Es ist ein so mächtiger Zahlenberg, dass sich ein kleines Loch von 33 Millionen Euro verschwindend klein daneben ausmacht. 1.306.000.000 Euro, sprich 1,306 Milliarden Euro, hatte der Südwestrundfunk (SWR), nach dem WDR zweitgrößte Sendeanstalt der ARD nach Haushaltsvolumen, in seinem Geschäftsjahr 2024 zur Verfügung. Der überwiegende Teil der Einnahmen stammte mit knapp 1,09 Milliarden Euro aus den Taschen der Bürgerinnen und Bürger – über die Rundfunkbeiträge.

Nur: Es reichte nicht. Der SWR, Landessender in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg, 3543 Mitarbeiter, schloss das Jahr 2024 mit einem Minus von etwas über 33 Millionen Euro ab. Gewinn- und Verlustrechnung veröffentlichte der SWR Anfang Juli im Rahmen des Geschäftsberichtes 2024. Zahlen, die in jedem Medienunternehmen, das seinen Gewinn auf dem freien Markt erwirtschaften muss, dramatische Maßnahmen auslösen würden und in den Chefetagen Köpfe rollen lassen könnte.

Langfristig auf Sparkurs

Beim SWR nicht. Hier ist das Defizit Teil eines langfristigen Finanzplans zum Umbau des Senders. Dazu gibt es einen seit längerer Zeit aufgesetzten Sparkurs und für den SWR auch einen von September 2025 an gültigen neuen Änderungsstaatsvertrag, der Verwaltungsebenen entschlackt, Parallelstrukturen im Programm in Baden-Württemberg und in Rheinland-Pfalz abbaut und den Fokus auf Sparsamkeit und Effizienz legt.

„Dieses Defizit ist Teil eines langfristig angelegten, strategischen Transformationsprozesses.“
Hans-Albert Stechl, Vorsitzender des SWR-Verwaltungsrats

Das erläutert Hans-Albert Stechl, Vorsitzender des SWR-Verwaltungsrats und damit oberster Finanzkontrolleur des Senders, unserer Redaktion. „Als Verwaltungsratsvorsitzender kann ich sagen: Dieses Defizit ist Teil eines langfristig angelegten, strategischen Transformationsprozesses, den wir aktiv begleiten und mittragen“, so Stechl. 2024 sei gegenüber dem Plan sogar eine Verbesserung erzielt worden: Statt des eingepreisten Minus von 51,5 Millionen stehe jetzt mit Minus 33,3 Millionen eine Ergebnisverbesserung in den Büchern.

Hans-Albert Stechl, Vorsitzender des Verwaltungsrats
Hans-Albert Stechl, Vorsitzender des Verwaltungsrats | Bild: Christoph Schmidt, dpa

Der SWR, so Stechl, befinde sich seit Jahren in einem strukturierten Einspar- und Transformationsprozess. Konkret habe der Sender seit Beginn des Prozesses bereits rund 600 Beschäftigungsverhältnisse sozialverträglich abgebaut. „Der Großteil davon erfolgte in der Infrastruktur, also bei der Produktion und Verwaltung“, so der Verwaltungsratschef. Der SWR folge dabei dem Prinzip „Infrastruktur spart vor Programm“. Auch Bürofläche sei reduziert worden.

Dennoch muss sich der Sender fragen lassen: Wohin verschwindet das Geld sonst noch? Dies vor allem in brutalen Umbruchzeiten für private Medienunternehmen, die seit Jahren um neue Strategien und Bezahlmodelle für Journalismus und um jeden einzelnen zahlenden Kunden kämpfen, während ihnen der beitragsfinanzierte ÖRR mit seinen kostenlos im Netz verfügbaren neuen digitalen und online-Angeboten zusätzlich das Wasser abgräbt.

Medienjournalist Welchering hätte konkrete Sparvorschläge

Der renommierte Medien- und Wissenschaftsjournalist Peter Welchering, der sich seit Jahren kritisch mit dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk auseinandersetzt, für den er selbst lange Jahre tätig war, hätte allerdings durchaus konkrete Vorschläge, wo der Sender der Rotstift ansetzen und das Defizit deutlich mindern könnte.

