Immenstaad Rebecca Röhrenbach hat an diesem Tag wenig Zeit. Die Handwerker geben sich die Klinke in die Hand, bis Saisonbeginn muss der Betrieb startklar sein. Später eilt sie zum Kindergarten, um die zweijährige Tochter abzuholen. Und da gibt es noch einen Grund, weshalb die Familienunternehmerin ihren Tag maximal effektiv füllt: Vor 100 Jahren brachte ihr Urgroßvater Albert 400 Setzlinge der Sorte Müller-Thurgau von der Schweiz nach Immenstaad.
Was der Winzersohn nicht ahnen konnte: Er begründete mit seinem Import den Aufstieg dieser Sorte zu einem der beliebtesten Weißweine. Mit dem Begriff „Import“ ist der Kauf der Reben nur schlecht beschreiben. 1925 galt das Saatgutgesetz, das den Export dieser Pflanzen verbot. Albert Röhrenbach wollte den Müller-Thurgau aber unbedingt anbauen, so schildert es die Familienchronik.
Nachts wurden die Reben nach Immenstaad gebracht
Der junge Winzer entschloss sich zur heimlichen Aktion: Er engagierte den Fischer Josef Ainser aus Hagnau. Die beiden brachen nachts auf und ruderten die etwa 24 Kilometer lange Strecke nach Arenenberg/Thurgau. Die Tour führt an Konstanz vorbei, den Seerhein hinunter und dann zum Schweizer Ufer.
Sie nahmen die kleinen Pflanzen in Empfang und ruderten zurück – „im Tagesanbruch und unerkannt unter vielen Fischerbooten“. So steht es in der Hauschronik, die Rebeccas Vater Matthias Röhrenbach niedergeschrieben hat.
Rebsorte inzwischen beliebt
Rebecca Röhrenbach muss schon schmunzeln, wenn sie diese abenteuerliche Geschichte erzählt. „Ein schlechtes Gewissen habe ich deshalb aber nicht“, meint die junge Weintechnologin. Ihr Ahn habe ja niemand etwas zuleide getan, sagt sie. Rebecca Röhrenbach beschreibt den Wein in der Sprache der Sommeliers so: „Der Müller-Thurgau ist leichtfüßig, eine bodenständige Frucht und ein guter Alltagsbegleiter, ein Wein der immer passt.“
Diese Rebsorte belegt aktuell 33 Prozent der Rebfläche auf dem Weingut der Röhrenbachs. Die Potenz dieser Reben hatte der tapfere Albert Röhrenbach früh erkannt. Für ihn war die Aktion riskant: Sein Vater Johann Baptist war Angestellter des Hauses Baden; als Verwalter auf Schloss Kirchberg bei Hagnau hatte er die Aufsicht über Schloss und die Weinberge, die zum Schlossgut gehörten. Die zuständige Finanzverwaltung des Prinzen von Baden hatte die fremde Rebsorte ausdrücklich verboten.
Wein durfte nicht in markgräflichen Gewölben verarbeitet werden
Johann Baptist Röhrenbach schickte dennoch seinen Sohn Albert in die Schweiz. Die Setzlinge wurden nach der Ankunft in die Hänge der Adelsfamilie eingegraben. Nur durch seine starke Stellung bei Max von Baden konnte er seine Stelle als Schlossverwalter halten, verbunden mit der Auflage: Der Müller-Thurgau dürfe nicht in den markgräflichen Gewölben verarbeitet werden.
100 Jahre später sieht es anders aus: Die angesehene Marke „Markgraf von Baden“ führt wie selbstverständlich auch den Müller-Thurgau. Mit warmen Worten wird angepriesen, was man damals nicht in den Fässern haben wollte. „Diese Traube eroberte auch hierzulande jedes Anbaugebiet im Sturm,“ heißt es.
Nachkommen der Schmuggler haben sich verändert
Die Traube bleibt, doch die Nachkommen der Weinschmuggler haben sich verändert. Die Röhrenbachs bauten ein eigenes Weingut in Immenstaad. Rebecca und ihr Vater bewirtschaften sechs Hektar Reben, die meiste Fläche ist gepachtet. Zugleich setzt die Familie auf Beherbergung. Rebecca Röhrenbachs Schwester Anna wird später zusteigen, sie wird sich um das Hotel kümmern.
Rebecca steht dafür im Rebgarten. „Oft arbeite ich dort alleine. Aber ich habe oft das Gefühl, dass jemand hinter mir steht und mich unterstützt. Das gibt Sicherheit“, sagt sie. Ohne die riskante Überfahrt ihres Uropas würde der Betrieb nicht so dastehen. Sie schaut auf die Uhr und eilt davon. Ihr Kind muss abgeholt werden – das wäre schon die nächste Generation, die nahe an der Traube aufwächst.