicht mehr verwenden: „Da lange ich mir an den Kopf.“