Der Rundgang durch das Haus St. Josef endet in der Küche. Erst waren wir in der Kapelle, dann im Speisezimmer, endlich in der Küche. Die beiden Ordensschwestern sagen schmunzelnd: „Das ist der wärmste Raum im Haus.“ Die Küche ist einfach eingerichtet, ein 4-Platten-Herd, schlichtes Mobiliar. Auch in dieser Küche in einem stillen Winkel des Kreises Waldshut verbrachten die Schwestern Sabina und Itta die aktive Hälfte ihres Lebens. Wo kann man eine Lebensgeschichte besser erfahren als in einer Küche?
Kinder, Küche, Kirche – auf diesen Nenner lässt sich das Leben der beiden Ordensschwestern bringen. Was für manchen heute frauenfeindlich oder fremdbestimmt klingen mag, war für die beiden selbstverständlich: Sie sind für andere da.
Von wegen frauenfeindlich
Ihr Mutterhaus am Bodensee ist eine Autostunde entfernt. Gefühlt noch viel weiter. Die Schwestern Sabina und Itta führten im beschaulichen Erzingen Kindergarten und Kinderkrippe. Viele Väter und Mütter grüßen sie – als Kleinkinder gingen sie buchstäblich durch die Hände der Schwestern.

In wenigen Wochen endet die Ära des Tandems. Am 20. Februar, dem ersten Samstag in der Fastenzeit, wird sie ein Auto abholen und zurück in die Zentrale in Hegne bringen. Das ist ein doppelter Einschnitt, der passenderweise in die Fastenzeit fällt: Zum einen endet für die beiden Frauen – 79 und 83 Jahre – eine Phase großer Selbstständigkeit. Sie vertraten das Kloster, sie standen in hohem Ansehen. Ihr Haus heißt St. Josef. Es hat hohe Räume und stammt aus der Kaiserzeit, jeder im Ort kennt es.
Am Türschild steht „Schwestern“
Die beiden repräsentieren – ganz nebenbei und ohne Tamtam – die mütterliche Seite ihrer Kirche. Die Frauen unter dem schlichten weißen Schleier waren oft die erste Anlaufstelle für Sorgen und Nöte im Ort. Wer nicht gleich zum Pfarrer wollte, klopfte bei den Schwestern an. Marketingleute nennen das ein niederschwelliges Angebot.
Die Tür in St. Josef stand offen. Am Türschild steht mit krakeliger Schrift nur „Schwestern“. Jeder wusste Bescheid, wer das ist. Die Kreuzschwestern aus Hegne, die frauliche Hälfte der Kirche. Marias Nachfolgerinnen.

Der andere Einschnitt geht weit über die Lebensläufe der Schwestern Itta und Sabina hinaus. Er betrifft das Kloster Hegne, das die beiden tapferen Schwestern aus gutem Grund ins Mutterhaus zurückholt: Die Kreuzschwestern können den Standort nicht mehr halten, so wie sie bereits andere Filialen aufgeben mussten. Es fehlt schlicht an Nachwuchs, um diese vorgeschobenen Posten des Klosters zu halten. Der Wille ist da, auch der Bedarf. Aber es mangelt an Menschen, die das Kloster als Lebensform anstreben.
Präsent in ganz Südbaden und Hohenzollern
Der Einbruch begann nach dem Zweiten Weltkrieg. 1940 konnte die Ordensprovinz der Kreuzschwestern noch 213 Filialen mit Personal versorgen. Die Frauen verstehen sich ausdrücklich nicht als Nonnen, weil sie nach außen wirken und der sozialen Arbeit verpflichtet sind. Dabei schulterten sie ungeheure Lasten. Sie betreuen Behinderte, unterrichten Taubstumme, erziehen an Schulen – allesamt Felder, die der Staat den Kirchenfrauen gerne überließ, da er früher dazu nicht in der Lage war.

Zum Schwerpunkt entwickelte sich die Arbeit mit Kindern. Auch die Kindererzieherin Itta und die Kinderkrankenschwester Sabina wurden im vorigen Jahrhundert nach Erzingen geschickt, um Kindergarten und Kinderkrippe zu übernehmen.
Die Kinderwagen wurden vor St. Josef abgestellt
Das Dorf profitierte unbedingt, vor allem die berufstätigen Frauen. „Die Bäuerinnen stellten uns morgens den Kinderwagen vors Haus und gingen dann aufs Feld“, berichtet Sabina lachend. Die Schwestern boten damals schon eine Kinderkrippe an – lange vor den Ost-Kitas und der Diskussion über die Öffnungszeiten von Erziehungseinrichtungen. Die Ordensfrauen erbrachten eine Dienstleistung, die der Zeit weit voraus war. Und sie boten Verlässlichkeit. Sie waren einfach da. Im Haus in der Clissonstraße 32 brannte immer Licht. Urlaub? Freizeit? Itta und Sabina lächeln stillvergnügt, wenn man sie mit diesen schönen Vokabeln konfrontiert.

