Drei Mal lag der Bauwunsch einer Ettenkircher Familie auf dem Tisch des Ortschaftsrates. Zwei Mal sagte er „Nein“. Beim dritten Mal musste er „Ja“ sagen, weil die Häfler Stadtverwaltung bereits zugestimmt hatte. Das Kuriose an dem Fall: Das Grundstück liegt eigentlich im Außenbereich. Hier gibt es für ein Wohnhaus – außer auf Bauernhöfen – kein Baurecht. Bis Oberbürgermeister Andreas Brand mitmischte und für die Baugenehmigung sorgte – per Anweisung an das Baudezernat.
Rückblick: Im November 2016 fragt eine Ettenkircher Familie, ob sie auf ihrem Grundstück an der Taldorfer Straße zwei Einfamilienhäuser außerhalb der Ortschaft in Ettenkirch/Waltenweiler bauen darf. „Damals hieß es, das sei klassischer Außenbereich, da gehe nichts“, erinnert sich Ortschaftsrat Franz Bernhard, der für die CDU auch im Gemeinderat sitzt, an die Stellungnahme der Behörden. Noch dazu, weil das Grundstück in zweiter Reihe liegt und nicht erschlossen war.
Ortschaftsrat fällt aus allen Wolken
Im September 2017 reicht die Familie wieder eine Bauvoranfrage ein, diesmal für ein Einfamilienhaus mit Doppelgarage. Obwohl der Ortschaftsrat das vier Wochen später erneut ablehnt, erreicht das Gremium im Februar 2018 die Information, das Rathaus habe einen positiven Bauvorbescheid ausgestellt. Das gleiche Grundstück befand sich nun plötzlich im Innenbereich, womit Baurecht vorlag. „Wir sind im Ortschaftrat aus allen Wolken gefallen“, erklärt Franz Bernhard im SÜDKURIER-Gespräch. Dem blieb im Oktober 2018 deshalb nichts anderes übrig, als den Bauantrag zu genehmigen.
Wie geht sowas? Aus der Niederschrift jener Ortschaftsratssitzung am 17. Oktober 2018 geht hervor, dass sich der Grundstückseigentümer mit der Entscheidung des Ortschaftsrates nicht abfinden wollte und bei Oberbürgermeister Andreas Brand vorsprach. Nach diesem Gespräch wurde „intern dann entschieden, dass Innenbereich vorliegt“, wird die Aussage des Bauherrn im Sitzungsprotokoll dokumentiert. Hier steht auch, dass Familie XY am 9. Juli 2018 den positiven Bauvorbescheid erhielt – und damit den Persilschein für ihr Einfamilienhaus.
Differenzen in der Verwaltungsspitze
Zwischen Februar und Juli 2018 kam es im Rathaus intern zu Differenzen ob dieses Baugesuches. Das deckt sich mit Auskünften, die Franz Bernhard auf seine Frage erhielt, wer diese Entscheidung zu verantworten habe. „Da wurde nur Widersprüchliches mitgeteilt“, erklärt er. OB Brand habe ihn am 1. Juni 2018 per E-Mail informiert, dass der Genehmigung „ein intensives Abstimmungsgespräch voraus ging, das die Bauherrschaft mit Herrn Dr. Köhler und dem Baudezernat geführt“ habe. Voraussetzung für die positive Bewertung des Bauvorhabens sei gewesen, dass „das Einfamilienhaus so geplant werde, wie es bei dem Termin mit Herrn Dr. Köhler besprochen und abgestimmt“ worden sei. Dem widersprechend schrieb Erster Bürgermeister Stefan Köhler am 4. Juli 2018 an Franz Bernhard, dass der Oberbürgermeister den Bauherren mitgeteilt habe, ihr Baugesuch sei nun nach Paragraf 34 Baugesetzbuch zu beurteilen – das Grundstück werde also im Innenbereich verortet. „Eine entsprechende Anweisung von Herrn OB Brand an das PL“ liege vor, so Köhler an Bernhard. „PL“ ist das Stadtplanungsamt.
Der OB zwingt das Planungsamt, seine fachliche Bewertung zu ändern und das Grundstück an der Taldorfer Straße quasi zum Innenbereich zu erklären, obwohl es das Baurecht offensichtlich nicht hergibt? Das Rathaus verneint: Das Planungsamt habe in seiner Stellungnahme zwar „Bedenken geäußert“. Das Einvernehmen zum Baugesuch sei „nach Rücksprache mit dem Oberbürgermeister“ hergestellt worden, schreibt die städtische Pressestelle auf Anfrage. Dem SÜDKURIER liegen jedoch Beweise vor, dass das Planungsamt von OB Brand am 13. Juni 2018 persönlich angewiesen wurde, das Bauvorhaben in Ettenkirch nach Paragraf 34 Baugesetzbuch und damit als Projekt im Innenbereich zu beurteilen. Nur so war es möglich, die baurechtliche Klippe für das Einfamilienhaus zu umschiffen. Und so hatte er es vier Monate vorher schon der Ettenkircher Familie mitgeteilt.
