Ein paar junge Männer in dunklen Anzügen tragen ein überdimensionales Preisschild und Geldsäcke vor das frühere Hotel Adler in Sipplingen. Der Bodenseekreis hatte es für viel Geld für die Unterbringung von Flüchtlingen angemietet, wegen Baumängeln aber nie dafür genutzt. Hier werfen die Männer Schokomünzen in die Luft.
So ist es auf einem Video vom 22. März zu sehen, das die Aktivisten auf Instagram und Telegram hochgeladen haben – ihr Protest gegen eine angebliche Asylindustrie. Der Clip ist professionell inszeniert mit Luftbildern und dramatischer Musik.
Die Aktion passiert mitten am Tag. Das Haus steht zentral und unweit des Rathauses. Und dennoch: Hätte nicht ein Nachbar die Polizei gerufen, wäre die Sache vielleicht sogar unbemerkt geblieben. Als die Beamten vor Ort eintrafen, war niemand mehr da.
Egal, ob von der Demonstration in Wien, vom Schloss in Karlsruhe oder von einem Supermarkt in Allgäu, wo Reconquista 21 auch Aktionen durchführte: Die Aktivisten produzieren professionelle, pompöse Bilder von ihren Aktionen. Vor Ort bekommt davon – wie in Sipplingen – kaum jemand etwas mit, auf ihren digitalen Kanälen aber wird das Material vielfach verbreitet.
Falsche Bilder als Konzept
Dahinter steckt ein Konzept. Der wohl bekannteste Kopf der Identitären Bewegung, der Österreicher Martin Sellner, bekam nach seinem Vortrag beim Potsdamer Remigrationstreffen vorübergehend ein Einreiseverbot in Deutschland. Öffentlichkeitswirksam kündigte er einen „illegalen Grenzübertritt“ nach Passau an, um den schlechten Grenzschutz Deutschlands zu zeigen.
In der Stadt kündigte sich Widerstand an. Am 23. Februar zeigte sich Sellner dann in einem Livestream beim Grenzübertritt und Kaffeetrinken. Ein Parkticket, dass er kurz in die Kamera hielt, verrät aber: Sellner war schon am 19. Februar in Passau gewesen, das Video war nicht live. Das hatte zuerst der „Infoticker Passau“ entdeckt. Sellner hatte die Öffentlichkeit einfach über den Zeitpunkt getäuscht. So konnte er eindrückliche Bilder produzieren.
Kaum Reaktionen auf die Videos
„Das sind Social-Media-Profis, die das machen“, erklärt der Extremismusforscher Dominik Hammer vom Institute for Strategic Dialogue, einer unabhängigen Denkfabrik zur Extremismusforschung mit Sitz in London. „Für die ist es wichtig zu probieren, was wirkt, was gerade im Trend liegt und da dann aufzuspringen, um ein Momentum, das schon da ist, für sich zu nutzen.“
Was aber auch auffällt: Gemessen an der Personenzahl, die diesen Accounts folgen, fallen die Reaktionen eher gering aus. Hammer sagt dazu: „Rechtsextreme und faschistische Bewegungen sehen ihr Publikum eher als passive Empfänger, das Volk ist in dieser Ideologie ein Echoraum – also keine handelnden Akteure, sondern Leute, die beschallt und manipuliert werden können.“
Dafür sei ein anschaulich inszeniertes Produkt wie ein Kurzfilm auf Telegram natürlich schöner, als wenn tatsächlich mit Leuten etwa an einem Infostand interagiert werden müsste.
„Anders als Parteipolitiker, die neue Mitglieder oder Wähler gewinnen wollen, können solche Akteure als Aktivisten mit solchen Bildern Dynamiken erzeugen“, so Hammer weiter. „Dem wäre es nicht dienlich, wenn tatsächlich kritische Auseinandersetzungen mit Passanten abgebildet würden. Außerdem müssen sie mit schnellen, gezielten Inszenierungen weder Polizei noch Störaktionen politischer Gegner fürchten.“
Die Interaktion läuft hauptsächlich über die verschiedenen Gruppen. Bayern teilen Inhalte aus Baden-Württemberg, die Inhalte aus der Schweiz teilen.
Auch die Junge Tat arbeitet maßgeblich mit irreführenden Inszenierungen. Deren Aktivisten bauen zwar Marktstände auf, verteilen Flyer und sagen, sie diskutierten Remigration mit Passanten.
Letztere kommen allerdings nie zu Wort. Die Zuschauer der Videos müssen also glauben, was die Aktivisten ihnen erzählen: dass viele der Befragten ihre Forderungen unterstützten, dass sie „vielen Leuten aus dem Herz sprechen“. Zu sehen oder zu hören ist aber kein Passant.
Rechtsextreme im Seeburgpark
Die Junge Tat agiert auch grenznah, Mitte August veröffentlicht sie ein im Seeburgpark in Kreuzlingen gedrehtes Video. Darin sperren sie den Park ab und stellen Schilder auf, auf denen vor sexuellen Übergriffen von Migranten gewarnt wird. Anlass war ein Vorfall beim Fantastical, der Kreuzlinger Version des Seenachtfests.
Die Vernetzung der Szene beschränkt sich dabei keineswegs auf den Alpenraum. Ein Beispiel: Der frühere Kopf der IB in Baden-Württemberg hat erst im Herbst 2023 gemeinsam mit einem sächsischen Rechtsextremisten ein Unternehmen gegründet, wie im Handelsregister festgehalten ist. Ähnliche Beispiele gibt es viele.
Trotz Unvereinbarkeitsbeschluss: AfD gibt Distanz auf
Spätestens seit dem Potsdamer Treffen ist auch in der Breite der Bevölkerung bekannt, dass die AfD ihre Distanz zur Identitären Bewegung aufgegeben hat, obwohl der Verein nach wie vor auf ihrer Unvereinbarkeitsliste steht.
Noch Ende 2018 mussten sich in Baden-Württemberg AfD-Mitglieder für ihre Nähe zu der Bewegung intern rechtfertigen, wie aus Protokollen des hiesigen Landesvorstands hervorgeht, die der SÜDKURIER einsehen konnte.
Darin heißt es: Mitglieder der JA hätten „versichert, rigoros gegen jegliche Entgleisungen ihrer Mitglieder in Wort und Bild vorzugehen. Sie bekennen sich außerdem zum Unvereinbarkeitsbeschluss bezüglich einer Zusammenarbeit mit der Identitären Bewegung (IB).“ Der eingangs beschriebene Fall des Marius K. zeigt: Diese Abgrenzung scheint in der Realität vorbei zu sein.