„Erstens: Alle Pensions- und Ruhegeldansprüche aus der Bilanz in eine Bad Bank auslagern und diese mit dem millionenschweren Immobilienbesitz des Senders gegenfinanzieren“, sagt Welchering gegenüber dem SÜDKURIER. „Zweitens: sich auf das Programm zu konzentrieren, statt immer neue Stabsstellen zu schaffen für Projekte wie ‚Data Lab‘ oder neue Formate, die kein Mensch braucht. Und wenn nicht so viel Geld in die Social-Media-Kanäle fließen würde, wäre auch mehr Geld für das eigentliche Programm da.“

Das kann man getrost als das eigentliche Programm bezeichnen: SWR-Aktuell-Moderatorin Stephanie Haiber im Sommerinterview mit ...
Das kann man getrost als das eigentliche Programm bezeichnen: SWR-Aktuell-Moderatorin Stephanie Haiber im Sommerinterview mit Ministerpräsident Winfried Kretschmann. | Bild: Tabea Günzler, SWR

Schließlich verweist Welchering auch auf die sechsstelligen Bezüge nicht nur des Intendanten Kai Gniffke, sondern auch der vielen SWR-Programmdirektoren – und dabei immer noch bestehende Doppelstrukturen. „Da könnte man auch einiges einsparen.“

Die Vergütungen der Intendanten und Direktoren rückten zuletzt immer wieder in den Fokus, befördert durch Ausgaben-Skandale wie den um die ehemalige RBB-Intendantin Patricia Schlesinger, die nun vor Gericht um ihre üppigen Versorgungsbezüge streitet.

Jobticket selbst für den SWR-Intendanten

Beim SWR steht Intendant Gniffke an der Spitze: Er erhielt 2024 wie im Vorjahr ein Jahressalär von 392.530 Euro, plus einer Aufwandsentschädigung von 2800 Euro und Sachbezügen in Höhe von 7816 Euro. Unter Sachbezug listet der SWR auf: „Geldwerter Vorteil des privat zu versteuernden Dienstwagen bzw. zur Verfügungstellung der Bahncard, ggf. Zuschuss Jobticket“.

Sachbezüge, für die ein Arbeitnehmer mit einem Zehntel an Netto-Einkommen dankbar wäre. Aber der SWR-Intendant? Gleiches gilt für die acht Direktoren des SWR mit jeweils 240.310 Euro plus Aufwandsentschädigungen und Sachbezügen, die beiden juristischen Direktorinnen, die sich eine Stelle teilen, erhielten je 132.121 Euro im Jahr.

Kai Gniffke ist Intendant des Südwestrundfunks.
Kai Gniffke ist Intendant des Südwestrundfunks. | Bild: Sven Cichowicz, SWR

Insgesamt knapp ein Drittel der SWR-Gesamtausgaben floss somit 2024 in Löhne, Gehälter und die Kosten für die Altersversorgung: 403,7 Millionen Euro machte der Posten Personalaufwand 2024 aus, davon 312,8 Millionen für Löhne und Gehälter, 57 Millionen Sozialabgaben und allein 33,6 Millionen – etwa die Höhe des gesamten Minus – gingen in Altersversorgung und sonstige Unterstützung. Zum Vergleich: Etwa 610 Millionen Euro gab der SWR für Erstellung, Produktion, Co-Produktionen, Technik und Einkauf des Programms aus.

Alte Versorgungsverträge deutlich über dem öffentlichen Dienst

Vor allem Personal- und wachsende Versorgungskosten des SWR bereiten auch dem baden-württembergischen Rechnungshof Sorgen. Schon im vergangenen Jahr hatte Rechnungshof-Präsidentin Cornelia Ruppert sich nach einer eingehenden Prüfung der Altersversorgung beim SWR – Bezugszeitraum war 2013 bis 2019 – in einem Interview mit der FAZ alarmiert über das Ergebnis gezeigt.

