Die Seegfrörne 1963 ist ein Jahrhundertereignis, an das viele Menschen in der Region launig-fröhliche Erinnerungen haben. Die lustigen Wochenenden auf dem Obersee, als alle auf dem Eis unterwegs waren, in schweren Lodenmänteln, dick eingemummt in Wollschals. Auf Schlittschuhen, Schlitten, Skiern, Fahrrädern, auf Mopeds oder sogar mit Kleinwägen.

Zu Beginn noch vorsichtig, an Seilen miteinander festgebunden, um den, der einbricht, schnell retten zu können. Ausgestattet mit Leitern, um die Wasserrinnen, die sich immer wieder auftaten, überwinden zu können. Doch irgendwann kamen Routine, Leichtigkeit und leider auch der Leichtsinn. Und damit auch die Toten der Seegfrörne.

Werner und Willy Häusler teilen in der Chronik „Die Seegfrörne 63. Das Tagebuch vom großen Eis“ (Ersterscheinung 1963) viele ...
Werner und Willy Häusler teilen in der Chronik „Die Seegfrörne 63. Das Tagebuch vom großen Eis“ (Ersterscheinung 1963) viele Erinnerungen. Auch Andreas Mohr schrieb in „Die Brücke über den Bodensee“ ausführlich über das Jahrhundertereignis. | Bild: Wienrich, Sabine

6. Februar 1963

„Seit den Morgenstunden ist der Bodensee auf seiner ganzen Breite von 14 Kilometern und seiner Länge von 60 Kilometern zugefroren. Temperatur: Minus 21 Grad“, schreiben die Chronisten Willy und Werner Häusler in „Seegfrörne 63. Das Tagebuch vom großen Eis“, das bereits 1963 erschien. Am 6. Februar überqueren sechs Männer aus Hagnau als erste Gruppe nach 133 Jahren den zugefrorenen Obersee. Tausende Menschen werden in den kommenden Tagen folgen.

Dieses Bild zeigt den zugefrorenen See in Friedrichshafen mit Blick in Richtung Schlosskirche. Für die Wasservögel wurden damals ...
Dieses Bild zeigt den zugefrorenen See in Friedrichshafen mit Blick in Richtung Schlosskirche. Für die Wasservögel wurden damals Eislöcher geschlagen. | Bild: Stadtarchiv Friedrichshafen, Sammlung Jakob Hättig

10. Februar 1963

Die Seegfrörne fordert ihr erstes Todesopfer. Georg Spieler (68 Jahre alt) aus Wasserburg fährt mit dem Fahrrad nach Altenrhein am Schweizer Ufer. Bei der Rückfahrt kommt er vom Weg ab, bricht ein und ertrinkt. Einen Tag später finden Flieger aus Friedrichshafen seine Leiche im Eis des Obersees. Todesursache war laut Zeitungsberichten Erfrieren oder ein Herzschlag.

Dass Ausflügler einbrechen, ist mittlerweile an der Tagesordnung. In der Regel geht das glimpflich aus, viele können gerettet werden. Dennoch sterben im Februar 1963 insgesamt fünf Menschen im Eis.

Im Friedrichshafener Hafenbecken stecken die Schiffe im Eis fest. Auch der Fährverkehr zwischen Meersburg und Konstanz wurde am 7. ...
Im Friedrichshafener Hafenbecken stecken die Schiffe im Eis fest. Auch der Fährverkehr zwischen Meersburg und Konstanz wurde am 7. Februar 1963 eingestellt. Die Fahrrinne der Trajektfähre Friedrichshafen-Romanshorn war ein wenig länger offen, schloss sich dann aber schließlich auch. | Bild: Stadtarchiv Friedrichshafen, Sammlung Jakob Hättig

11. Februar 1963

Der 51-jährige Gastwirt Heiri Flach aus Bad Horn in der Schweiz besucht mit seinem Moped einen Freund. Laut der Häuslerschen Chronik verabschiedet er sich mit den Worten: „Ich werde jetzt den See überqueren. Wenn ich drüben bin, rufe ich an. Vor Einbruch der Dunkelheit werde ich wieder da sein.“ Heiri Flach kehrt nie wieder zurück.