Ettenkircher warten auf Erklärung
Auf eine Erklärung, warum dieses Grundstück nun zum Innenbereich zählt, wartet der Ortschaftsrat Ettenkirch bis heute. Der bat in der März-Sitzung 2018 die Verwaltungsspitze darum, diese Baugenehmigung zu erklären, berichtet Franz Bernhard. Laut Protokoll äußerte Ortschaftsrat Wieland, „es herrsche Unmut in der Gemeinde, weshalb jetzt dieses Baugesuch genehmigt werden soll“. Aber es kam keine Stellungnahme aus dem Häfler Rathaus. Am 16. Mai 2018 beschloss das Gremium daher förmlich, eine Erklärung durch die Verwaltung in einer der Ortschaftsratsitzungen einzufordern. „Im Nachgang ging darüber hinaus ein Anschreiben des Ortschaftsrates an die Verwaltungsspitze„, erklärt Ortsvorsteher Achim Baumeister. Die städtische Pressestelle hingegen teilt mit, man könne den Eingang dieser Schreiben nicht nachvollziehen – genauso wenig, wie es „zu dem Versäumnis oder Missverständnis kam, dass dem Wunsch des Ortschaftsrates nicht nachgekommen wurde“.

Zumindest die Frage der Ettenkircher ans Rathaus, ob in diesem Fall ein Rechtsgutachten eingeholt wurde, beantwortet die städtische Pressestelle: Nein, das sei unüblich. Gibt es in Friedrichshafen noch Baurecht für jeden gleichermaßen? Selbst diese Frage hat Franz Bernhard der Verwaltungsspitze gestellt und gesteht: „Wir sind fassungslos und verärgert.“
Seit der Baugenehmigung für das Einfamilienhaus an der Taldorfer Straße, das im Rohbau steht, schlägt der Fall in Ettenkirch jedenfalls Wellen, weil er für mächtig Ärger im Dorf gesorgt hat. Warum darf eine Familie bauen und wir nicht, frage sich laut Bernhard mancher Grundstückseigner, der bisher mit seinem Bauwunsch im Außenbereich nicht durchkam. Noch dazu, weil der Gemeinderat für sieben Weiler – also kleinere Siedlungen – in Ettenkirch 2016 Satzungen erließ, die klarstellen sollten, wo es Baurecht gibt und wo nicht.
Gleiches Recht für alle gefordert
Mit dieser Vorgeschichte wundert es nicht mehr, warum der Ettenkircher Ortschaftsrat und die CDU-Fraktion im Gemeinderat im Oktober 2018 – 14 Tage nach der umstrittenen Baugenehmigung – forderten, die erst zwei Jahre zuvor beschlossenen Klarstellungssatzungen für die Ettenkircher Weiler wieder abzuschaffen. Seither ist in Krehenberg, Wannenhäusern, Lempfriedsweiler, Appenweiler, Furatweiler, Lindenholz und Habratsweiler definiert, wo der Innenbereich aufhört. Damals wurde außerdem bestimmt, dass alle anderen Teilorte eben als Außenbereich beurteilt werden – auch die Mini-Siedlungen an der Taldorfer Straße.
Und dann gibt es Baurecht für ein Haus auf der grünen Wiese? Als Franz Bernhard den CDU-Antrag in der Mai-Sitzung des Gemeinderats begründet, spricht er von einer „uneinheitlichen Verwaltungspraxis“ bei Baugenehmigungen. „Dann muss im Rathaus eben wieder jeder Einzelfall geprüft werden.“ Doch die Abschaffung der Satzungen fand keine Mehrheit im Rat. Vorerst soll es eine Arbeitsgruppe geben, die schaut, ob man die Grenzen zwischen Innen- und Außenbereich in den Weilern nicht zu restriktiv gezogen hat. Man wünsche sich das „positive Ausnutzen der Beurteilungsspielräume“, so Bernhard im Gemeinderat.
„Büchse der Pandora geöffnet“
Für ihn ist mit der zweifelhaften Baugenehmigung an der Taldorfer Straße „die Büchse der Pandora geöffnet“. Wenn es um Gerechtigkeit geht, kann der Richter am Landgericht Ravensburg nicht aus seiner Haut. Was das Rathaus mit den Ettenkircher Grundstückseignern mache, die derzeit wegen der Außenbereichslage nicht bauen dürfen, sei „ungerecht“. Alle Eigentümer sollten die gleichen Chancen haben. „Wenn hier der Bau auf der grünen Wiese geht, dann muss in vergleichbaren Fällen genauso Baurecht möglich sein“, fordert der CDU-Gemeinderat.
Was ist Außenbereich?
Das Baugesetzbuch unterscheidet zwischen Außen- und Innenbereich. Bauen darf man – grob zusammengefasst – nur im Innenbereich oder im Bereich eines Bebauungsplans. Der Innenbereich hört da auf, wo „ein Zusammenhang bebauter Ortsteile“ besteht. Als Ortsteil wird „jeder Bebauungskomplex im Gebiet einer Gemeinde, der nach der Zahl der vorhandenen Bauten ein gewisses Gewicht besitzt und Ausdruck einer organischen Siedlungsstruktur ist“, bezeichnet. Der Außenbereich soll grundsätzlich von Bauten freigehalten werden. Hauptgrund: Der Gesetzgeber schiebt so der Entstehung von Splittersiedlungen (also einer Siedlung mit weniger als acht bis zehn Gebäuden) baurechtlich den Riegel vor. Deshalb ist der Bau eines Wohnhauses im Außenbereich ausnahmsweise nur dann zulässig, wenn es ein privilegiertes Vorhaben ist, beispielsweise ein Landwirt aus Haus für seine Eltern baut. (kck)