„Wir befinden uns in einem Spannungsfeld zwischen den Versorgungsansprüchen der Beschäftigten und dem Schutz der Beitragszahler“, so Ruppert damals, „der SWR und die beiden Vorgängeranstalten haben ihren Beschäftigten jahrzehntelang eine sehr komfortable arbeitgeberfinanzierte Altersversorgung geboten, die die gesetzliche Rentenversicherung ergänzt. Diese Altverträge sind die wesentliche Ursache für die gegenwärtigen hohen Belastungen des SWR.“

Grund: Die Versorgungsbezüge liegen deutlich über dem öffentlichen Dienst. „Die Verantwortlichen im SWR haben in der Vergangenheit sehr großzügig unterschrieben“, so Ruppert. 34 Prozent der aktiven Belegschaft hätten Anspruch auf den alten Versorgungsvertrag. „Wir wissen, dass die Generation der Babyboomer den Sender in den nächsten Jahren verlassen wird, was zu zusätzlichen Versorgungsausgaben führt.“

Schlanker mit dem neuen Staatsvertrag

Das aktuelle Defizit überrascht die Rechnungshofs-Präsidentin daher nicht. „Wie von uns in unserem Bericht 2023/2024 festgestellt, belasten die Altersversorgungsverpflichtungen das Jahresergebnis erheblich“, sagt Ruppert dem SÜDKURIER. Es seien aber bereits, wie vom Rechnungshof vorgeschlagen, Korrekturen vorgenommen worden. „Nach Auslaufen des Altersversorgungs­tarifvertrags im Jahr 2030 wird Gelegenheit zu weiteren Entlastungen bestehen“, so Ruppert, die sich auch von den Reformen im neuen Staatsvertrag Einsparmöglichkeiten erhofft.

„Der neue Staatsvertrag gibt dem SWR die Möglichkeit, sich organisatorisch schlanker als bisher aufzustellen. Insbesondere können Doppelstrukturen beseitigt werden, die noch aus der Fusion von SWF und SDR herrühren. Es werden die Anforderungen an den Umfang der Programme, die der SWR zu produzieren hat, gesenkt, sodass sich auch dort Einsparpotenziale ergeben sollten“, hofft die Präsidentin.

Rudi Hoogvliet (Grüne), Medien-Staatssekretär der baden-württembergischen Landesregierung und Mitglied des SWR-Verwaltungsrats, verweist darauf, dass das aktuelle SWR-Defizit der langfristigen Finanzplanung entspreche. In den letzten Jahren sei gespart worden, um die digitale Transformation des SWR zu ermöglichen.

Endlich wird die Aufteilung nach SDR und SWF aufgegeben

Hoogvliet verhandelte neben dem neuen Reformstaatsvertrag der Bundesländer auch maßgeblich für Baden-Württemberg den Änderungsstaatsvertrag zum SWR-Staatsvertrag aus. „Beide Staatsverträge haben zum Ziel, den SWR beiziehungsweise den öffentlich-rechtlichen Rundfunk insgesamt schlanker, effizienter und zukunftsgerecht aufzustellen“, so Hoogvliet. So werde etwa die Zahl der SWR- Hörfunkangebote reduziert, zudem würden die internen Strukturen modernisiert, indem die strukturelle Aufteilung nach den beiden alten Landessendern SDR und SWF – die 1998 fusionierten – aufgegeben wird.

Im Reformstaatsvertrag der Länder wird zudem unter anderem die Zahl der Digital- und Spartenkanäle verringert. Zusätzlich würden, so Hoogvliet mit Blick auf die Konkurrenz zu Bezahlangeboten von Medien, die Vorgaben zur Presseähnlichkeit von Angeboten des öffentlich-rechtlichen Rundfunks nachgeschärft und Verlinkungen auf Angebote privater Anbieter mit Bezahlschranke ermöglicht.

Beitragseinzug kostet den Sender 32 Millionen Euro

Nachgeschärft werden soll – geht es nach dem SWR und den anderen Anstalten – auch beim Rundfunkbeitrag. 220,32 Euro pro Jahr hat jeder Haushalt derzeit abzuliefern, die monatliche Gebühr liegt derzeit bei 18,36 Euro. Noch warten die 16 Bundesländer auf die von der Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten (KEF) im Herbst 2024 vorgeschlagene Erhöhung um 58 Cent auf dann monatlich 18,94 Euro. Sie liegt derzeit auf Eis, weil sich die Ministerpräsidenten der Länder nicht darauf einigen konnten.

Die Beitragszahler können aber gleich in welcher Höhe des Beitrags gewiss sein, dass der SWR ganz genau hinschaut: Allein die Aufwendungen für den Beitragseinzug kosteten den SWR 2024 knapp 32 Millionen Euro.