1901 wurden die ersten Kinder in St. Josef abgeliefert. 50 Pfennig kostete der Besuch der Einrichtung damals monatlich pro Kopf. Das Wohngebäude gehört der Pfarrgemeinde, die Schwestern wohnen gegen Miete, sie selbst arbeiten um Gottes Lohn. Auf dieser Basis lief der Betrieb, so lange genug Schwestern nachwuchsen. Inzwischen kümmern sich nicht-geistliche Erzieherinnen um die Kinder. Als die Schwestern Itta und Sabina 2003/04 ausschieden, zeichnete sich das klar ab. Damit klappt das Kapitel Hegne allmählich zu.
Ein krummer Rücken vom Kindertragen
Bei Sabina war es das Kreuz, das nicht mehr gerade sein wollte. „Mir schmerzte der Rücken vom vielen Kindertragen“, berichtet sie. Ihr Orthopäde rät ihr damals, den Beruf aufzugeben. Früher war sie einmal 1,80 Meter groß gewesen, jetzt geht sie deutlich gebeugt, 1,69 Meter zeigt das Maßband jetzt an.
Die beiden, damals Mitte 60, suchten sich eine neue Aufgabe. Die Pensionärinnen erfanden sich neu. Sie widmeten St. Josef zum „Haus der Begegnung„ um. Jetzt galt erst recht das Prinzip der offenen Tür. In der Hauskapelle empfingen sie Kinder, Jugendliche, Senioren. Dann Kaffee und Kuchen. „Es war immer der gleiche Kuchen“, schmunzelte Itta, „aber den Leuten hat er geschmeckt.“
Meisterinnen im Zuhören
„Wir kamen in viele Häuser“, sagt Sabina. An unzählige Sterbebetten brachte sie die Krankenkommunion. Oft klingelt das Telefon. Der Anrufer will eine Sorge loswerden. Die beiden Frauen hören zu. Sie sind Meisterinnen des Zuhörens, stellen sich selbst hintan. „Sie waren ein großer Segen für die Gemeinde, sie besuchten zum Beispiel viele Sterbende“, sagt Thomas Mitzkus, der lange Jahre Pfarrer in der Seelsorgeeinheit Klettgau-Wutöschingen war. Auch er kennt die Küche, war er doch regelmäßig Gast in diesem warmen Haus.

Eine Familie schenkte ihnen einen Fernseher
Wer sich in Erzingen (3400 Einwohner) erkundigt, wird viel Gutes über diese Kreuzschwestern hören. Mancher Bürger beschenkte die beiden Frauen. Zum Beispiel einen modernen TV-Flachbildschirm, der aus dem sonstigen Mobiliar der 70er-Jahre heraussticht. Eine dankbare Familie stellte den Schwestern das Gerät in die Stube – wohl wissend, dass sie sich so etwas nie kaufen würden. „Wir fernsehen sehr gerne“, sagt Itta vergnügt.

Mitten in den sparsam ausgeklügelten Altersabend platzte die Nachricht: Die Schwestern sollen zurück nach Hegne. „Das kam sehr zackig“, erinnert sich eine Katholikin aus Erzingen. Itta und Sabina waren überrascht von der Ankündigung, die Liebgewordenes aus der Verankerung riss. „Am Anfang war ich verärgert“, sagt Sabina.
Auch Itta zittert bedenklich mit dem Kopf. Warum wurden sie nicht gefragt? Doch sind Versetzungen im Orden klar geregelt: Die Schwestern haben beim Eintritt Gehorsam gelobt. Diese Zusage gilt lebenslang. Also gehorchen sie.
Stillsitzen geht nicht
Sie werden im Schwesternbereich im Altenpflegeheim Maria Hilf wohnen. Sie hätten sich eine aktivere Wohngruppe vorstellen können, aber sie nehmen es an. Und dann? „In Hegne ruhen wir uns erst einmal aus“, sagt Schwester Itta heiter.
Sabina freut sich auf die Exerzitien der Fastenzeit. Eine neue Aufgabe wollen beide suchen. Sie lieben die Stille, aber ummantelt von ein bisschen Lärm und rüstiger Aktivität. Im Sommer fahren sie nochmals in den Klettgau, um die Verabschiedung nachzuholen. Es wird ein Triumphzug sein.