Am gleichen Tag wagt sich der 19-jährige Hary Aebischer aus Uttwill im Kanton Thurgau auf den Schlittschuhen über die abgesteckte Strecke hinaus aufs Eis. Er bricht ein und ertrinkt. „Seine Leiche wird in drei Metern Tiefe geborgen“, schreiben die Häuslers in ihrem Buch.

Die Manzeller Bucht glich im Februar 1963 einem Eismeer. Im Hintergrund die Schlosskirche.
Die Manzeller Bucht glich im Februar 1963 einem Eismeer. Im Hintergrund die Schlosskirche. | Bild: Familie Stärr

14. Februar 1963

Vor Fischbach-Manzell bilden sich kilometerlange, bis zu sechs Meter hohe Eisberge. „Damals gab es Fönwetter, also Westwind, und das Eis schob sich zusammen und sammelte sich in der Manzeller Bucht“, erinnert sich Roland Stärr, der Sohn von Georg Stärr, der als Reiter vom Bodensee in die Geschichte eingeht. Zwei Tage zuvor, am 12. Februar, ritt Georg Stärr bei der großen Eisprozession nach Hagnau hoch oben auf dem Pferd voran.

Die Eisberge faszinieren Häfler Schulkinder wie Roland Stärr, der damals zehn Jahre alt war. Sie klettern auf ihnen herum, rutschen herunter, haben großen Spaß. Genau diese Eisberge sind es dann auch, die eine Woche später, am 22. Februar, zwei Jungs aus Friedrichshafen zum Verhängnis werden.

Die Manzeller Bucht heute – 60 Jahre nach der letzten Seegförnen. Hier trieben am 22. Februar die beiden Jungen aus ...
Die Manzeller Bucht heute – 60 Jahre nach der letzten Seegförnen. Hier trieben am 22. Februar die beiden Jungen aus Friedrichshafen auf einer Eisscholle in den Tod. | Bild: Wienrich, Sabine

22. Februar 1963

Die Eisdecke ist zwölf Zentimeter dick, die Temperatur fällt weiter. Der 13-jährige Peter Seeburger und der 15-jährige Kurt Hyzyg spielen am Manzeller Ufer auf den Eisbergen. Es ist ein Freitag, das Wochenende steht an. Gegen 17.20 Uhr löst sich die mehrere hundert Meter lange Eisscholle und die beiden Buben werden auf ihr in den See hinausgetragen. Ein leitender Angestellter der Firma Diesel-Porsche beobachtet von seinem Arbeitsplatz, dem heutigen RRPS-Verwaltungsgebäude, aus mit einem Fernglas, wie die Schüler auf der Eisscholle nach Westen laufen, um irgendwo einen Übergang auf festes Eis zu finden. Ein weiterer Augenzeuge verständigt die Wasserschutzpolizei und bittet um einen Hubschrauber. Doch noch bevor eine Such- und Bergungsaktion eingeleitet wird, wird es dunkel.

23. Februar 1963

„Einen dramatischen Wettlauf mit dem Tode um die Rettung des Lebens von zwei 13 und 15 Jahre alten Schülern führten in der Nacht zum vergangenen Samstag Wasserschutzpolizei, die Besatzungen von fünf Hubschraubern und drei Dornierflugzeugen der Heeresfliegerstaffel 19 Friedrichshafen sowie einer Rettungsstaffel der Bundesluftwaffe aus Lechfeld mehrere Stunden lang über den zum Teil noch zugefrorenen Obersee“, schreibt Andreas Mohr in „Die Brücke über den Bodensee“.

Das könnte Sie auch interessieren

Die Suche endet um 9.40 Uhr etwa einen Kilometer vor dem schweizerischen Ufer bei Güttingen. Die beiden Jungen liegen leblos auf der Eisscholle, wo sie bereits festgeklebt sind. Stabsarzt Vetter aus Friedrichshafen springt aus dem kurz über der Scholle schwebenden Hubschrauber und löst die beiden Jungen vom Eis. Per Funk wird das Krankenhaus verständigt, es wird versucht, die Jungen wiederzubeleben. „Aber die Ärzte können nur noch den Tod der beiden Schüler feststellen“, heißt es in der Chronik der Häuslers. Andreas Mohr schreibt: „Ihr Tod war infolge starker Unterkühlung bereits vor Stunden eingetreten.“