Etliche Abstriche hat Allgemeinmediziner Dr. Germar Büngener in den vergangenen Tagen bei Patienten seiner Familienpraxis in Friedrichshafen genommen. „Alle waren bisher virenbedingt“, sagt er, „bakterielle Infektionen gab es bislang keine.“ Auch die gefürchtete echte Grippe, also die Influenza, tauchte bisher nicht auf. Dafür viele Rotznasen, entzündete Rachen und gerötete Trommelfelle. „Bisher waren das alles banale Atemwegsinfektionen“, stellt Büngener fest, „aber dafür kommen sie so gehäuft, wie wir es lange nicht mehr gesehen haben.“

Dr. Germar Büngener ist Allgemeinmediziner in Friedrichshafen und Vorsitzender der Kreisärzteschaft Friedrichshafen.
Dr. Germar Büngener ist Allgemeinmediziner in Friedrichshafen und Vorsitzender der Kreisärzteschaft Friedrichshafen. | Bild: Landesärztekammer Baden-Württemberg

Auch erfasse die Erkältungswelle die Region deutlich früher als sonst. „In dieser Form habe ich das im Oktober bislang noch nie wahrgenommen“, sagt Büngener, verweist aber auch auf den starken Wetterwechsel. Während es vor wenigen Tagen noch fast sommerlich warm war, ist er nun da, der Herbst mit einem kühlen Wind. „Im Moment häufen sich vor allem auch Ohrenentzündungen, was ich eindeutig auf den Wind zurückführe“, erklärt der Hausarzt. Beunruhigend findet er den Ansturm auf die Arztpraxen bisher nicht.

Dr. Katrin Wiesener ist Hausärztin in Immenstaad – und empfiehlt die Grippe-Impfung all ihren Patienten.
Dr. Katrin Wiesener ist Hausärztin in Immenstaad – und empfiehlt die Grippe-Impfung all ihren Patienten. | Bild: Katrin Wiesener

„Vielleicht sind wir an ein gewisses Keimspektrum einfach nicht mehr gewohnt“, sagt seine Kollegin Dr. Katrin Wiesener, Hausärztin in Immenstaad. Auch sie behandelt deutlich mehr Patienten mit Atemwegsinfekten als vergangenen Herbst. „Wir tragen zwar in vielen Bereichen immer noch Masken, aber haben eben auch wieder deutlich mehr Kontakte als 2020“, meint sie.

Ist die frühe Erkältungswelle die Folge des Lockdowns?

Im vergangenen Jahr, so verzeichnet es das Robert-Koch-Institut, sind tatsächlich weniger Menschen aufgrund der strengen Abstand- und Hygieneregeln, der Masken und des Lockdowns krank geworden, auch die Influenzawelle blieb komplett aus. Setzt jetzt bei Lockerung dieser Maßnahmen genau der gegenteilige Effekt ein und alle erkälten sich schneller, weil das Immunsystem aus der Übung ist? Büngener will das so nicht bestätigen, denn dafür fehle ihm schlichtweg die Datengrundlage. Bisher seien es vor allem Rhinoviren und Parainfluenzaviren, also die üblichen Verdächtigen, die für Rotz und Heiserkeit sorgten.

Das Robert-Koch-Institut hatte zwar zuletzt in seinem Papier „Vorbereitung auf den Herbst/Winter 2021/22“ vor einer Grippewelle und einer Zunahme schwerer Atemwegsinfekte, wie Lungenentzündungen, gewarnt, betonte aber gleichzeitig, dass niemand aktuell wisse, ob das wirklich zum Problem wird. „Wir können einfach gar nicht vorhersagen, wie die Saison wird“, sagt auch Wiesener, „im Moment sind die Menschen wachsamer, kommen schneller, weil sie Angst vor einer Corona-Infektion haben.“

Einst gab es 17 Corona-Schwerpunkt-Praxen im Landkreis, übrig geblieben sind nur wenige – unter anderem die von Dr. Andreas ...
Einst gab es 17 Corona-Schwerpunkt-Praxen im Landkreis, übrig geblieben sind nur wenige – unter anderem die von Dr. Andreas Kirsner (rechts) in Oberteuringen. | Bild: Corinna Raupach

Dann landen sie nicht selten in der Corona-Schwerpunkt-Praxis von Dr. Andreas Kirsner in Oberteuringen. „Viele Hausärzte überweisen Patienten mit typischen Coronavirus-Symptomen an uns, denn wir haben noch eine vom Praxisbetrieb abgetrennte Teststraße“, erklärt Kirsner. Rund 30 bis 50 Infektpatienten kommen täglich zum Abstrich, bei etwa zwei bis fünf stellt Kirsner das Coronavirus fest. „Bei den anderen Infektionen handelt es sich um banale Erkältungsviren, die wir aber nicht separat spezifizieren“, sagt der Internist. Das sei auch nicht nötig, denn eine virale Atemwegserkrankung sei in der Behandlung immer ähnlich. Eine Zunahme erkennt auch er: „Die Corona-Teststraße und die ausgebuchte Sprechstunde sind aktuell nur durch Doppelschichten parallel machbar, das bringt uns schon an Grenzen.“

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Und was ist mit der Influenza?

