Kaserne statt Hörsaal, Sturmgewehr statt Halbleiter und Elektronen: Maren B. (23, Name aus Sicherheitsgründen abgekürzt), Studentin der Angewandten Physik in Freiburg, steht heute statt auf dem Uni-Campus auf der Standortschießanlage der Staufer-Kaserne in Pfullendorf.
Im Feldanzug mit Flecktarnmuster, den Helmriemen fest unterm Kinn geschlossen und mit einer Kunststoff-Schutzbrille auf der Nase. Denn heute wird scharf geschossen – die akademische Ausbildung ist weit weg.
Maren B. ist nicht nur Studentin, sondern auch „Frau Hauptgefreiter“, wie es im Bundeswehr-Sprech heißt.

Freiwillig steht sie jetzt auf dem Schießstand, um zu prüfen, ob sie mit dem G36, dem Standardgewehr der Bundeswehr, noch routiniert schießen und auch treffen kann.
So muss das sein bei den Reservisten. Denn im Gegensatz zu den aktiven Soldaten haben sie nur gelegentlich bei Übungen eine geladene Waffe in der Hand.
Für vier Tage wieder in Uniform
Der SÜDKURIER ist Anfang Juli bei einer Übung dabei. Am Donnerstag beginnt sie damit, als drei Dutzend Reservisten in der Staufer-Kaserne „eingeschleust“ werden.
Das klingt nach Unterwanderung, bedeutet aber nichts anderes, als dass Freiwillige wie Maren B. wieder zur Truppe gehören – und sei es nur für vier Tage. Am Freitag wird es eher laut. Gegen das Knallen der Gewehrschüsse wehren sich die Soldaten mit Gehörschutzstopfen, eine Splitterschutzweste wappnet Brust und Bauch gegen Verletzungen.

Jeder dieser Tage ist vom Dienstplan geregelt. Am Freitag wird mit der Pistole P8 und dem Sturmgewehr G36 geschossen, und am Samstag müssen die Reservisten auf dem Standort-Übungsplatz beweisen, dass sie auch anwenden können, was sie gelernt und geübt haben. Für die ganze Zeit haben sie sich aus dem Privatleben verabschiedet.
Wieder neues Interesse an der Truppe gefunden
Auch Manuel J. (37), im Zivilberuf Wirtschaftsjurist in einem Unternehmen der Rüstungsbranche am Bodensee, gehört dazu. Jetzt ist er in seiner Montur nicht mehr von einem aktiven Infanteristen zu unterscheiden.
Nach dem Abitur ging er 2007 nach der Grundausbildung zu den Fallschirmjägern nach Altenstadt im Schongau, blieb anderthalb Jahre, schied als Hauptgefreiter aus und vergaß den Waffendienst.

Erst später fand er wieder Interesse und absolvierte einen Offizierslehrgang. Deshalb trägt er jetzt die zwei Sterne des Oberleutnants auf der Schulter und ist erfüllt vom Reservistenwesen: „Das ist eine gute Sache, das macht Sinn.“
Diesen Sinn leitet J. auch aus der neuen Bedrohungslage her, die der russische Krieg in der Ukraine herbeigeführt hat. Für ihn steht fest, dass der Reservedienst bei der Bundeswehr eine neue Bedeutung erhalten hat. „Tritt der Bündnisfall ein, sollten wir parat stehen“, so sein Bekenntnis. Auch einige seiner Kollegen in der Firma sind Reservisten, J. ist mit seiner Einstellung nicht allein.
Reservist ist nicht gleich Reservist
Auch Maren B. ist klar, dass den 60.000 Reservisten der Bundeswehr inzwischen eine wichtigere Rolle zukommt. Die militärische Führung in Berlin wird nicht müde, die Aufgaben zu betonen, die auf die Reserve warten, kommt es zu einer russischen Bedrohung der Nato-Partner im Osten.
In dem Fall würde auch Maren B. zur Waffe eilen. Mit ihr umzugehen, hat die junge Frau schon früh gelernt.
Nach dem Abitur hat sie für ein Jahr bei den Gebirgsjägern nach Bad Reichenhall gedient. Als Skifahrerin und Kletterin lag ihr die harte Ausbildung in den Alpen. „Ich wollte meinen Land etwas zurückgeben“, sagt sie zu ihrer damaligen Motivation – die noch immer gilt.
„Dazu kommt die Freude an der Kameradschaft und an der gemeinsamen Ausbildung im Grünen.“ Maschinengewehr und Panzerfaust schrecken B. nicht ab und auch nicht die Tatsache, dass sie hier als Frau unter Männern allein ist. „Man ist ein Kamerad wie alle anderen auch.“
Major der Reserve stellt die neue Kompanie auf
Dafür gehört sie nun zur 15. Kompanie des Heimatschutzregiments 1. Das wurde im Mai 2022 in Bayern aufgestellt, hat seinen Sitz in Roth bei Nürnberg und wächst nun personell langsam auf. Damit das auch in Pfullendorf passiert, dafür sorgt Julian Kühny (40), gelernter Fernspäher, Major der Reserve und Kompaniechef.

