Eine 1A-Lage in der August-Ruf-Straße, der Hauptfußgängerzone Singens. In den Glaselementen der Fassade spiegeln sich die gegenüberliegenden Häuser. Die Schaufensterpuppen tragen Qualitätsware. Mode für Frauen, Männer, Mädchen und Jungs auf drei Ebenen. Ein jung gebliebenes Textilhaus, wie es sich viele Kunden wünschen.

Dennoch wird das Modehaus Heikorn im kommenden Januar nach fast 64 Jahren seine Türen zum letzten Mal öffnen. Das haben die Inhaber Bettina und Thomas Kornmayer im Juli angekündigt und damit in Singen für Gesprächsstoff gesorgt. Auf der Straße lassen sich Kunden über die möglichen Gründe aus. Für die einen ist es Corona und der Online-Handel, für die anderen die Konkurrenz durch das Einkaufszentrum Cano.

Doch die Wirklichkeit ist komplexer. Weder das Internet noch das Cano sind die Ursachen für das Heikorn-Ende. Thomas Kornmayer (59) spricht von „vielen Puzzleteilen“, die seine Frau Bettina (61) und ihn zum Entschluss geführt haben, das Geschäft mit seinen 35 ganz überwiegend weiblichen und oft seit Jahren angestellten, erfahrenen Mitarbeiterinnen aufzugeben.

Heikorn-Geschäftsführer und Miteigentümer Thomas Kornmayer (59). Mit seiner Frau Bettina suchte er nach neuen Wegen, um die Zukunft des ...
Heikorn-Geschäftsführer und Miteigentümer Thomas Kornmayer (59). Mit seiner Frau Bettina suchte er nach neuen Wegen, um die Zukunft des Hauses zu sichern. Doch letztlich entschieden sich beide für die Schließung. | Bild: Sabine Tesche

Das Puzzleteil, über das das Ehepaar als erstes spricht, wurde weitab von Singen an Behördenschreibtischen ausgestanzt. Es trägt die Bezeichnung „Brandschutzauflagen“. 80.000 Euro kostete etwa ein Rückhaltesystem, das Wasser aus der Sprinkleranlage auffangen soll, in dem sich eventuell Bakterien gebildet haben könnten. Das auf hypothetischen Annahmen beruhende Sicherheitsdenken treibt weitere Blüten, die schwer ins Geld gehen. So müssen die Kabel für die Lautsprecher des Brandalarms, die die Kunden warnen sollen, einem Feuer 30 Minuten lang standhalten.

„Das ist ein Domino-Effekt“

Immer neue kostspielige Auflagen fressen Geld, das die Kornmayers lieber in eine weitere Gehaltserhöhung für ihre Beschäftigten investiert hätten. Auch die Kassensysteme sind Nachbesserungswünschen der Finanzbehörde unterworfen. Das kostet.

„Das ist ein Domino-Effekt, der immer weniger zu stemmen ist“, sagt Bettina Kornmayer. Sie kann nur müde lächeln, wenn die Politik wieder einmal ankündigt, die Bürokratie abbauen zu wollen. Die Geschäftsleute erfahren das Gegenteil davon. Im Vergleich zu den früheren Jahren seien die Kosten um rund 20 Prozent gestiegen und die Umsätze um mindestens 30 Prozent niedriger ausgefallen.

Weniger Absatz wegen Homeoffice

Dass weniger Geld in die Kasse kommt als früher, hat ebenfalls mehrere Gründe. Zunächst legen sich die Leute – etwa für eine Hochzeit – nicht mehr so oft Kleidung zu, die an einen festlichen Anlass gebunden ist. Sodann wird hochwertiges Outfit in Zeiten von Homeoffice nicht mehr so intensiv wie früher gebraucht. „Wir haben festgestellt, dass die Leute weniger im Büro sind und somit weniger Kleidung brauchen“, sagt Thomas Kornmayer.

