„Die geplante Bebauung von Teilen des Landschaftsparks St. Leonhard schlägt hohe Wogen.“ Das empfindet nicht nur Bernadette Siemensmeyer so, die Vorsitzende des Verschönerungsvereins Überlingen. Auch die Gemüter der Beschäftigten in der Birkle-Klinik seien aufgewühlt, wie die Klinik-Geschäftsführer in einem Brief an OB Jan Zeitler und den Gemeinderat schreiben. Sogar die Stadt selbst findet, dass der Landschaftspark ein „traumhaftes Naherholungsgebiet“ sei. Mehr dazu am Ende dieses Textes.
Entscheidung am Mittwoch im Rat
Um was geht‘s? Am Mittwoch berät der Gemeinderat über die Aufstellung eines Bebauungsplanes für ein Wohngebiet im Umfeld der St. Leonhard-Kapelle. Der Verschönerungsverein protestiert „Bei dem Gebiet handelt es sich um ein Naherholungsgebiet von besonderer Bedeutung.“ Es verfüge über außergewöhnliche Aussichts- und Ruheplätze. „Ähnlich attraktive, ja atemberaubende Aussichtspunkte in unmittelbarer Nähe der Wohnbebauung sucht man in unserer Stadt lange.“ Zum VVÜ-Vorstand zählt auch der frühere Leiter der Stadtgärtnerei, Thomas Vogler. Im Brief des Vereins heißt es: „An diesem hochwertigen Übergang von der Siedlung in die freie Landschaft verbietet sich jegliche Bebauung.“ Sie wäre mit Blick auf Natur und Landschaft, Klimaanpassung, Gesundheits- und Erholungsfunktionen „mehr denn je unverantwortlich“. Auch sei zu vermuten, dass eine Bebauung um Sankt Leonhard „nicht zur Schaffung von bezahlbaren Wohnungen für Überlinger Familien führen wird“.
Freie Hand mit Paragraph 13 b
Gerade der bundesweit feststellbare Siedlungsdruck führte dazu, dass das Baugesetzbuch im Mai 2017 um den Paragraphen 13 b erweitert wurde. Er ermöglicht das „beschleunigte Verfahren“, das die Stadt hier anzuwenden gedenkt. Der Paragraph ist befristet, bislang auf den 31. Dezember, was auch andernorts vermehrt zur Aufstellung von Bebauungsplänen im Außenbereich führt, wie der Landesnaturschutzverband feststellt. Verbandsgeschäftsführerin Anke Trube schreibt dazu: „Derzeit scheinen einige Gemeinden in Torschlusspanik zu verfallen.“
Siemensmeyer: „Umwelt zieht den Kürzeren“
Siemensmeyer – sie sitzt für LBU/Die Grünen im Gemeinderat und ist freie Landschaftsarchitektin – kommentiert: „Zusammenfassend kann man sagen, dass in einem Bebauungsplanverfahren nach 13 b die Bürgerschaft und die Umwelt den Kürzeren ziehen.“ Wobei sie betont, dass trotz aller Erleichterungen im Bebauungsplanverfahren die Umweltbelange zu prüfen und zu beachten seien, „insbesondere in diesem speziellen Fall, da im gültigen Flächennutzungsplan explizit die einer Bebauung entgegenstehende Nutzung als Grünfläche ausgewiesen ist“. Und das sei dort auch gut begründet worden.
Erste Gehversuche der Birkle-Patienten
Auf gute Gründe, die in der Vergangenheit galten, heben auch die Geschäftsführer der Birkle-Klinik ab, wenn sie gegen eine Bebauung protestieren. Geschäftsführer Wolfgang Spang und Matthias H. Schindler schreiben an Rat und Stadtoberhaupt: Die Anziehungskraft der Klinik resultiere „wesentlich“ von ihrer Lage, „in grünem Umfeld und ungehindertem Seeblick“. Viele Patienten der im Jahr 1975 eröffneten Klinik wagten „ihre ersten Gehversuche unter freiem Himmel vor der Klinik und im Anblick des Bodensees„.
Die Klinik beschäftigt nach eigenen Angaben 140 Mitarbeiter, hat rund 200 Betten und eine Auslastung von fast 90 Prozent. Doch Arbeitsplätze seien nun in Gefahr, da die Patienten Wunsch- und Wahlrecht bei der Suche nach einer Klinik hätten und der Standort dabei wesentlich sei. Die Klinik sei „unmittelbarer Zahler von Kurtaxe- und Fremdenverkehrsabgaben“, derzeit über rund 100.000 Euro jährlich. Spang erinnert daran, dass bei der Wahl des Klinik-Standorts zunächst das Gelände bei der Sankt-Leonhard-Kapelle angedacht war, eben jenes Grundstück, das nun überplant werden soll. Doch sei der Antrag damals aus wasserrechtlichen Gründen abgelehnt worden. Als man sich mit der Stadt auf den jetzigen Standort einigte, sei man natürlich davon ausgegangen, dass die Argumente auf Dauer gelten, das Grundstück unterhalb der Straße frei und ihre Sicht unverbaut bleibe.
In einer Stellungnahme von Nabu und BUND teilen die Umweltschutzgruppen ihre Verwunderung darüber mit, dass „ein altes Vorhaben aus der Schublade gezogen wird“, das schon 2012 zu Bürgerprotesten führte. Sie erinnern daran, dass 2001/2002 der NABU in Zusammenarbeit mit der Stadt und mit öffentlichen Fördermitteln ein Konzept für einen Landschaftspark Sankt Leonhard erstellte. „Es gab eine breite Zustimmung, dass das Gebiet als Naherholungsgebiet erhalten werden soll.“ Vor allem östlich der Kapelle befänden sich „die größten zusammenhängenden Flächen mit artenreichen Blumenwiesen bei Überlingen, hier fliegen noch Bläulinge und andere Tagfalter“. Ihr Kommentar: „Bei der heutigen Diskussion zum Artenschwund sollte es oberstes Ziel sein, gerade solche großflächigen Blumenwiesen für Mensch und Tier zu erhalten.“
Die Stadt selbst wirbt auf ihrer Internetseite für den Landschaftspark als „ein traumhaftes Naherholungsgebiet“. Wörtlich: „Der Park ist die Überlinger Antwort auf den rasanten Wandel der Kulturlandschaft und den Siedlungsdruck an den Ufern des Bodensees.“