Ich bin positiv überrascht, denn irgendwie hatte ich einen ernsten jungen Mann erwartet?!
Mein Leben war lange genug ernst und negativ, seit drei Jahren ist es bestimmt von Freude und Leichtigkeit.
Was hat Ihr Leben so negativ gemacht?
In der Grundschule fing es an mit gelegentlichen Hänseleien und ich wurde von einigen Gruppen aus der Klasse ausgeschlossen. Mit dem Wechsel auf die Realschule wurde es heftiger. Ich wurde regelmäßig beleidigt und gehörte zu keinen Klassenverbänden. In der 7. Klasse wechselte ich innerhalb der Schule in eine andere Klasse, doch es wurde nicht besser und ging bis hin zum Cybermobbing. In der 9. Klasse wechselte ich nach Friedrichshafen, wollte einen Neuanfang starten, denn keiner kannte mich. Ich schloss Freundschaften mit Schulkameraden, die es nicht leicht hatten und bot ihnen meine Hilfe an. Hier musste ich allerdings weitere negative Erfahrungen machen. Ich wurde ausgenutzt, hintergangen, belogen und betrogen. Das war richtig krass. Nach anfänglicher Entspannung ging das Mobbing wieder los und begleitete mich bis zu meinem Abschluss.
Das klingt dramatisch. Konnten Sie sich dieses Mobbing erklären und was hat es mit Ihnen gemacht?
Ich hatte keine Erklärung. Ich sah nicht wirklich anders aus als die Anderen und war doch nicht Mainstream. Ich tickte eben etwas anders. Ich bekam große Selbstzweifel, dass mit mir irgendwas nicht stimmte. Doch am Schlimmsten war die Angst, die sich in mir breitmachte, größer wurde und über Jahre hinweg 24 Stunden in mir präsent war und dazu führte, mir selber wehtun zu wollen.
Können Sie diese Angst beschreiben?
Angst vor allem und jeden. Zur Schule zu müssen war für mich die Hölle, in die Stadt zu gehen irgendwann tabu, geschweige denn, Aktivitäten nachzugehen und ein Leben eines Teenagers zu führen. Die Angst fing am Sonntagabend schon an, wenn ich wusste, dass es am nächsten Tag wieder in die Schule geht. Ich bin am Morgen aufgewacht und habe gebetet: Bitte lass es nicht so schlimm werden. Also nicht mal lass es aufhören, denn das war unrealistisch, sondern nur: Lass es nicht so schlimm werden. Natürlich einhergehend mit den schlimmsten Bauch- oder Kopfschmerzen. Ich wünschte mir nicht wie andere Kinder eine Playstation oder das neueste Handy, ich wünschte mir gar nichts, nur endlich dazuzugehören.
Von wem bekamen Sie Unterstützung in der Schule?
Ich habe alles durchlaufen, vom Lehrer, Schulpsychologen, Verhaltenscoach oder Sozialarbeiter. Alle sagten: Reiß‘ dich zusammen und versuche dich zu integrieren. Ich wollte es und habe es wirklich versucht, aber ich frage Sie, wie soll das gehen, wenn einen innerlich die Angst beherrscht. Ich konnte zum Schluss auch nicht mehr differenzieren, wer mir was Gutes tun will und wer nicht. Ich hatte nur noch Misstrauen und Angst vor jedem Menschen, ich habe völlig zugemacht.
Gab es einen ständigen Begleiter in der ganzen Zeit?
Das waren eindeutig meine Eltern, die immer zu mir gehalten haben und allzu oft nicht mehr wussten, wie sie mir noch helfen können und doch immer nach Möglichkeiten Ausschau hielten.
Wie ging es weiter nach Ihrem Schulabschluss?
Ich fing eine Ausbildung zum Mechatroniker an, die ich nach drei Monaten abbrach.
Warum?
Es war ein Moment, in dem es Klick in meinem Kopf machte und ich mich ernsthaft fragte: Möchtest du dieses Leben in Angst und Isolation weiterleben? Ein Leben für die Anderen führen, nur, um irgendwann dazuzugehören? Nein, sagte ich mir, ich will ab sofort mein Leben leben und innerliche Freude zurück. Ich kann es gar nicht beschreiben, aber es war so klar in meinem Kopf, dass ich nichts anderes mehr wollte, als mein Leben zurück. Meine Eltern unterstützten mich in diesem Punkt sehr und sagten, schau was dir guttut, was du in Zukunft machen willst, probier dich aus.
Wie haben Sie das umgesetzt?