Was den Umsatz jedoch am deutlichsten schmälert, ist die Entwicklung hin zum Winter ohne Kälte. Das Ehepaar zählt auf, was früher mit dem Herbstgeschäft begann und heute kaum noch groß nachgefragt wird: Pullover, Winterjacken, Mäntel, Mützen, Schals und Handschuhe. Auch eine Lederwaren-Abteilung ist Geschichte. Die Wärme des Winterhalbjahrs lässt schmelzen, was früher eine feste Bank für Umsatz und Gewinn war.

Auch dass die Schweiz die Wertfreigrenze für den Einkauf in Deutschland auf 150 Franken halbiert hat, macht sich bemerkbar. Die Hoffnung, dass die Kunden dann eben zweimal kommen würden, bewahrheitete sich nicht.

Mehr Kunden durch das Cano

Dem Shoppingcenter Cano geben die Kornmayers indes keine Schuld am lahmenden Geschäft. Das Cano habe sogar mehr Kundenfrequenz gebracht, ohne das Einkaufszentrum hätte man vielleicht schon früher schließen müssen.

Wem der Umsatz schmilzt, versucht gegenzusteuern. Das haben die Kornmayers getan. 2021 gaben sie die Verkaufsfläche im früheren Sparkassengebäude auf. Um letzten Herbst machte man das Untergeschoss in dem angemieteten Gebäude dicht und verringerte die Fläche von 5000 auf 3000 Quadratmeter. Dann sollte der Sommer die Trendwende bringen. Der Schub blieb aus. Danach entschloss sich das Ehepaar, die Belegschaft einzuweihen und das Aus öffentlich zu machen.

Schließung in Radolfzell nach 106 Jahren

Auch Unternehmer Hermann Kratt (68) wird sein Kaufhaus in der Radolfzeller Innenstadt Anfang 2026 schließen.

106 Jahre nach der Gründung durch den Großvater 1919 ist auch das eine Entscheidung, die nicht über Nacht fällt – und die Menschen zu Solidaritätsbekundungen motiviert. Kratt sei „fast ein Kulturgut“, schrieb ein SÜDKURIER-Leser.

Im Gegensatz zum Ehepaar Kornmayer, das gern bis zum Renteneintritt mit 67 gearbeitet hätte, ist der Radolfzeller Unternehmer im Ruhestandsalter. Das Kaufhaus, das von Schreibwaren über Mode, Wäsche, Haushaltswaren und Elektrogeräte, Heimtextilien und Spielzeug ein großes Sortiment vorhält, ist breit aufgestellt – aber bei steigenden Kosten für Strom und Heizung auch einer größeren Konkurrenz ausgesetzt.

Für viele Radolfzeller ist das 1919 gegründete Kaufhaus Kratt eine Art Kulturgut. Hier der ältere, zum Münsterplatz hin gelegene ...
Für viele Radolfzeller ist das 1919 gegründete Kaufhaus Kratt eine Art Kulturgut. Hier der ältere, zum Münsterplatz hin gelegene Gebäudeteil mit seiner Rundbogenfront. Anfang 2026 wird hier eine Ära zu Ende gehen. | Bild: Jane Bosch

Neuer riesiger Edeka-Markt am Stadteingang

Die Konkurrenz wächst weiter: Am nördlichen Stadteingang wird bald ein opulenter Edeka-Markt des Betreibers Münchow mit 2000 Quadratmetern öffnen – mit, wie es auf der Website heißt, „breiterer Produktpalette“.

Wenn Traditionsfirmen schließen müssen, bedauert man die Verödung der Innenstadt. Dieser wollte Geschäftsmann Kratt entgegenwirken und sondierte wegen einer Nachfolge. Ohne Erfolg. Die Vorstellungen der Interessenten Umsatz und Gewinn betreffend waren nicht realistisch.

Nicht der Online-Handel und nicht die Einkaufscenter sind es, denen der Niedergang der familiengeführten Mode- und Kaufhäuser anzulasten ist, sondern die Gründe liegen in den vielen Puzzleteilen des zunehmenden Problemdrucks. Bettina und Thomas Kornmayer wie auch Hermann Kratt ist unisono eines wichtig: Wenn sie das Licht ausmachen, sollen die Finanzen geordnet sein. Mit einer Insolvenz wollen sie sich nicht verabschieden.