„Ich kann oft nicht einschlafen, weil es so ruhig ist“, sagt Sarah Wimaladharma über ihre Heimatbesuche im Schwarzwald. „Die Luft ist besser, es ist grüner, es ist still.“ Ihre Umgebung ist sonst eine ganz andere: Wimaladharma war für das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) in den berüchtigtsten Krisengebieten der Welt, war im Irak und in Syrien. Gerade lenkt sie von einem Büro in Nairobi, Kenia die Arbeit der Organisation in Sudan.

Das Land an der Südgrenze Ägyptens gilt seit einiger Zeit als Ort der größten humanitären Katastrophe unserer Zeit: Mehr als 12 Millionen von 50 Millionen Bewohnerinnen und Bewohnern sind vertrieben, zwei Drittel davon im eigenen Land. Ihnen fehlt es an allem. Und Wimaladharma verwaltet den zunehmenden Mangel an Hilfe, den die UN dort leisten können.

1983 bricht der Bürgerkrieg in Sri Lanka aus

Doch der Reihe nach. Als Kind einer Deutschen und eines Sri Lankers kommt Sarah Wimaladharma im Land ihres Vaters zur Welt. Ihre Eltern haben sich während des Studiums kennengelernt, in Furtwangen, wo die Mutter herkommt. „Schneeloch“, sagt Wimaladharma bloß zu ihrem Heimatort.

Sie wächst zwischen den Welten auf: Die Ferien verbringt sie im Schwarzwald, die Schule besucht sie im Urwald, wie sie sagt, in Sri Lanka. Ihr Vater ist Uhrmacher, die Mutter lehrt deutsch im Goethe-Institut. Als 1983 der Bürgerkrieg in Sri Lanka ausbricht, bleibt die Familie nach den Ferien erst einmal in Deutschland, um die Lage aus der Ferne zu beobachten.

Auch ihre Schule wird attackiert

Nach einem halben Jahr kehren sie aber zurück. „Ich bin im Bürgerkrieg in Sri Lanka aufgewachsen“, sagt Wimaladharma. In der Hauptstadt Colombo kommt es damals regelmäßig zu Anschlägen, auch ihre Schule sei mal attackiert worden, erinnert sie sich.

Sie besucht dort eine internationale Schule, viele ihrer Klassenkameraden haben Eltern im diplomatischen Dienst oder bei Organisationen der Vereinten Nationen. Für das internationale Abitur müssen sie ein Schulfach namens „Community Action Service“ absolvieren, eine Art Gemeinschaftsdienst: Müllsammeln, ein Basketballfeld anlegen, solcherlei.

Als im Jahr 1990 aber die Muslime aus dem Norden Sri Lankas vertrieben wird, entscheiden sie und ihre Mitschüler sich dazu, den Menschen zu helfen. „Der Vater eines Freundes arbeitete bei UNICEF und half uns, einen Besuch zu den Flüchtlingslagern zu organisieren“, erzählt Wimaladharma. Vor Ort haben sie dann in Erfahrung gebracht, was am dringendsten benötigt wird und dann zurück in der Schule eine größere Gruppe gebildet, die Geld gesammelt und Hilfsgüter organisiert hat. Im Grunde das, was sie auch heute macht.

Sarah Wimaladharma in Aleppo, Syrien
Sarah Wimaladharma in Aleppo, Syrien | Bild: UNHCR/Bassam Diab

Vorher studiert sie aber erst in Freiburg und später London Entwicklungswissenschaften und Jura, arbeitet nach dem Bachelor zwei Jahre bei einer Bank. „Das war aber eher aus Geldnot“, erzählt sie. Die Arbeit für internationale Organisationen beginnt häufig mit freiwilligen Diensten und unbezahlten Praktika, das macht den Einstieg kompliziert.

Als sie ein wenig Geld gespart hat, widmet sie sich gleich wieder der Entwicklungshilfe. 2004, als dort gerade ein Waffenstillstand herrscht, kehrt sie nach Sri Lanka zurück, um eine Arbeit über Kindersoldaten zu schreiben. Ausgerechnet 2004. Am zweiten Weihnachtsfeiertag jenes Jahres löst ein Erdbeben im Indischen Ozean die tödlichsten Tsunamis aller Zeiten aus. Fast eine Viertel Million Menschen sterben. Auch Sri Lanka wird hart getroffen. „Das war der Punkt, an dem ich wirklich in die Entwicklungshilfe gekommen bin“, sagt Wimaladharma.