Als Erstes musste und wollte ich meine Angst besiegen. Ich tat das, vor dem ich am meisten Angst hatte. Ich ging wieder raus und ein Schlüsselerlebnis hatte ich Ende 2016, als ich mich allein ins „Lemon“ traute. Ich wusste, dort werde ich auf meine Mobber treffen, und das pushte mich. Als ich in die Diskothek hineinging, spürte ich bereits die Blicke der Anderen. Ich trank keinen Alkohol, um diesen Augenblick bewusst und ungetrübt zu erleben. Ich ging allein auf die leere Tanzfläche und tanzte. Ich sah dabei „meine“ Mobber überall in den Ecken, betrunken auf mich zeigend und sich über mich amüsierend. Ich nahm all das wahr, aber am meisten die körperliche und gedankliche Freiheit in mir selbst und den Triumph, meine Angst überwunden zu haben. Ein unbeschreibliches Gefühl nach einem Jahrzehnt Mobbing.
War dieser Moment nachhaltig?
Oh ja, es ging natürlich nicht alles von heute auf morgen und es gab durch meine Angst auch mal schwache Momente. Aber irgendwann machte ich die Angst zu meinem besten Kumpel, der auf meiner Schulter saß. Wenn die enorme Angst wieder hochkam, dann sagte ich zu meinem Kumpel Angst: „Hey, ich weiß, du meinst es gut mit mir und du willst mich vor der Situation und dem Auslachen beschützen, aber wenn wir da jetzt raus gehen, das Ding rocken, dann fühlen wir uns danach richtig gut.“ Es hat funktioniert und mit der Zeit sah ich meine Angst als meine größte Stärke. Seitdem empfinde ich wieder Freude in meinem Leben und gehe alles mit einer gewissen Leichtigkeit an. Wenn beispielsweise ein gutes Lied im Supermarkt durch die Lautsprecher tönt, dann tanze ich einfach, um meiner Lebensfreude und Freiheit Ausdruck zu verleihen. Ich konnte seitdem ganz wertvolle Freundschaften aufbauen und erfahre viel Zuspruch.
Was tun Sie jetzt?
Ich beschäftige mich mit dem, was mir schon immer Spaß machte und mich interessierte. Ich fing an, mit Filmaufnahmen und Kameras zu arbeiten. Ich drehte kleine Filme für YouTube und ging mit meiner Geschichte in die Medien. Ich wollte und möchte Schülern helfen, aus der Opferposition des Mobbings herauszukommen, und Eltern Tipps geben, um wieder einen Zugang zu ihren Kindern zu bekommen. Ich versuche, allen Seiten eine andere Perspektive und Wege zu diesem Thema aufzuzeigen.
Wie stehen Sie jetzt zu Ihren Mobbern?
Das ist auch ein großes Gefühl der Freiheit, denn ich habe all meinen Mobbern verziehen und auch mir selbst und das lässt mich meine innere Zufriedenheit bewahren. Es geht so weit, dass ich dankbar bin für diese Mobbingerfahrung, denn sie hat mich zu diesem Menschen gemacht, der ich jetzt bin. Ein stolzer und glücklicher junger Mann, der seine Bestimmung gefunden hat.
Haben Sie einen Traum oder ein bestimmtes Ziel?
Ich möchte gern das weitermachen, wovon andere einen Mehrwert haben und was sie glücklich macht. Mein Traum ist, eine Gemeinschaft zu haben, die sich nicht mehr ausgrenzt, wegen dem „Wie man ist“ oder „Was man ist“, sondern eine Community erschafft, die sich gegenseitig unterstützt und die Einzigartigkeit in jedem Einzelnen erkennt und dafür sorgt, gemeinsam Lebensmomente zu sammeln. Das erste Ziel wird sein, dafür eine Online-Plattform zu erschaffen, auf der sich Jugendliche wiederfinden können! Meine Lebensaufgabe besteht darin, so vielen Jugendlichen wie nur möglich aus dem Mobbing zu helfen, ja sogar es zu schaffen, dass Mobbing an Schulen nicht mehr möglich wird und verschwindet.
Zur Person
Yannick Haile wurde im September 1999 in Friedrichshafen geboren. Er besuchte bis zur 8. Klasse das Bildungszentrum Markdorf, wechselte dann an die Graf-Soden-Realschule nach Friedrichshafen und machte dort seine Mittlere Reife. Yannick Haile schlug den dritten Bildungsweg ein und absolvierte eine Train-the-Trainer- sowie Coaching-Ausbildung und ist erfahren im Bereich der Persönlichkeitsentwicklung. Weitere Kenntnisse und Erfahrungen hat er als Social Media Manager. Seit vier Monaten lebt der 20-Jährige in Köln und arbeitet Vollzeit an seinen Anti-Mobbing-Projekten. Das nächst größere soll die Online-Plattform sein.
Informationen im Internet:
http://www.yannickhaile.de