Aktuell wurde laut Gesundheitsamt Bodenseekreis bisher im ganzen Landkreis kein einziger Influenza-Fall in der Region gemeldet. „Erfahrungsgemäß treten die ersten Influenzafälle vereinzelt gegen September, Oktober auf mit Zunahme gegen November“, erklärt Landkreissprecher Robert Schwarz, „der Häufigkeitsgipfel der gemeldeten Fälle lag in der Vergangenheit meist im Zeitraum Januar bis März.“ Diese Erfahrung machte auch Allgemeinmediziner Germar Büngener. „Spätestens nach dem Jahresempfang im Graf-Zeppelin-Haus fallen die ersten Abstriche positiv aus“, sagt er.

Seit Oktober gibt es die ersten Grippeschutz-Impfungen in den Arztpraxen. Zur Auswahl stehen verschiedene Impfstoffe.
Seit Oktober gibt es die ersten Grippeschutz-Impfungen in den Arztpraxen. Zur Auswahl stehen verschiedene Impfstoffe. | Bild: SIUTZ HARRY

In den meisten Arztpraxen in der Region wurde bereits mit den Impfungen begonnen. „Früher hat man gerne möglichst spät geimpft, damit der Schutz bis ins Frühjahr hält, doch nun rät man eigentlich dazu, möglichst früh zu impfen, denn die Impfstoffe halten gut sechs Monate“, sagt Büngener. Aktuell gebe es drei Impfstoffgruppen: die Standardimpfung, ein Nasen-Spray für risikobehaftete Kinder und Impfstoffe für ältere Menschen über 60 mit mehr Wirkstoff oder Wirkstoffverstärkern.

Katrin Wiesener bemerkt eine gewisse Impfmüdigkeit bei ihren Patienten. „Vergangenes Jahr wollten sich alle schnell gegen Influenza impfen lassen, dieses Jahr sagen viele: Ich hab doch schon die Corona-Impfung“, berichtet sie. Dann gehe sie ins Gespräch, kläre auf – und überzeuge, denn eine Influenza sei für Risikopatienten nicht selten genauso schwer im Verlauf wie eine Corona-Infektion. „Die Impfung gegen Influenza erfolgt mit einem Tot-Impfstoff und der braucht zehn bis 14 Tage, bis er überhaupt wirkt“, sagt die Hausärztin. Daher auch ihr Credo: Möglichst schnell impfen lassen.

Wer braucht die Grippe-Impfung?

Und wer braucht die Grippe-Impfung überhaupt? Laut Stiko sind das vier verschiedene Gruppen: Menschen über 60 Jahre – insbesondere Pflegeheimbewohner, Schwangere ab dem zweiten Trimeon, Personen mit einem bestimmten Risiko (zum Beispiel Herz- oder Kreislaufkrankheiten, Diabetes) und Menschen, die im Pflege- und Gesundheitswesen oder in Einrichtungen mit viel Publikumsverkehr arbeiten. Für Hausarzt Büngener ist eine Impfentscheidung immer eine individuelle Entscheidung, die nach ärztlicher Beratung getroffen werden sollte. „Jede Impfung kann Nebenwirkungen haben“, sagt er, „deshalb ist es auch wichtig, nicht einfach blind alle zu impfen.“ Katrin Wiesener und Andreas Kirsner empfehlen all ihren Patienten die Grippe-Impfung. „Wir sollten Doppel-Infektionen Corona/Influenza auf jeden Fall vermeiden“, erklärt Wiesener. Diese Gefahr sieht Kirsner eher nicht, er empfehle die Influenza-Impfung schon immer breit. Besonders wichtig seien aber natürlich die älteren Patienten – und die seien auch sehr impfwillig.

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Für Gesundheit gibt es keine Vollkasko-Garantie

Während der Corona-Pandemie ist das Thema Gesundheit noch mal stärker in den Fokus gerückt. „Die Menschen sind diskussionsfreudiger geworden, wollen mehr Aufklärung“, stellt Büngener fest, „aber sie sind teilweise auch ängstlicher, haben das Bedürfnis nach einer Vollkasko-Versicherung.“ Doch die gebe es beim Thema Gesundheit nicht – trotz Impfungen. Und so sei eine sachliche ärztliche Aufklärung und Einordnung noch wichtiger geworden als vor der Pandemie. Schließlich erkenne der Arzt schnell, ob es sich um eine ernst zunehmende Erkrankung oder einen eher harmlosen Infekt handelt. Bei zweitem helfe oft auch nur Ruhe – und die Besinnung auf ein paar Hausmittel wie beispielsweise Spitzwegerich-Tee oder Lindenblüten-Tee.