„Weniger labern, mehr tun“

Sie arbeitet erst für ECHO, das Amt für humanitäre Hilfe und Katastrophenschutz der EU-Kommission. Mit dem Deutschen Entwicklungsdienst geht sie später nach Botswana. Ab 2009 ist sie für UNHCR tätig: In Sri Lanka, am Dienstsitz in Genf, im Irak, in Kurdistan, in Syrien und im Sudan, für den sie inzwischen von Nairobi aus arbeitet.

Und das läuft wie im Schulprojekt damals? „Same same, but different“, sagt Wimaladharma, das heißt: genauso, aber anders. Der Ablauf sei schon sehr ähnlich, damals aber natürlich viel weniger bürokratisch gewesen.

Das treibt sie heute um: „Weniger schwätzen, mehr tun“, sagt sie. „Ich denke, wir müssen manchmal ein wenig weg von den großen Worten und die Sachen wieder vereinfachen.“ Wimaladharma weiß aber auch, dass das leichter gesagt ist als getan. Die Welt ist komplizierter geworden. Die Konflikte nehmen zu. Und die Entwicklungshilfe lebt immer auch von der Aufmerksamkeit in den wichtigsten Geberländern für diese Krisen.

Weniger Aufmerksamkeit in den Geberländern spüren sie sofort

Deutschland ist ein gutes Beispiel: Syrien war hier lange ein großes Thema, nicht zuletzt, weil sich von dort so viele Menschen auf die Flucht hierher machten. Von der extremen Not im Sudan bekommen die Menschen hier weit weniger mit – das macht sich bemerkbar in den für ihre Arbeit verfügbaren Geldern, sagt Wimaladharma.

Oder als Geberländer und Medien sich auf die Ukraine fokussierten und plötzlich Mittel für Syrien und Afghanistan fehlten. „Wir merken das direkt“, sagt Wimaladharma. Das führt auch dazu, dass sie und ihre Kollegen um mehr Aufmerksamkeit in den Geberländern kämpfen müssen – was Ressourcen bindet, die später der Arbeit „im Feld“ fehlen, so nennt sie es.

Mit dem Rückzug der USA aus der Entwicklungshilfe – der keineswegs eine Ausnahme ist, wie Wimaladharma betont, auch andere Länder engagieren sich immer weniger, weil sie andere Prioritäten setzen – müssen die Helfer vor Ort immer öfter schwierige Entscheidungen treffen: „Was ist wirklich lebensrettend, was vielleicht ‚nur‘ lebenswichtig? Wir müssen unsere Programme dann umändern, neu priorisieren. Das ist wirklich schwierig. Unsere ganze Arbeit hängt von freiwilligen und öffentlichen Geldern ab – das heißt, wir müssen die Länder oder Leute immer wieder überzeugen, dass unsere Arbeit wichtig ist und Menschen hilft.“

Und es reicht nicht aus. „Die Bedürfnisse werden immer noch da sein“, sagt Wimaladharma. Das heißt vor allem: Nahrung, Medizin, Sanitäranlagen.

„Beides geht nicht“

Die globalen Entwicklungen zeigen dabei weiter in eine Richtung: Konflikte nehmen zu und die Hilfsbereitschaft der wohlhabenden Länder – sei es bei der finanziellen Unterstützung oder der Aufnahme Schutzbedürftiger – nimmt ab. Erreicht die kippende Stimmung vor allem der westlichen Gesellschaften auch die Camps in den Krisengebieten?

„Natürlich kriegen wir das mit“, sagt Wimaladharma. „Es möchte keiner fliehen“, sagt die Teilzeit-Furtwangerin, „ob das jetzt innerhalb eines Landes ist, ins Nachbarland und erst recht nicht nach Europa, wo es auch schwierig ist, man die Sprache nicht kennt und so weiter. Wer das macht, für den ist die Lage wirklich extrem.“

Das Desinteresse in den wohlhabenden Gesellschaften an diesen Schicksalen, die tausende Kilometer weit zu Fuß, in unsicheren Booten und vollgestopften Lastwagen zurücklegen, das sei eine krasse Reaktion. „Man kann nicht zu allem Nein sagen“, findet Wimaladharma. „Man gibt kein Geld für den Sudan, will aber auch nicht, dass Sudanesen hier Hilfe suchen. Also – beides geht nicht.“ Trotzdem kommt sie immer gerne zurück in ihre deutsche Heimat, in den Schwarzwald; und freut sich vor allem auf die Lebensmittel: „Auf Speckbrot und dazu ein Zibärtle“, sagt sie und lacht.