Dass seine Einheit, die einmal rund 130 Reservisten umfassen soll, bisher nur rund ein Drittel dieser Stärke hat, macht dem studierten Betriebswirt keine Sorgen, denn das Interesse sei groß.
„Die Kompanie soll organisch nach und nach aufwachsen“, sagt der Chef mit dem bordeauxroten Fernspäher-Barett, der im Zivilleben im Vertrieb eines Unternehmens am Bodensee arbeitet.
Gesundheit, Einstellung – alles wird überprüft
Wer die bordeauxrote Kopfbedeckung trägt, ist ein Elitesoldat, und solche Männer haben einen kühlen Kopf. Daher winkt Kühny nicht jeden einfach durch, der bei ihm anklopft, sondern wer sich meldet, mit dem werden zunächst Gespräche geführt. Militärischer Hintergrund, Motivation, Leistungsbereitschaft, das sind dann die Themen.
Auch die Gesundheit sollte robust sein, denn Gepäck, Ausrüstung und Munition tragen gehört zum Job im Tarnmuster. Wer mitmachen will, wird deshalb erst einmal zum Medizincheck geschickt.

Wer dann auch die Hürde der Sicherheitsüberprüfung genommen hat, ist auf gutem Weg, ein Soldat der Heimatschutzkompanie zu werden. Wer bereits militärische Erfahrung hat wie Maren B. und Manuel J., hat einen Vorsprung, den die Ungedienten erst wettmachen müssen. Dabei helfen kurze Ausbildungseinheiten.
Früher ausgemustert, jetzt mit Einsatzfreude dabei
Die hat Joachim S. (60) an mehreren Wochenenden 2024 in Stetten am kalten Markt absolviert. 59 war er schon, als er auf dem Großen Heuberg einrückte, jetzt steht der Angestellte eines Maschinenbaubetriebs in der Region voll motiviert in der Schießanlage. Und kommt ins Erzählen.
Als W15er habe man ihn nach der Schule nicht gewollt, sondern mit Tauglichkeitsgrad T5 als „nicht wehrdienstfähig“ ausgemustert. Heute ist man nicht mehr so streng. Joachim S. hat jetzt seinen Seesack mit der Ausrüstung griffbereit daheim im Schrank.

Ob dauerhaft militärisch geschulte Soldatin wie Maren B., Wiedereinsteiger wie Manuel J. oder Spätberufener wie Joachim S.: Ihre Waffen bekommen die Reservisten erst in der Kaserne ausgehändigt.
Dafür sorgt die 6. Inspektion des Standorts, die Patenkompanie der künftigen Heimatschützer. Ihre Unteroffiziere und Feldwebeldienstgrabe helfen auch bei der Ausbildung – etwa bei der Munitionsausgabe und als Aufsicht an der Schießbahn.

Auch bei der Abschlussübung werden die Profis vom Ausbildungszentrum Spezielle Operationen in der Staufer-Kaserne wieder dabei sein. Major Kühny will seine Kameraden mit Übungen auf die Probe stellen.
Die Szenarien sind dem angepasst, was die Heimatschützer im Ernstfall erwartet: Kritische Infrastruktur schützen, etwa die Bodensee-Wasserversorgung oberhalb Sipplingen, durchziehende Nato-Truppen unterstützen, sensible und möglicherweise von Saboteuren bedrohte Objekte und Flächen bewachen.

Auch Checkpoints mit Personenkontrollen wird es geben, an denen sich die Soldaten bewähren müssen. Damit sind sie in der Lage, ihre Kameraden von den aktiven Einheiten zu entlasten, wenn diese im Ernstfall für andere Aufgaben gebraucht werden. Daher wirbt die Truppe – nach fast 30 Jahren Flaute im Reservewesen – wieder um Freiwillige, die neben Zivilkleidung zeitweise Uniform tragen.
Kompaniechef Kühny ist zuversichtlich, dass das Interesse weiter zunimmt. Dann sei es auch möglich, dass Baden-Württemberg sein eigenes Heimatschutzregiment erhalte – für das die Pfullendorfer Truppe dann sicher Gewehr bei Fuß steht.